Traumstart: Die Rakete der Studenten der Uni stuttgart startet in Himmel über nordschweden. Foto: StN

Acht Studenten der Uni Stuttgart haben im Norden Schwedens eine Rakete aufsteigen lassen.

Kiruna/Stuttgart - Die acht von der Tankstelle: Diesen griffigen Namen hat sich das Studententeam der Universität Stuttgart nicht gegeben. Er wäre auch nicht korrekt gewesen, denn einen Zapfhahn hatte niemand von ihnen in der Hand. Getankt wurde nämlich in 82 Kilometer Höhe. Natürlich vollautomatisch.

Rasend schnell steigt die Rakete in den blauen Himmel Nordschwedens. Die Studenten beobachten den Start aus sicherer Entfernung. Nach nur zwanzig Sekunden ist nichts mehr von dem Fluggerät zu sehen. Die angehenden Raumfahrtingenieure wissen: Jetzt muss das Experiment klappen. Was nun in ein paar Minuten automatisch abläuft, hat in der Vorbereitung mehr als ein Jahr gedauert.

"Die Spannung stieg und stieg"

Der geglückte Start wird zur Nebensache, viel wichtiger ist, ob die Nutzlast der Rakete mit dem selbst entwickelten Experiment später wieder sicher auf der Erde ankommt. Auf keinen Fall sollte sie ungebremst zu Boden krachen und zerschellen.

"Die Spannung stieg und stieg", erzählt der Student Emil Nathanson im Rückblick. "Erst Stunden nach dem Start wussten wir, ob unser Experiment überhaupt funktioniert hat." Dann folgt das große Aufatmen. Das Modul kehrt unbeschädigt zur Erde zurück. Sofort wird es begutachtet und auseinandergeschraubt.

Zuerst schauen sich die Studenten den Film an, den eine nach außen gerichtete Kamera an Bord der Rakete während des Parabelfluges aufgezeichnet hat. Dieser liefert beeindruckende Bilder von dem Start, dem Blick auf die Erde aus 82 Kilometer Höhe und der durch einen Fallschirm gesicherten Rückkehr auf den Boden. Die Aufnahmen entlocken den Anwesenden viele "Ahs" und "Ohs", selbst Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) sind beeindruckt von der Qualität. "Aber die würden gar nicht auf die Idee kommen, etwas so Sinnloses ohne wissenschaftlichen Nutzen zu machen", sagt Robert Schelling lächelnd. Die zusätzliche Kamera war gar nicht der Kern des Experiments, sondern nur eine spontane Idee.

Start in Nordschweden

Robert Schelling, 26, und Emil Nathanson, 25, sind Mitglieder des achtköpfigen "Explore"-Teams, einer Projektgruppe, der überwiegend Luft- und Raumfahrttechnik-Studenten der Uni Stuttgart angehören. Sie ist eine von insgesamt acht Studentengruppen aus ganz Europa, denen das DLR in Kooperation mit der schwedischen und der europäischen Raumfahrtagentur die Gelegenheit bot, ein selbst gebautes Experimentalmodul an Bord einer Höhenforschungsrakete in den Orbit zu befördern. Ende Februar hoben die Raketen mit den Namen Rexus 9 und 10 von einer zu Forschungszwecken genutzten Raketenbasis nahe der Stadt Kiruna im Norden Schwedens ab.

Nicht die Filmaufnahme war für Explore maßgeblich, sondern das namensgebende "Experiment for Liquid On-Orbit Refueling", ein Betankungsvorgang im Weltraum, der an Bord der 5,60 Meter langen und 515 Kilogramm schweren Rexus-9-Rakete simuliert wurde. Hinter dem Experiment steht die Vision einer Tankstelle im Weltraum. "Wenn Raumschiffe zukünftig Mond und Mars anfliegen, dann wäre es einfacher und kostengünstiger, sie im Weltall zu betanken, statt jedes Mal den Treibstoff von der Erde mitzunehmen", erklärt Robert Schelling.

