Vergeblicher Protest gegen die Räumung. Foto: dpa

Kurz vor dem G20-Gipfel hat die Polizei einen linken Berliner Treffpunkt geräumt – Bewohner und Unterstützer protestieren gegen Gentrifizierung.

Berlin - Martina hat sich am Donnerstag morgen sehr früh auf den Gehweg der Neuköllner Friedelstraße gesetzt, dicht an dicht mit vielleicht 250 anderen Leuten. Jedem in der Sitzblockade ist von Anfang an klar, dass das hier nicht verhindern wird, wogegen sie protestieren: Am Donnerstag wird, nach jahrelangen Verhandlungen, das Ladenlokal geräumt werden, vor dem sie sitzen. Die „Friedel54“ ist ein Treffpunkt, ein Veranstaltungsort im Viertel, aber vor allem einer der Orte in der Hauptstadt , die zum Symbol für den Kampf gegen Gentrifizierung und Verdrängung geworden sind – nicht nur, aber auch für die linksextreme und autonome Szene.

„Eine Räumung, die keiner will? Die Demokratie ist tot“, steht auf einem Transparent am Balkon des Hauses – und auch: „G20 räumen.“ Das Feindbild ist klar: Auf dem linksradikalen Internetportal Indymedia wird zu Widerstand gegen die „Bullen“ aufgerufen. Für viele, die an diesem frühen Morgen hier sind, geht es nicht um den aktuellen Mietstreit, und auch nicht um die Kritik an der Politik, die nicht verhindert, dass der Boom der Stadt viele Bewohner hinten runter kippen lässt. Sie wollen hier fundamentale Systemkritik loswerden. Die „Friedel54“ gehört so wie die Rigaer Straße 94 in Friedrichshain zu den symbolisch aufgeladenen Kampfplätzen der Szene.

„Das darf nicht geräuschlos passieren“

Martina wohnt seit 20 Jahren in dem Viertel, als sie hierher zog, war dieser Teil von Neukölln das Gegenteil von schick. In den vergangenen Jahren ist die Gegend ein klassisches Beispiel für die Aufwertung eines Stadtteils geworden, aus dem finanzschwache Bewohner in der Folge verdrängt werden - Häuser werden verkauft, entmietet, saniert. Im Kiezladen war Martina nie. Es sei ein komisches Gefühl, sich so dicht nebeneinander zu setzen mit Fremden und darauf zu warten, weggetragen zu werden. Aber: „Was hier passiert, soll wenigstens nicht geräuschlos passieren.“

Schon in der ersten Dämmerung rücken Polizisten an, bauen Absperrungen auf, Gegendemonstranten sammeln sich. Das Feindbild der Protestierer ist klar – der Staat gehört auf jeden Fall dazu. Schnell spannt sich die Lage an: „Bullenschweine raus aus Berlin“, skandieren Demonstranten und auch - mit Blick auf die kürzlich durch wilde Feiern in Hamburg blamierte Berliner Einsatzhundertschaft: „Ich bin nichts, ich kann nichts, gebt mir einen Bademantel.“

Rein rechtlich gesehen ist die Lage in der Friedelstraße klar. Mehrfach hatte das Gebäude den Besitzer gewechselt, es kam zu heftigen Mietererhöhungen – und dann schien die Geschichte eine gute Wendung zu nehmen: Investor, Bezirk und Bewohner verhandelten über einen Syndikatskauf durch die Bewohner. Kurz vor Abschluss verkaufte der Investor dann das Haus weiter an eine Firma in Luxemburg, die den Mietvertrag kündigte. Jetzt muss die Polizei - ausgerechnet eine Woche vor dem G20-Gipfel in Hamburg, für den die linksextremistische Szene mobilisiert – die Kündigung durchsetzen. Der zuständige Gerichtsvollzieher beharrt auf dem Termin.

