Rowdie in Polizei-Gewahrsam: Fußball als Plattform für Gewalt-Exzesse Foto: dpa

Was hat das noch mit Fußball zu tun? In Bad Cannstatt lieferten sich im Anschluss an das VfB-Spiel 80 Chaoten eine Schlacht mit der Polizei. Helfen können gegen solche Exzesse nur kluge Konzepte, unvoreingenommene Gespräche zwischen Vereinen, Fans, Polizei und Justiz – und härtere Sanktionen, meint unser Sportchef Gunter Barner.

Stuttgart - Die Frage ist rhetorisch, trifft die Gemütslage aber ganz gut: Wo leben wir eigentlich? Es ging um das Fußballspiel zweier Teams, denen der Abstieg droht. Nicht um Leben und Tod. VfB Stuttgart gegen Hertha BSC. Nach Spielschluss gab es in Bad Cannstatt nie da gewesene Randale mit 80 Chaoten, amtliche Schüsse in die Luft, zwölf verletzte Polizisten, demolierte Autos und die wiederkehrende Frage: Welcher Teufel reitet diese Verrückten?

Die Antwort darauf ist komplex, die Ursachen sind vielfältig. Unbestritten ist aber: Randalos fallen nicht vom Himmel. Sie sind Produkt einer zivilisierten Gesellschaft, die sich Regeln auferlegt, über deren Einhaltung sie selber wacht. Am besten mit Hilfe sozialer Kontrolle, nötigenfalls über Polizei und Justiz. Dass es in der Natur des Menschen liegt, gegen die Grenzen eines normierten Systems gelegentlich zu revoltieren, weiß jeder, der sich freut, wenn er beim Falschparken nicht erwischt wird. Wenn doch, wird’s teuer. Selber schuld.

Auswüchse einer reizüberflutete Gesellschaft

Die Regelverstöße rund um den Fußball sind aber mit spätpubertären Schüben von Unterprivilegierten oder notorisch Aufsässigen nicht zu erklären. Viel eher mit den Auswüchsen einer reizüberfluteten Gesellschaft, die mehr trennt als eint. Die viel voraussetzt, aber wenig Rücksicht nimmt. Die immer komplizierter wird, aber kaum etwas erklärt. Die jungen Menschen immer weniger Schonräume lässt, um wichtigen Selbstwert zu generieren und die passende Rolle im Leben zu finden.

Die Eigendynamik einer Gruppe kann dieses Defizit kompensieren. Das Aufbegehren gegen gesellschaftlich anerkannte Instrumente wie Polizei, Justiz, und neuerdings auch Medien, liefert das erhabene Gefühl Teil einer Macht zu sein, die ihre Anerkennung aus Angst und Schrecken bezieht. Was manches erklärt, aber nichts entschuldigt. Auch nicht die zum Zeichen der Unschuld erhobenen Hände in den Profivereinen.

Ist es Zufall, dass sich die Massenschlägereien und Zerstörungen im Umfeld von Fußballspielen ereignen? Eher nicht. Das Spiel bietet sich – extrem interpretiert – in gewisser Hinsicht an als Metapher für Hass, Gewalt, Aggressivität, Kampf, Schmerz, Leiden und Zerstörung.

Es trifft oft die, die am wenigsten dafür können

Was häufig als sozialer Vorzug des Fußballs gepriesen wird, kann sich im schlechtesten Fall auch gegen ihn kehren: seine Ventilfunktion für die Drucksituationen einer divergierenden Masse. Und wie immer treffen die Auswüchse der Chaoten diejenigen, die am wenigsten dafür können.

Es ist nicht vertretbar, wenn Polizisten im Rahmen von Fußballspielen um Leib und Leben fürchten müssen. Schon gar nicht angesichts sportlicher Werte wie Anstand, Fairness und Solidarität. Es wäre allerdings grundverkehrt, dies dem Sport und seinen Hauptdarstellern allein anzulasten. Ganz sicher fällt ihnen aber aus dieser Erkenntnis heraus eine besondere Verantwortung zu.

Das 16-Punkte-Programm der Deutschen Fußball-Liga (DFL), Ende vergangenen Jahres unter lautem Hurra verabschiedet, mag ein brauchbarer Ansatz sein, um den Exzessen im Umfeld der Spiele vorzubeugen. Noch wichtiger ist aber, dass sich Vereine, ihre friedliebenden Fans, Polizei und Justiz präziser als bisher die Bälle zuspielen.

Nur so ist es möglich, die Chaoten konsequent vom Platz zu stellen und innerhalb der Fangemeinden klar zu differenzieren. Wer Ultras aus Unkenntnis mit Hooligans oder sonstigen Chaoten in einen Topf wirft, schürt das Misstrauen in ihnen und verhindert ohne Not, dass Gewalttäter schnell identifiziert und verurteilt werden können. Helfen können nur die unvoreingenommene Kommunikation unter den Beteiligten, kluge Konzepte zur Prävention und härtere Sanktionen gegen Gewalttäter.

Es gibt Regeln. Niemand weiß das besser, als der Fußball selbst.