Die Polizei sichert Spuren in einem beschädigten Geschäft. Foto: 7aktuell.de/Simon Adomat

Am Morgen danach werden die Spuren der Gewalt sichtbar. Geplünderte Geschäfte, herausgerissene Steine, überall Scherben – Läden in der Stuttgarter Innenstadt gleichen einem Trümmerfeld. In der Nacht lieferten sich dutzende Kleingruppen Straßenschlachten mit der Polizei. Ein Stimmungsbild am Morgen danach.

Stuttgart - „Ich fasse es nicht, was in Stuttgart los ist, das ist purer Wahnsinn“, sagt Fritz Trick erschüttert, als er sich auf der Stuttgarter Königstraße die Spuren der Zerstörung ansieht. Der 60-Jährige ist am Sonntagmorgen von Sulz am Neckar für einen Gottesdienst angereist und steht jetzt in der Einkaufsstraße vor den eingeschlagenen Schaufenstern zweier Handy-Läden. „Ich habe schon im Radio gehört, dass heute Nacht in Stuttgart der Punk abgegangen ist.“ Die Orgie purer Gewalt, die zuvor über Stunden die Innenstadt der Schwabenmetropole zu einer rechtsfreien Zone machte, kann er einfach nicht begreifen: „Diese rohe Gewalt schockiert mich. Unvorstellbar, dass so etwas in Stuttgart passiert“, sagt Trick fassungslos.

Wie Trick geht es vielen Anwohnern, die sich am Morgen nach den schweren Ausschreitungen und Plünderungen in Stuttgart die Schneise der Verwüstung in der Königstraße, am Schlossplatz und der Marienstraße ansehen. Geschäfte sind geplündert, überall liegen herausgerissene Pflastersteine und Scherben. Noch ist den meisten Menschen, die gegen 10 Uhr in der City auf dem Weg zum nächsten Bäcker sind, nicht klar, was genau hier in der Nacht geschehen ist.

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Gewalttätige Kleingruppen wüten in Stuttgart

Doch beim Blick auf das Smartphone erfahren sie von den dutzenden gewalttätigen Kleingruppen, die sich in der Nacht Straßenschlachten mit der Polizei geliefert haben und die Stuttgarter Innenstadt verwüsteten. Erst nach mehreren Stunden beruhigte sich die Situation am Morgen. Eine Polizeikontrolle war womöglich der Auslöser der Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt. Viele Feiernde des sich unter anderem am Eckensee sammelnden Klientels sollen sich anlässlich einer Kontrolle wegen eines Rauschgiftdelikts gegen die Beamten zusammengeschlossen haben.

Was wohl jedem ins Auge sticht: Blutfarbene Fußstapfen, die sich hunderte Meter entlang der Königstraße ihren Weg bahnen. Ob es tatsächlich Blut oder Farbe ist, konnte die Polizei am Morgen zunächst nicht sagen. Die scheinbare Blutspur führt vorbei an einem weiteren Handygeschäft in der Königstraße, vor dem zwei forensische Ermittler knien. Während die Alarmanlage noch schellt, leuchten sie mit einem speziellen Gerät die eingeschlagenen Schaufenster ab. Mit der sogenannten Crime-Lite, einer handgehaltenen alternativen Lichtquelle mit hoher Intensität, sollen Beweise wie Fingerabdrücke oder Körperflüssigkeiten gesichert werden werden.

Anwohner sind geschockt von der Gewaltorgie

Neben der Polizei und den THW-Einsatzkräften sind auch schon die ersten Politiker in der Stadt unterwegs. Vor dem zerstörten Schuhladen Snipes positioniert sich Frank Nopper, der CDU-Kandidat für die Stuttgarter Oberbürgermeister-Wahl. Mit ernster Miene spricht er in eine Kamera: Er habe sich ein Bild von den Gewaltexzessen der Nacht gemacht. „Stuttgart war immer eine tolerante und liberale Stadt, aber gewalttätigen Plünderungen müssen wir uns mit aller Kraft entgegenstellen“, sagt er. „Unser Dank gilt der Polizei, die noch Schlimmeres verhindert hat.“ Auch andere Politiker wie der SPD-Kandidat Martin Körner sind früh schon in der Stadt unterwegs, um sich ein Bild zu verschaffen. „Ich bin fassungslos“, sagt Körner in einem Video, das er später auf Facebook postet. „Ich möchte vor allem der Polizei danken, die einen schwierigen Einsatz hatte.“ Jetzt gehe es darum, die Ursachen zu klären und dann Konsequenzen zu ziehen.

Besonders schlimm hat es auf den ersten Blick in der Marienstraße - einem Zentrum des Gewaltexzesses - ein Internetcafé erwischt. Die Schaufensterscheibe ist eingeschlagen, dutzende leere Halterungen, an denen die zum Verkauf angebotenen Handys fehlen, zeugen von den Plünderungen. Ein paar Meter weiter vor dem 1-Euro-Shop liegen Sonnenbrillen, Plastikschaufeln und andere Billigprodukte in den Scherben.

Polizei und Technisches Hilfswerk im Einsatz

Wie überall in der Innenstadt sind auch hier Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks zugange, um die eingeschlagenen Schaufensterscheiben provisorisch mit Spanplatten zu versiegeln. Mit Stemmeisen entfernen sie geborstene Glassplitter an Werbestellen. Zahlreiche Kräfte sind mit den Aufräumarbeiten beschäftigt, die Polizei zeigt Präsenz und sichert die zerstörten Bereiche ab. Die Polizei bleibt mit einem Großaufgebot in der Innenstadt.

„Das war ein sehr beängstigendes Gefühl heute Nacht“, schildert eine Anwohnerin, die um die Ecke im Gerber-Wohnkomplex lebt. „Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen wegen des dröhnenden Hubschrauber-Lärms“, berichtet die junge Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Wir hatten Angst, dass jemand zu uns in Haus kommt.“ Dann habe sie im Kurznachrichtendienst Twitter Videos der Krawalle gesehen. Sie berichtet von Videoaufzeichnungen von jungen Männern, die gegen Schaufensterscheiben von Geschäften traten oder Pflastersteine aus dem Boden rissen. „Wir können es nicht fassen, dass so etwas in Stuttgart vor unserer Haustüre passiert.“