Überraschung. die Metal-Band Kreator steht auf Platz Eins der Charts Foto: JAZZ ARCHIV HAMBURG

Jeder will rein, aber kaum einer schafft es: Ein Platz in den deutschen Albumcharts ist noch immer die wichtigste Visitenkarte für Musiker. Ermittelt werden sie in Baden-Baden – nach speziellen, unabhängigen Regularien. Das hat Vor- und Nachteile.

Baden-Baden - Wann immer in Deutschland ein Tonträger verkauft wird, wird mitgezählt – ob der Käufer das will oder nicht. Sei es in einem großen Elektronikfachmarkt oder einem kleinen Plattenladen, sei es als CD bei Versandhändlern oder als bezahlter Stream bei Downloadplattformen: Exakte Informationen über Kaufort, -datum und -preis eines jeden Exemplars werden in Baden-Baden registriert. Dort hat die Firma GfK Entertainment ihren Sitz, die für die Ermittlung der offiziellen deutschen Musikcharts zuständig ist. Daten aus 2800 stationär und im Netz mit Musik handelnden Geschäften laufen hier tagesaktuell ein, rund neunzig Prozent des Markts deckt das ab. Von wenigen Läden abgesehen, die keine elektronischen Kassen verwenden oder nicht an die Branchenbestellsysteme angeschlossen sind und die angesichts ihrer Umsätze nicht sonderlich ins Gewicht fallen, ergibt dies eine repräsentative Vollerhebung.

Die Charts, die aus diesen Zahlen errechnet und immer freitags publiziert werden, sind die Währung der Musikbranche. „Nach wie vor wollen alle auf Platz eins oder zumindest in die Top Ten, da die Charts sehr attraktiv sind“, sagt Mathias Giloth, der Geschäftsführer von GfK Entertainment. Das verführt zu Betrugsversuchen. Der Fall der Eurovision-Song-Contest-Teilnehmerin Gracia ist als prominentestes Beispiel noch in Erinnerung: Vor zwölf Jahren ließ ihr Labelmanager massenhaft CDs seiner Künstlerin aufkaufen, um sie hoch in den Charts zu platzieren. Doch auch heutzutage wird immer wieder versucht, zu tricksen. „Manipulationsversuche kommen selten, aber doch in gewisser Regelmäßigkeit vor“, sagt Giloth. Verblüffend ist das schon, denn die Messinstrumente von GfK Entertainment sind so fein, dass Ausreißer und Anomalien sofort entdeckt werden. Werden von einem bestimmten Künstler in einer bestimmten Stadt in einem kurzen Zeitraum plötzlich besonders viele CDs verkauft oder wird ein bestimmtes Album in einer bestimmten Region besonders häufig heruntergeladen, schrillen in Baden-Baden automatisch die Alarmglocken.

Keine Chance für Betrüger

Dann greifen interne Kontrollmechanismen, die im äußersten Fall zum Komplettausschluss des Albums aus den Charts führen. Die Regularien für die Chartermittlung sind öffentlich einsehbar, nur Händler mit einem hinreichend breit aufgestellten Repertoire dürfen teilnehmen, bei Sonderangeboten und anderen Marketingaktionen werden die Verkaufszahlen gegebenenfalls bereinigt. Dazu kommen viele weitere als Firmengeheimnis geschützte Messinstrumente. In der Summe führt das dazu, dass die Ermittlung der auch aus diesem Grund sogenannten offiziellen deutschen Charts tatsächlich repräsentativ und unabhängig erfolgt.

Wer es als Musiker in das Heiligtum der Charts bringt, der hat es geschafft: Dieser Grundsatz im Musikbusiness gilt noch immer. Musiker, die auf Charterfolge verweisen können, haben es in Verhandlungen mit Plattenlabels und Konzertveranstaltern leichter, ihre Forderungen durchzusetzen; ihnen hilft die Mundpropaganda – und dem Künstlerego schmeichelt es natürlich auch, mit neuen Alben hoch in den Charts einzusteigen. Die Veranstalter, Vertriebe und Einzelhändler wiederum können an ihnen den wirtschaftlichen Erfolg der Musiker oder Bands ablesen. Und die Käufer sehen, welche Künstler gerade angesagt sind, wie relevant sich das neue Album ihrer Lieblingsmusiker in dieser Hitparade platziert hat und was es interessantes Neues zu entdecken gibt. Auf den ersten Blick ist das also eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.