Nadiem Amiri von Bayer Leverkusen (Mitte) im Disput mit Profis von Union Berlin Foto: imago/Matthias Koch

Der DFB ermittelt nach den Vorfällen von Berlin. Nadiem Amiri von Bayer Leverkusen nimmt eine Entschuldigung von Unions Florian Hübner an. Doch welche Worte gefallen sind, ist unklar. Weitet sich die Sache zu einem Skandal aus?

Stuttgart/Berlin - Was ist passiert im Stadion an der Alten Försterei? Was ist passiert beim Bundesliga-Spiel am Freitagabend zwischen dem 1. FC Union Berlin und Bayer Leverkusen, das die Eisernen aus Köpenick mit 1:0 gewannen – nach dem es aber nur ein Thema gab, das an diesem Montag den DFB-Kontrollausschuss in Frankfurt beschäftigen wird? Und das den überraschenden sportlichen Höhenflug der Unioner vor dem – ja, das ist es wirklich – Spitzenspiel bei RB Leipzig an diesem Mittwoch in den Hintergrund drängt?

Es gab Tränen der Wut und Rassismusvorwürfe, Entschuldigungen und Beschwichtigungsversuche, die Fragen offen ließen – der Streit zwischen Leverkusens Nadiem Amiri und Berlins Florian Hübner beschäftigt nicht nur die Ermittler des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Die Vorfälle sind zum Politikum geworden.

Lesen Sie hier: VfB Stuttgart gegen Gladbach – warum der Videobeweis neue Geschichten liefert

Die Faktenlage, soweit man sie als solche bezeichnen kann, stellt sich so dar: Leverkusens Verteidiger Jonathan Tah behauptete unmittelbar nach dem Schlusspfiff am Freitagabend in einem Fernsehinterview, dass ein Union-Spieler seinen Teamkollegen Nadiem Amiri rassistisch beleidigt habe. Wie Leverkusen später mitteilte, habe sich der Profi später in der Kabine bei Amiri – einem deutschen Nationalspieler, dessen Eltern aus Afghanistan stammen – entschuldigt. Laut Union-Geschäftsführer Oliver Ruhnert habe der beschuldigte Berliner Florian Hübner aber intern betont, dass diese Worte nicht gefallen seien. Eine Strafe durch den Verein gebe es erst einmal nicht, denn Konsequenzen könne es nur geben, „wenn irgendwas gewesen ist“, so Ruhnert weiter.

Aus unserem Plus-Angebot: Darum ist Nicolas Gonzalez der Spieler des VfB-Spiels

Unmittelbar nach dem Schlusspfiff am Freitagabend war Nadiem Amiri außer sich. Der Bayer-Profi stürmte auf Hübner zu, fasste ihm ins Gesicht. „Nadiem Amiris Herkunft wurde beleidigt“, erklärte Teamkollege Tah später bei DAZN. Es sei der Begriff „Scheiß-Afghane“ gefallen, meinte Tah weiter. Später nahm Amiri die Entschuldigung von Hübner laut Mitteilung von Bayer Leverkusen an. „Er ist zu mir in die Kabine gekommen. Es sind aus den Emotionen heraus unschöne Worte gefallen, die ihm sehr leidtun“, wurde der 24-jährige Amiri in einem Club-Statement am Samstag zitiert. Aus Sicht des Nationalspielers sei die Angelegenheit damit „erledigt“.

So weit, so klar? Von wegen!

Denn Union-Geschäftsführer Ruhnert sorgte am Samstag wenige Stunden nach Veröffentlichung der Amiri-Stellungnahme eher für Verwirrung denn für Aufklärung. Natürlich verurteile man jede Form von Rassismus, machte er klar. Das sei praktisch Union-DNA. Aber: „Für uns hat es diese rassistische Thematik, wie sie jetzt gerade dargestellt wird, nicht gegeben“, sagte Ruhnert. „Unser Spieler hat gesagt, er hat sich so nicht geäußert.“

Verbale Scharmützel

Die Frage, wofür sich der Verteidiger dann bei Amiri entschuldigt hat und wieso sich Bayer-Verantwortliche oder Amiri nicht umfänglicher äußern, um zur Aufklärung beizutragen, ist offen. Auch Ruhnert verriet nicht, was Hübner tatsächlich gesagt habe, verblüffte aber mit der Argumentation, dem Verteidiger könne kein Rassismus vorgeworfen werden, da dieser mit einer „nicht weißen“ Frau liiert sei.

Laut Ruhnert war die Partie ohnehin geprägt von vielen verbalen „Scharmützeln“. Es habe „Entschuldigungen des einen oder anderen Spielers, der auf dem Feld war und nicht unbedingt unser Trikot angehabt hat“, gegeben. Daher habe man gleich zu einem Krisengipfel aller Beteiligten nach Abpfiff in der Kabine gedrängt. Mit Bayer sei man im Reinen.

Lesen Sie auch: So sieht Sven Mislintat seine Zukunft beim VfB Stuttgart

Die Verteidigungsstrategie der Köpenicker zielt offenbar darauf ab, die angebliche Aussage „Scheiß-Afghane“ in Zweifel zu ziehen. Klar ist: Nur durch die Worte von Amiris Teamkollege Tah wurde der Vorfall in seiner möglichen Tragweite publik. Ruhnert betonte, Tah kenne die Worte nur vom „Hörensagen“. Das wiederum hat der Bayer-Verteidiger inzwischen eingeräumt. „Ich habe es selber nicht gehört“, sagte er der ARD-„Sportschau“.

Ein Bericht aus der Sendung belastet die Eisernen unabhängig davon weiter. „Chillt mal, wir sind in Deutschland hier“, soll als weitere Aussage eines Union-Profis gefallen sein, als sich Leverkusens jamaikanischer Außenstürmer Leon Bailey nach einem Foul nicht aufhelfen lassen wollte. Wer dies sagte, ist durch TV-Aufnahmen nicht zu klären. Doch die Konnotation ist gleichfalls rassistischer Natur. Auch sie dürfte den DFB-Kontrollausschuss beschäftigen.

Klare Ansage des DFB

Der Vorfall jedenfalls hat nur Verlierer. Sollte sich der Rassismusverdacht bewahrheiten, ist Union-Profi Hübner der größte, und mit ihm sein Verein und Geschäftsführer Ruhnert, dessen Beschwichtigungsversuche ad absurdum geführt wären. Sollten die Vorwürfe dagegen unwahr sein, hätten Bayer Leverkusen und Jonathan Tah ein Problem, schließlich sprach Tah die Vorwürfe vor laufender TV-Kamera aus, obwohl er die angeblichen Beleidigungen nur vom Hörensagen mitbekam.

Anton Nachrainer, der Vorsitzende des DFB-Kontrollausschusses, sagt vor der Aufnahme der Ermittlungen dies: „Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens duldet der DFB keinerlei Rassismus oder Diskriminierung auf seinen Plätzen! Das ist für uns ein absolutes No-Go und wird bei Nachweis auch entsprechend bestraft.“

Daran werden sich Nachrainer und der DFB messen lassen müssen.