Drei Minuten Schwerelosigkeit

In der Schwerelosigkeit stellen einfache Betankungsvorgänge die Wissenschaft jedoch vor große Probleme: Treibstofftanks von Raumfahrzeugen enthalten Hilfsgase, die weder entweichen noch sich mit dem flüssigen Treibstoff bei der Wiederbefüllung vermischen dürfen. Ziel des Experiments ist, einen möglichst hohen Befüllungsgrad zu erreichen und gleichzeitig die Entstehung eines triebwerkschädigenden Treibstoff-Gas-Gemisches zu vermeiden.

Aus handelsüblichen Produkten baute die Gruppe um Team-Chefin Christine Hill unter Einhaltung strenger Gewichts- und Kostenvorgaben einen Versuchsaufbau, der das Volumen eines Wassereimers hat. Eine Gaskartusche stellt den zentralen Tank dar, aus dem ein Ballon die Flüssigkeit in sechs Kammern aus Plexiglas drückt. Gesteuert wird alles von einem Mikrocomputer, der die Geschwindigkeit der Befüllung variiert. Falls Wasser austreten sollte, wird es mit Kondomen aufgefangen. Stattfinden sollte dieser Betankungsvorgang allerdings unter Bedingungen, die denen im Weltall möglichst nahe kommen.

Deshalb wurde das Experiment an Bord der Rexus 9 während eines Parabelflugs gestartet. In einer knapp drei Minuten langen Phase herrschten dort Bedingungen der Schwerelosigkeit. Auf Knopfdruck wurde innerhalb dieses Zeitfensters das Experiment von der Bodenstation aus gestartet. Eine Kamera sowie Druck- und Temperaturmessungen zeichneten alles auf.

Europäische Weltraumorganisation hat Interesse

Auch wenn die genaue wissenschaftliche Auswertung des Experiments noch eine Weile dauern wird, haben die Studenten bereits eine Erkenntnis gewonnen: "Das Prinzip hat funktioniert, aber es ist noch nicht ausgereift", erläutert Emil Nathanson. Was in der Praxis noch nicht problemlos abläuft, kann dennoch von theoretischem Nutzen sein. Die Auswertung der Daten soll zeigen, ob die Anwendung auf reale Systeme übertragbar ist. Die europäische Weltraumorganisation Esa hat Interesse: Ende Mai dürfen die Studenten ihre Ergebnisse auf einem Kongress in Frankreich präsentieren.

Die Esa ist neben dem DLR und der schwedischen Raumfahrtbehörde auch Träger des Forschungsprojekts. Des Weiteren haben Institutionen der Uni Stuttgart und zahlreiche Sponsoren dazu beigetragen, dass die Stuttgarter Studenten ihr Projekt durchführen konnten. Die Reisekosten wurden ihnen erstattet, den Versuchsaufbau bezahlten die Studenten weitgehend aus eigener Tasche.

Hauptberuflich in der Raumfahrt

Für Robert Schelling, Emil Nathanson und ihre Kommilitonen haben sich die Teilnahme am Projekt und die damit verbundene Arbeit allemal gelohnt, schließlich haben sie den kompletten Ablauf eines Raumfahrtprojekts kennengelernt. Neben dem theorielastigen Hochschulstudium war das eine "Chance, um praktische Erfahrungen zu sammeln", betont Nathanson.

Sind das nun beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche berufliche Zukunft? Robert Schelling, der noch in diesem Jahr seinen Abschluss machen möchte, wiegelt ab: "Potenzielle Arbeitgeber stehen noch nicht vor der Tür Schlange." Ohnehin gilt sein Interesse weniger der Raumfahrt als vielmehr der Strömungslehre und dem Triebwerksbau in der Luftfahrt. Sein Kommilitone möchte später aber auf jeden Fall hauptberuflich in der Raumfahrt tätig sein.

Mehr Infos unter: www.explore-rexus.de