Vor gut zwei Jahren erforderte ein Tankstellenraub den Polizeieinsatz. Foto: 7aktuell/Fabian Geier

Zuerst ist die Frau von einem Tankstellenräuber in die Knie gezwungen worden, jetzt vom Staat: Keiner will für die Umschulung der 48-Jährigen aufkommen, obwohl die Jobchancen gut sind.

Stuttgart - Es war im November 2015, als Renata S. bei ihrer Arbeit in der Tankstelle Opfer eines Raubüberfalls wurde. Für die Öffentlichkeit endet ein solcher Fall an dieser Stelle. Für Betroffene hat er jedoch weitreichende und lang andauernde Folgen, wie das Beispiel von Renata S. zeigt.

Renata S. hängt an ihren Jobs. „Habe ich Arbeit, dann bin ich beruhigt“, sagt sie. Sie ist gelernte Näherin, doch ihr Job bei einem Automobilkonzern wird ins Ausland verlagert, Alternativen bei Raumausstattern sind Auslaufmodelle. 2006 nimmt sie deshalb Arbeit in einer Tankstelle an einer Stuttgarter Hauptverkehrsachse an.

Bedroht mit Elektroschocker

Zehn Jahre lang erscheint sie dort zuverlässig. „Da war ein Bistro dabei, ich hatte immer gut zu tun, auch nachts. Aufräumen, Müll rausbringen, Tische putzen, Lebensmittel einlagern oder aussortieren“, zählt sie auf. Bis zu jenem 4. November 2015. Um 21.27 Uhr betritt ein Mann den Kassenraum. Er ist schwarz gekleidet, trägt eine Sturmmaske, „und reckt mir den Elektroschocker entgegen – so nah, dass meine Haare in die Luft gegangen sind“, sagt sie. Er habe geschrien: „Kasse aufmachen! Das ist ein Überfall!“

Renata S. hat Angst und fügt sich, auch als er ihr befiehlt, sich hinter dem Tresen auf den Bauch zu legen. Dann wirft er alle Münzen und Scheine in eine Tasche, räumt das Zigarettenregal aus und droht ihr, ja liegen zu bleiben. „Ich wusste nicht, ob er schon draußen ist, ob er noch auf dem Gelände ist oder gar zurückkommt“. Deshalb wagt sie nicht, den Alarmknopf zu drücken, sondern kriecht zu ihrer Handtasche und ruft den Chef um Hilfe. Zwei neu hinzugekommene Kunden helfen ihr. Die Polizei trifft ein, der Täter ist über alle Berge.

Streit der Institutionen

Sie arbeitet weiter, doch sie hält es nicht aus. „Sobald ich allein oder von zu vielen Fremden umgeben war, bin ich schier durchgedreht.“ Sie nimmt an einer Maßnahme zur Berufsfindung teil. Das Berufsförderungswerk empfiehlt eine Umschulung zur Orthopädiemechanikerin, weil sie zum einen ihre Kenntnisse als Näherin einsetzen könne, zum anderen in den Werkstätten einen geschützten Arbeitsplatz hätte.

Die Berufsgenossenschaft leitet ihren Antrag auf Reha-Leistungen an die Deutsche Rentenversicherung weiter. Er wird abgewiesen mit der Begründung, der Beruf sei für sie „nicht leidensgerecht“ und wird flankiert von der Empfehlung, doch in ihren Näherinnenberuf zurückzukehren. Renata S. stellt daher einen gleichlautenden Antrag an die Bundesagentur für Arbeit. Das Jobcenter befindet die von ihr angestrebte Ausbildung für zukunftsträchtig. Der Antrag wird abgewiesen mit der Begründung, es handle sich um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben; dafür sei die Deutsche Rentenversicherung zuständig.

Seit zwei Jahren zieht sich dieser Streit durch das Leben von Renata S. Zurzeit bezieht sie Arbeitslosengeld. Nun will sie gegen beide Institutionen klagen und vor dem Sozialgericht Stuttgart zu ihrem Recht kommen, denn die teure Ausbildung kann sie nicht bezahlen.

Für den Täter ist der Fall erledigt. Der Polizeibericht von damals schließt mit dem Satz: „Der Tankstellenräuber „konnte trotz sofort eingeleiteter Fahndung mit Streifenwagen und einem Polizeihubschrauber unerkannt entkommen.“