Dieter Nuhr hat wieder provoziert – und sich dabei auch blamiert. Foto: rbb/Thomas Ernst

Der Kabarettist Dieter Nuhr lästert über ein Buch, das er nicht gelesen hat. Schon der Titel genügt ihm, sich aufzuregen: „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen – aber wissen sollten“. Er langt voll daneben, Twitter kocht hoch, und Nuhr macht alles noch schlimmer.

Stuttgart - Die TV-Moderatorin Dunja Hayali, nie um einen Streit verlegen, nennt den Kabarettisten Dieter Nuhr auf Twitter offen einen Rassisten. Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli ist von dem Mann ebenfalls sichtlich angeekelt: „Immer wieder Dieter Nuhr: so ignorant, dumm und uninformiert.“

Die Schauspielerin, Autorin und „Spiegel“-Kolumnistin Samira El Ouassil und ihr Kollege Friedemann Karig zerlegen Nuhr in ihrem Podcast „Radio Powerplay“. Und auch die Rapperin Lady Bitch Ray mischt mit, als eine von vielen: „nicht nur ignorant, boomerhaft & rassistisch, sondern auch total unprofessionell“ nennt sie etwas, das der fest im ARD-Programm Verankerte in der jüngsten Folge seiner Sendung „Nuhr im Ersten“ gelästert hat.

Nuhr hat es also wieder einmal geschafft: Die sozialen Netzwerke drehen sich für ein paar wichtige Minuten um ihn, und vor seinen Fans steht er da als Opfer linken Meinungsterrors. Die Frage ist nur: Sind das bewusste Provokationen, sind es die Resultate ungewollter Ausrutscher, oder wird der Mann tatsächlich missverstanden?

Zuspitzung oder Predigt?

Aktuell jedenfalls wird er nicht ganz und gar missverstanden. Denn er hat sich fraglos blamiert. Er hat über das Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen – aber wissen sollten“ der Journalistin Alice Hasters gesprochen, das er in einer Flughafenbuchhandlung entdeckt hat. Er hat es nicht gelesen, fühlt sich aber schon vom Titel angegriffen, weil er glaubt, da werde umgekehrter Rassismus betrieben.

Weil Nuhr sich einen säuselnden Ton des Vernunftpredigertums angewöhnt hat, kann man nie ganz sicher sein, wie weit er da kabarettistischer Zuspitzung wegen vereinfacht und wie schlicht er die Dinge tatsächlich gesehen haben möchte.

Diesmal geht es auch um Fakten. Nuhr hat behauptet, Hasters’ Buch sei in den USA „ein riesen Renner“ gewesen. Daran knüpfte er noch eine Analyse: „Und ehrlich gesagt glaube ich, dass diese Form der Scheinintellektualität einer arroganten Linken maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass es so etwas wie Donald Trump geben konnte.“ Hasters aber ist gar keine Afroamerikanerin, sondern eine deutsche Autorin. Und ihr Buch kann schon deshalb kein Bestseller in den USA sein, weil es bislang noch gar nicht ins Englische übersetzt wurde.

Klarer Fehlschuss

An diesem klaren Fehlschuss des Kabarettisten macht denn auch prompt Hasters’ Verleger Jo Lendle vom Hanser-Verlag auf Facebook fest, dass der Mann längst nicht mehr auf die Wirklichkeit achtet: „Rassismus ist nah. Horchen Sie mal ganz aufmerksam in sich rein. Irgendwo in diesem leeren, hallenden Raum macht er ganz leise Pieps. Sie wollen ja immer gerne was entlarven. Wie wäre es mal mit etwas anderem als Ihren Vorurteilen?“

So giftig Nuhr auf allen Kanälen angegangen wird, das schlimmste an der Debatte sind einige Verteidigungsbeiträge aus Ecken, in denen Braun nicht mehr bloß eine Schuhfarbe ist. Vor solchen Fans möchte man den Mann fast in Schutz nehmen, aber er macht es einem schwer. In einem relativ langen Text auf Facebook versucht Nuhr nämlich, sich ganz ohne Kabarettelemente zu rechtfertigen.

Absurdes Dementi

Er stellt dabei allen Ernstes das Konzept des strukturellen Rassismus in Frage – womit dann auch keine spezifischen Gruppen davon betroffen sein könnten. Schließlich kann in Nuhrs Darstellung jeder in bestimmten Kontexten eine Rassismuserfahrung machen, er zum Beispiel als Weißer bei einer Reise durchs afrikanische Mali. Nachdem er so gegen das angeht, was er dem Titel nach in Hasters’ Buch vermutet, setzt Nuhr eilig das absurde Dementi hinzu: „Damit will ich meine Erfahrung als Reisender natürlich nicht mit dem von in weiß dominierten Ländern lebenden Schwarzen vergleichen.“ Er wolle nur „verdeutlichen, dass die Begriffsbeschränkung nicht sinnvoll ist.“

Damit hat er die Diskussion auf die Ebene „Sind wir nicht alle irgendwie ein bisschen Rassismusopfer, die einen mehr, die anderen weniger?“ gehoben, auf der man sie nicht führen, sondern nur beenden könnte. Alice Hasters’ spitzer Buchtitel kommt einem danach doch bestens gewählt vor.