Auf dem Weg nach oben: Auch OB Fritz Kuhn (Grüne) nutzt im Rathaus gern den Paternoster Foto: dpa

Einem der wichtigsten Fortbewegungsmittel im Stuttgarter Rathaus droht die Zwangsstilllegung. Der Bund ändert zum 1. Juni eine Sicherheitsvorschrift, die auch für Paternoster gilt. Logische Konsequenz daraus sei die Stilllegung, heißt es beim Tüv Süd. Die Stadtverwaltung will das Gesetz missachten.

Stuttgart - Der Paternoster, vulgo Beamtenheber, im Foyer des Stuttgarter Rathauses legt zurzeit eine Verschnaufpause ein. Ein Schaden an den Aufhängungen der hölzernen Kabinen zwingt zum Zwangsstopp.

Die Reparatur sei beauftragt, sagt Gerhard Ruland vom Haupt- und Personalamt. Weil es sich um Sonderanfertigungen handele, „wissen wir noch nicht, wann der Paternoster wieder laufen wird“, so der Fachmann. Auch zu den Kosten könne man noch nichts sagen.

Wenn es nach Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) geht, kann sich die Stadt die Reparatur sparen. In ihrer neu gefassten Betriebssicherheitsverordnung, die auch für die alten Umlaufaufzüge gilt, schickt Nahles die zwar mit Knackgeräuschen, aber seit Jahrzehnten zuverlässig laufenden Aufzüge aufs Altenteil.

„Paternosteraufzüge dürfen vom 1. Juni 2015 an nur noch von eingewiesenen Beschäftigten benutzt werden“, sagt Thomas Oberst, Sprecher des Tüv Süd in München. Der Überwachungsverein prüft auch die Anlagen im Stuttgarter Verwaltungsbau am Marktplatz.

Hintertür: Ausnahmezulassung durch die oberste Baubehörde

Die drei Aufzüge mit den offenen Kabinen finden sich im Rathausfoyer (Marktplatzflügel), im Altbau (mit charmantem musealem Charakter) und in der Rathauspassage (mit angegrauter Resopalverkleidung). Alle sind öffentlich zugänglich. „Nach dem aktuellen Stand dürfen Anlagen im öffentlichen Bereich oder mit Besucherverkehr nicht mehr betrieben werden. Das ist die logische Konsequenz der neuen Sicherheitsverordnung“, sagt Oberst, „die Betreiber müssen die Vorgaben umsetzen.“

Einzige Hintertür sei eine Ausnahmezulassung durch die oberste Baubehörde. „Das wären dann Einzelfallentscheidungen“, so Oberst.

Den seit 1956 laufenden Aufzug im Rathaus-Foyer nutzen laut Fabian Schlabach vom städtischen Presseamt täglich rund 1000 Menschen, darunter viele Besucher von Sitzungen oder öffentlichen Veranstaltungen - schließlich werden im Rathaus auch Räume vermietet.

Beliebte Mutprobe: Die verbotene Unter- oder Überfahrt

Ein Magnet ist der Paternoster für Schulklassen. Beliebte Mutprobe: Die verbotene Unter- oder Überfahrt, bei der die Arbeit der mit Fett getränkten stählernen Kette an den großen Zahnrädern beobachtet werden kann. Der Umlaufaufzug im Altbau, mit dem zum Beispiel die Rathausbücherei erreicht werden kann, werde von gut 500 Menschen täglich frequentiert. Die Anlage in der Rathauspassage nutzten rund 300 Menschen, so Schlabach. Im Foyer gibt es daneben zwei weitere Aufzüge.

Stadtverwaltung wiegelt ab

Die Stadtverwaltung versuchte die Paternoster-Problematik am Dienstag bewusst tief zu hängen. Aufgeschreckt wurde sie durch eine Anfrage der Freien Wähler im Gemeinderat. Sie fordern, die „Attraktion für Schüler und Touristengruppen“ zu retten. Erste Antwort der Verwaltung auf die Anfrage unserer Zeitung: Es gebe kein Problem, die hölzernen Aufzüge müssten künftig lediglich alle zwei Jahre eine Haupt- und in der Pause dazwischen eine Zwischenprüfung überstehen, und jeder Fahrkorb müsse eine Plakette erhalten.

Außerdem sei die Instandhaltung künftig verpflichtend, „aber die machen wir sowieso“, so der Sprecher. Außerdem, so Schlabach, sei bis Ende 2020 ein „Zwei-Wege-Kommunikationssystem nachzurüsten“. Gemeint ist eine Notrufanlage. „Dazu haben wir noch ein paar Jahre Zeit“, so der Pressesprecher.

"Kein Grund zur Hektik"

Auch Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfe (Grüne) äußerte sich zunächst zurückhaltend. Man kümmere sich „im Zusammenschluss mit anderen Städten darum, dass auch in Zukunft Paternoster wie im Rathaus der Landeshauptstadt betrieben werden können“. Es bestehe „kein Grund zur Hektik“.

Auf Nachfrage wurde Wölfle am Abend deutlicher – und setzte eine Spitze gegen das Arbeitsministerium. „Wir lassen die Aufzüge in Betrieb, wir schalten nichts ab, da ist wohl in der Gesetzgebung etwas vergessen worden“, echauffierte sich Wölfle.

Bei einem Betrieb über den 1. Juni hinaus stellt sich allerdings ähnlich wie beim wegen Brandschutzmängeln geschlossenen Fernsehturm die Haftungsfrage. Der Text der Verordnung – „nur noch von eingewiesenen Beschäftigten“ – scheint eindeutig. „Solange ich nicht unzweifelhaft auf die Einstellung der Aufzüge hingewiesen werde, laufen sie weiter“, legt sich Wölfle fest. Es werde keine übertriebenen Reaktionen geben.

Der Verwaltungsbürgermeister sieht kein hinreichendes Gefährdungspotenzial, welches eine sofortige Abschaltung der Paternoster rechtfertigen würde. Im Juli 2004, bei der anderthalb Jahre dauernden Grundsanierung des Rathauses, sind laut Schlabach Schutzklappen auf jedem Stockwerk angebracht worden, „die die Aufzüge stoppen, wenn etwas passiert“.

„Ich appelliere an andere Städte, ihre Paternoster weiter laufen zu lassen“, sagt Wölfle. Gegebenenfalls könne zur Sicherheit vor den Aufzügen eine kurze Bedienungsanleitung ausgehängt werden.