Schwule Flüchtlinge sind besonders gefährdet (Symbolbild). Foto: /IMAGO/Addictive Stock

Schwule Flüchtlinge sind sowohl auf der Flucht als auch in ihrer Unterbringung in Deutschland besonders gefährdet vor Übergriffen. Joschi Moser aus Schwäbisch Gmünd hat eine WG für queere Flüchtlinge gegründet. Wie sieht ihr Leben aus?

Samy schließt die Augen. Er weiß bis heute nicht, wie sein Vater von seiner Homosexualität erfahren haben könnte. Nur so viel ist klar: Es gibt ein Beweisvideo, das ihn und seinen Freund in einer unmissverständlichen Handlung zeigt. Sein Vater hatte das Video an einem Tag im September 2021 der Mutter vorgespielt. „Sieh, was dein Sohn so treibt“, soll er gesagt haben, bevor er vor Wut explodierte und Samy verprügelte. Wenige Stunden nachdem der Vater die sexuelle Orientierung seines Sohnes herausgefunden hatte, musste Samy die Wohnung seiner Eltern verlassen.

 

Wenn Samy, der eigentlich einen anderen Namen hat, heute seine Augen wieder öffnet, ist er nicht länger in Sulaimaniyya im Irak, umgeben von seiner Familie, sondern in seinem WG-Zimmer in Schwäbisch Gmünd. Der Mann mit dem Stoppelbart und den kurzen schwarzen Haaren muss kurze Pausen einlegen, wenn er von dem Tag, der sein Leben verändert hat, erzählt.

Es war auch der Tag, an dem er sein Diplom für sein Jura-Studium erhalten hatte. Die Urkunde, die er bei seiner Flucht mitgenommen hat, ist auf den 16. September 2021 datiert. Er kann sich nach einer traumatisierenden Flucht vor einem Jahr inzwischen wieder sicher fühlen. Doch das ist nicht selbstverständlich für homosexuelle Flüchtlinge in Deutschland.

„Sei stolz und wundervoll“

Sieben Zimmer für queere Flüchtlinge

Samy wohnt in der Rainbow-Refugee-WG, der einzigen in Baden-Württemberg. Sie ist ein Ort für Menschen, deren sexuelle Identität nicht der klassischen Norm von der Liebe zwischen Mann und Frau entspricht. In sechs anderen Zimmern der Wohnung in Schwäbisch Gmünd leben Männer, die schwul sind und aus ihrer Heimat fliehen mussten. Samys Zimmer ist verdunkelt und karg eingerichtet. Doch es gibt einen Fernseher und zwei Regenbogentassen mit den Aufschriften „Sei stolz und wundervoll“ und „Sei einfach so wie du bist“. Damit er das bloß nicht vergisst.

Dass manche Bewohner hier ein eigenes Zimmer und manche sogar den Luxus eines Computers haben, verdanken sie dem Gründer dieser Wohngemeinschaft: Joschi Moser, Träger des Bundesverdienstkreuzes, Vorstand der Aids-Hilfe in Schwäbisch Gmünd und engster Verbündeter der Gemeinschaft.

Auch Diskriminierung auf der Flucht

„Die Bewohner bleiben nur ein, zwei Jahre in der WG. In dieser Zeit sollen sie lernen, selbstbewusste schwule Männer zu sein und sich nicht länger zu verstecken“, sagt Moser. Der Grund, warum so eine WG überhaupt notwendig sei, liege daran, dass Menschen, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen und in Flüchtlingsunterkünften oder Erstaufnahmezentren leben müssen, oft eine ähnliche Diskriminierung erfahren wie in ihrer Heimat.

Moser berichtet selbst von der Flüchtlingserfahrung, die er und seine Familie machen mussten, als er noch ein Kind war. „Ich konnte damals kein Wort Deutsch, nur Ungarisch und weiß, was es beutet, hier fremd zu sein“, sagt er.

