Peter Sagan (rechts) fährt für das deutsche Team Bora-hansgrohe. Foto: AFP/Luca Bettini

Eine Art Götterdämmerung scheint angebrochen: Der Radstar Peter Sagan (30) findet nicht mehr zu alter Stärke – auch beim Giro d’Italia steckt er Niederlagen ein, egal welche Taktik er auch wählt.

Roccaraso - Eist ein seltsamer Giro d’Italia für Peter Sagan. Die erste Rennwoche ist vorbei – und noch immer hat er keinen Etappensieg. Seit Juli des vergangenen Jahres geht das so. Seit dem Etappensieg bei der Tour de France 2019 in Colmar gewann der Ex-Weltmeister kein einziges Rennen mehr, in der Pandemie-Saison blieb er komplett erfolglos. Er verpasste auch das Grüne Trikot bei der Tour de France. Eine Art Götterdämmerung scheint angebrochen.

Ganz unter geht die Sonne für Sagan allerdings nicht. Zwei Wertungstrikots eroberte er bereits. Auf der zweiten Giro-Etappe krönte er sich zum Bergkönig. Zwei Tage später konnte er im fliederfarbenen Trikot des Punktbesten zum Einschreiben fahren. Das Trikot stand dem gewohnten Grünen der Tour auch ausnehmend gut.

Eigentlich sollte der Giro das Erfolgserlebnis bringen

Die Weichen schienen gestellt, das Minimalziel Punktwertung bei diesem Giro erreichen zu können. Schließlich macht ein Großteil der Sprinterkonkurrenz in diesem Jahr einen Bogen um den Giro. Lediglich der Franzose Arnaud Demare (Sanremo-Sieger 2016), Italiens Bahn-Olympiasieger Elia Viviani, der Australier Michael Matthews und der Kolumbianer Fernando Gaviria sind von den Topleuten hier. So recht zum Zuge kommt der einstige Alleskönner Sagan dennoch nicht. Das Punktetrikot ist er wieder los. Der Rückstand zu Demare, mittlerweile dreifacher Etappensieger, ist gewaltig.

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Sagan trägt sein Schicksal immerhin mit Gelassenheit. „Früher habe ich mehr gewonnen, jetzt gewinnen die anderen“, sagte er lakonisch, als er auf der vierten Etappe des Giro von Demare um nur Millimeter geschlagen wurde. Das Zielfoto musste entscheiden, so knapp war es.

Im Rückblick war es der Schicksalssprint dieses Giro. Er katapultierte den einen, Demare, auf die Allee der Sieger. Und ließ den anderen, Sagan, wie einen begossenen Pudel aussehen. Denn eigentlich hatte Sagan bei diesem Sprint alles richtig gemacht. Sein Team platzierte ihn gut. Er ging früh raus, hatte Vorsprung, doch dann ließ der Zielstrich auf sich warten.

Drei Tage später änderte er seine Taktik. Nicht er eröffnete den Sprint. Vielmehr platzierte er sich am Rad von Demare. Der schloss aber erst die Lücke neben sich, durch die Sagan schlüpfen wollte, und spielte dann seine Grundschnelligkeit aus. Sagan schimpfte später über die Bewegung des Franzosen. Für die Rennkommissare war sie aber nicht strafwürdig.

Wenn die Explosivität nachlässt, kann es auch die Erfahrung nicht mehr lange richten

Sagan geht gerade den Weg aller Sprinter: Mit zunehmendem Alter nimmt die Explosivität ab. Erfahrung kann das noch eine ganze Weile kompensieren. Aber auch das geht nicht ewig. Sagan selbst weiß das. Er wollte in dieser Saison Prioritäten setzen. „Man kann nicht das ganze Jahr über topfit sein, ich will mich mehr auf die wichtigen Rennen konzentrieren und weniger auf die kleinen“, sagte er im Winter. Deshalb wollte er erstmals die Klassikersaison mit dem Giro kombinieren. Doch dann kam die Pandemie. Im heimischen Monaco durfte er längere Zeit nicht auf die Straße. Trainieren auf der Rolle ist eher nicht sein Ding. „Ich bin ein echter Rennfahrer, kein virtueller“, belächelte er etwas die virtuellen Rennen, die mancher Profikollege während des Lockdowns zur mentalen Abwechslung und zur Verbesserung der Fitness bestritt.

Auch das Doppelprogramm aus Tour und Giro mag ihm zum Nachteil gereichen. „Die Trainingssteuerung ist nicht einfach. Im Training gibt man vielleicht unterbewusst nicht das letzte Quäntchen, wenn man weiß, dass nach der Tour der Giro kommt“, erzählte Ralph Denk. Der Teamchef von Bora-hansgrohe hatte freilich gehofft, dass sich diese vermutete Trainingszurückhaltung vor der Tour beim Giro in Topergebnisse verwandeln möge.

Bisher erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Die zweite Giro-Woche bietet Sagan allerdings mehrere Gelegenheiten, den Bann der Sieglosigkeit zu brechen. Dann könnte die Abenddämmerung wieder zum Anbruch des Tages der Revanche werden, ohne dass die Schwärze der Nacht sich über den Slowaken gesenkt hätte.