Frau Kreuzers Streuselkuchen kostet jetzt zwei Euro

Um die Ecke, im Friseursalon „Bärenschnitt“ in der Hobrechtstraße, ist schon am frühen Morgen was los – und der Trouble vor der Tür Tagesgespräch. Frau Kreuzer und ihre Nachbarin sitzen Spiegel an Spiegel, die Farbe zieht ein, und sie erinnern sich an früher. Frau Kreuzer wohnt seit den 80ern hier, sie war Putzfrau, ist jetzt in Rente. Erst mit Mietpreisbindung, die gibt es jetzt nicht mehr. „Früher hab ich 250 Euro bezahlt, jetzt sind es 550“, sagt sie. „Rente hab ich unter 1000.“ Der Bäcker hat jetzt vegane Croissants, aber Frau Kreuzers Streuselkuchen kostet zwei Euro. Der Friseurbesuch ist Luxus. „Die jungen Leute, die jetzt hierherkommen“, sagt Frau Kreuzer, „die machen den Bezirk viel teurer als er war. Lauter junge Menschen, denen die Eltern Einzimmerwohnungen für 600 Euro bezahlen. Parterre! Denen ist das egal, Hauptsache, sie leben hier und machen Party.“

500 Polizisten sichern derweil mit Fahrzeugen und Sperren die Straße, vertreiben Journalisten und beginnen dann damit, die Blockierer wegzutragen. Es gibt teils heftiges Gerangel, auch am Rande. Menschen werden verletzt. Immer wieder rennen Sanitäter zu Demonstranten, die nach ihnen rufen. Aber Alarmismus und verschärfendes Gebrüll gehören auch zur Strategie der Protestierer. Nach kurzer Zeit ist die Blockade geräumt, unter dem wütenden Protest von Demonstranten links und rechts der Straße. Martina berichtet, sie sei einfach weggetragen worden. „Aber ich hab gesehen, wie Polizisten Leuten ins Gesicht schlugen und nachtraten.“ Auch Lukas Theune, Anwalt von Bewohnern im 1. Stock kritisiert den Einsatz: er habe Angriffe auf Blockierer gesehen, im Hinterhof seien zwei Menschen bewusstlos gewesen und verspätet behandelt worden. Die Polizei sagt, eine Person habe einen Schwächeanfall gehabt, sei aber bei Eintreffen der Rettungskräfte wohlauf gewesen.

Ein Türknauf unter Strom

Nach der Räumung kommt die Polizei nur langsam in den verbarrikadierten Laden - mit Kettensägen, einer Flex und riesigem Hammer. Die Anwälte der Bewohner behaupten, Menschen hätten sich an der Tür einbetoniert und seien nun gefährdet, was die mitregierende Linkspartei dazu veranlasst, den Abbruch der Räumaktion zu fordern. Als Beweis dienen Fotos auf dem linksradikalen Internetportal, deren Echtheit unklar ist. Die Haupttür zum Laden ist, wie später auf einem Polizeibild zu sehen, mit einer Barrikade aus Schrott und Beton verrammelt. Laut Polizei haben die Besetzer einen Türknauf unter Strom gesetzt: „Lebensgefahr für unsere Kollegen.“ Die Besetzer weisen die Darstellung zurück.

Die Berliner Polizei hat Routine mit solchen Einsätzen, seit Wochen geht es im Kampf von Kiezbewohnern gegen Investoren und Verdrängung in der Rigaer Straße wieder hoch her. Der Sommer könnte noch heiß werden. Auch in Neukölln ist die Friedelstraße nur eines von mehreren Häusern, die von anonymen Immobilienfirmen erworben wurden, um lukrativ vermarktet zu werden. Um 13.30 Uhr ist es so weit. Die Polizei übergibt die Räume an den Gerichtsvollzieher. Der wird sie der Eigentümerfirma übergeben. Was die damit vorhat, ist unklar. Ein Kiezladen wird es wohl nicht werden. „Denen ist doch das Viertel egal“, sagt Martina. „Meine Hauseigentümer sind ältere Herrschaften irgendwo aus Süddeutschland. Die sind bisher immer maßvoll. Aber wenn die sterben, ist mein Haus bestimmt auch dran.“