Galerist Rainer Wehr Foto: Steffen Schmid

Ein guter Grund, um zu feiern: 35 Jahre gibt es die Galerie Rainer Wehr in Stuttgart – 35 Jahre Vorfreude auf das Übermorgen. Ein Panorama vor allem der malerischen Möglichkeiten präsentiert Rainer Wehr, um mit seinen Künstlerinnen und Künstlern und dem Publikum sein Galeriejubiläum zu feiern.

Stuttgart - Die erste Ausstellung der neuen Galerie Rainer Wehr galt 1980 Rupprecht Geiger. Für den war Farbe „Element“ und Inbegriff von Malerei. Beides, Malerei und Farbe, schien dem angehenden jungen Galeristen von damals herrschenden Trends vernachlässigt. Obwohl er an der Düsseldorfer Akademie selbst Schüler bei Joseph Beuys und Karl Otto Götz gewesen war, hielt er die unmittelbare Wahrnehmung alles Sichtbaren für unverzichtbar. Und so blieb Malerei als nicht endendes Abenteuer immer wieder anders und neu gesehener und interpretierter Welt bis heute Programm in der Alexanderstraße 53.

Wie weit sich dieses Feld erstreckt, lässt sich in der am Dienstag eröffneten Jubiläumsausstellung „35 Jahre Galerie Rainer Wehr“ ermessen, die mit Arbeiten von 18 Künstlern der Galerie „Highlights der vergangenen Jahre“ zeigt. Bis heute nämlich gehört Wehr zu den wenigen Galeristen, die an den Akademien nach jungen Talenten fahnden. Nicht selten fündig geworden zu sein wird ihm aus gutem Grund nachgesagt. Nicht wenige seiner Schützlinge sind Professoren geworden. Holger Bunk, Jörg Eberhard, Michael Munding und Rosalie sind längst nicht alle, die zu Amt und Würden und sicherer Existenz fanden.

Keine Scheuklappen

Einige sind Stars der Szene geworden. Anderen droht das Vergessen. Auch auf die Unwägbarkeiten herrschender Marktmechanismen hinzuweisen ist dem Galeristen ein Anliegen. Insofern lässt sich das Profil der Galerie keineswegs nur auf figürliche, neorealistische und handwerklich perfekte Gegenwartskunst festlegen, auch wenn „Die Neue Präzision“ oder „Die Magie der Dinge“ starke Akzente setzten. Denn nicht nur der Künstler, erst recht steht auch eine Galerie in der Pflicht, uns die Augen zu öffnen. „Wer bereit ist, sich auf Neues einzulassen – und das ist ja die Herausforderung, die Gegenwartskunst bietet –, der“, so ist Rainer Wehr überzeugt, „lebt diese Neugier und Offenheit auch in anderen Zusammenhängen.“

Dieselbe Offenheit bezeugt auch das Nebeneinander der vielschichtigen „Überlagerung“, die Rainer Wehr 1986 selbst gemalt hat, und zwei fotorealistisch aquarellierten lässigen Jungs auf der Straße von Peter Holl.

Scheuklappen sind das Letzte, was man dem Maler und Galeristen in Personalunion nachsagen kann. Auch für den ebenso konzeptionellen wie malerischen Ansatz der täglich porträtierten Gläser des Freiburgers Peter Dreher hatte in Württemberg zuerst er das richtige Gespür. Jetzt sind die kleinen Bilder des Freiburger Altmeisters gefragt wie nie und haben ihren Preis. Anders als ironisch ist da „Die moderne und die zeitgenössische Kunst kurz vor Arkadien“, ein Titel von Sebastian Tröger, nicht zu verstehen.

Rosalie bringt sich in Erinnerung

Auch „Between Reality and Hell“ von Tobias Wyrzykowsky wird man ironisch aufzufassen haben. Woanders macht der wie Tröger in Nürnberg lebende und noch ein Jahr jüngere Künstler mit einer „Herbstzeitlose“ an einem Stacheldrahtzaun Stimmung. Michael Munding (Jahrgang 1959) beschränkt sich hingegen mit dem „Mercedesmuseum“ und einem noch unverfänglichen, weil schon 2008 gemalten Blick auf „Stuttgart 21“ auf nüchterne Bestandsaufnahmen. Mit einem akribisch mit Tusche dargestellten Bauwerk des Architekten Santiago Calatrava ist dieser Realitätsbezug auch bei Bianca Schelling aus Fürth gegeben.

Wie kurz das Gedächtnis der Kunstszene sein kann, illustrieren Arbeiten des 2002 verstorbenen Friedrich Sieber. Befand sich sein 1958 entstandenes „Bedrängtes Blau“ als Beispiel informeller Kunst auf der Höhe der Zeit, ist sein Schöpfer, der mit Georg Karl Pfahler zusammen Gründungsmitglied der Gruppe 11 war, inzwischen ein fast Vergessener. Auch Julius Kaesdorf, der Biberacher Anwalt und Sonntagsmaler, der mit ausgesucht blassen Farben, intimen Formaten und unerreichten Titeln seine Freunde jubeln ließ, ist in den Hintergrund geraten. Ähnliches zu befürchten ist bei Petr Hrbek und Istvan Laurer , die beide vor wenigen Jahren verstorben sind. Hrbek ist mit „Der Bessere Gefährliche Automat“ (1991) vertreten, Laurer mit einem Tondo von 1989, der „Nach dem Unfall“ überschrieben ist. Rosalie bringt sich mit zwei Schrift-Bildern, deren Text aus „Tristan und Isolde“ stammt und auf ihre anerkannte Stellung als Bühnenkünstlerin verweist, problemlos in Erinnerung.

Im Chaos verloren

Holger Bunk und Jörg Eberhard gehören als Düsseldorfer Kommilitonen von Rainer Wehr zum Urgestein der Galerie. Miteinander haben sie dem Siegeszug der Neuen Wilden getrotzt und an ihrem gewissermaßen kontrollierten Realismus festgehalten. Holger Bunk pfercht einen „Träumer“ in ein Dreieck. Ein anderer Typ liegt bräunend in der Sonne und fixiert den Betrachter. Aus finsterer Quelle kommt bei Jörg Eberhard das Licht: Seine Schreibtischlampe grenzt sich als nachtschwarze Silhouette von ihrer Umgebung ab. Hoffnungsträger sind jetzt rund 25 Jahre jüngere Künstlerinnen und Künstler: Mona Ardeleanu, Emel Geris und Philip Loersch. Mona Ardeleanu brachte sich mit eigenwilligen Stillleben ins Gespräch. Unter Verzicht auf Körper darin erfindet sie Hüllen, die dem Auge Flechtwerk, Stoffe, Federn, Haare oder Pelze vorgaukeln. Eine Korsage wird als „Mädchenpanzer“ deklariert. Emel Geris stellt als „Höhen und Tiefen“ apostrophierte emotionale Befindlichkeiten dar. In Gestalt von trist Verzweigtem und grellbunt Erträumtem begegnet depressives Betrübtsein jauchzendem Frohsinn.

Philip Loersch nötigt der Bleistiftzeichnung ungewöhnlich dicht gewirkte Visionen ab. Das Auge hat Mühe, sich im Dickicht illusionistisch vorgetäuschten Gestrüpps zurechtzufinden. „Der Läufer“, der Titel einer Arbeit, wird auf den Loersch-Auftritt von 2012 bei Rainer Wehr anspielen, aber auch auf das bewegliche Teil des Rechenschiebers, der genauso heißt. Ein Maßstab im Bild fehlt ohnedies nicht. Ohne Maß wäre man im Chaos verloren.