Die Extrabehandlung mit den Zimmern haben die Bewohner der WG zum einen den Spenden der Aids-Hilfe zu verdanken, für die Moser arbeitet, und eben seinem ganz persönlichen Engagement. Denn er nimmt sich jedes Anliegen der Männer in der queeren WG zu Herzen und ist rund um die Uhr für sie erreichbar. „Einer der Bewohner mag zum Beispiel die Farbe Pink ganz besonders“, sagt er. Und dank Joschi Moser hat dieser nun pinke Vorhänge und einen pinken Hocker in seinem Zimmer.

Gefängnisstrafe in Nigeria für Homosexualität

Der Bewohner, um den es sich handelt, soll in diesem Artikel John genannt werden. John zeigt die Narben an seinem Körper und erzählt auf Englisch mit nigerianischem Akzent von seiner Flucht.

Als Banker habe er ein stabiles Einkommen in seinem Bundesstaat Imo State in Nigeria gehabt. Darum habe die Polizei, als sie Beweise für seine Homosexualität gesammelt hatte, versucht, ihn zu erpressen und Geld von ihm zu bekommen. „Ich bin nach meiner Entdeckung für Tage in den Busch geflohen und habe mich versteckt. Dort habe ich mir diese Verletzungen zugezogen“, sagt er. „Sie hatten mein Bild sogar in der Zeitung abgedruckt, als sie nach mir gefahndet haben“, so John. In Nigeria sind homosexuelle Handlungen illegal und können mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 14 Jahren bestraft werden.

Moser bestätigt die Information mit dem Zeitungsartikel. Denn dieser wurde der Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen vorgelegt, um so Johns Homosexualität auch zu beweisen. So wurde er in die Wohngemeinschaft nach Schwäbisch Gmünd vermittelt.

Angst vor der Familie in Afghanistan

In der Regel endet für schwule Männer der Leidensweg mit der Flucht nach Deutschland nicht. „Ich kenne Berichte von Homosexuellen, die auf der Flucht durch Afrika sexuell missbraucht wurden, als sich ihre sexuelle Orientierung herumgesprochen hatte“, sagt Joschi Moser. Ein aus Afghanistan geflohener ehemaliger Bewohner der WG habe sogar so große Angst davor gehabt, dass seine Familie in der Heimat trotz der großen Entfernung von seinem Geheimnis erfahren könnte, dass er wieder ausgezogen sei, um seine Homosexualität weiter zu verstecken.

Seit über fünf Jahren arbeitet Joschi Moser mit dem Ostalbkreis für die Wohngemeinschaft zusammen. Moser ist seit Jahrzehnten in der Schwulenbewegung aktiv und eine Legende in der Szene. „Ich kläre bei der Aids-Hilfe über körperliche und psychische Hygiene auf, und dazu zählt auch ein gesunder Umgang mit sich selbst“, sagt er. Seit einigen Jahren hat er daher auch die Arbeit mit den Flüchtlingen aufgenommen. „Die Arbeit mit der Aids-Hilfe ist mein Lebenswerk“, sagt er. „Und die Arbeit mit den Flüchtlingen ist das Sahnehäubchen dazu.“

Scham vor einem Coming-out

Die Dämonen der Vergangenheit

Das Problem mit den geflüchteten Menschen sei auch, dass Männer beim Erstantrag in Deutschland aus Angst und Scham selten ihre sexuelle Orientierung angeben würden. Samy hat das laut eigenen Angaben auch nicht getan.

„Die Caritas-Mitarbeiterin in der Lea hatte selbst eine lesbische Tochter, sie hat mir angesehen, dass ich meine wahre sexuelle Orientierung verstecke. Sie ist einer der Menschen, denen ich meine psychische Heilung zu verdanken habe“, sagt Samy.

Er hat noch viel aufzuarbeiten. Insbesondere von der Flucht. Als er vor einem Jahr mit seinem Freund die Grenze von Belarus nach Polen überquert hatte, mussten sie nachts mit vielen anderen durch einen dunklen Wald rennen. Dabei hat er seinen Freund verloren. Vielleicht ist ihm etwas passiert, oder vielleicht ist ihm auch die Flucht nach Großbritannien gelungen, so wie beide es ursprünglich geplant hatten.

Doch Gewissheit gibt es keine, höchstens Hoffnung. Samy bleibt nichts anderes, als die Dämonen der Vergangenheit zu bekämpfen, während sein neues Leben in Deutschland weitergeht.