Radschnellwege sollen mehr Menschen zum Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel bewegen. In Stuttgart bleiben die Radler-Highways politisch umstritten. Foto: dpa/Christoph Schmidt

Dem ADFC geht die Konzeption für einen Radfahrschnellweg durch Bad Cannstatt nicht weit genug – den bürgerlichen Fraktionen im Rat und der AfD dagegen viel zu weit. Deren Stadtrat Kai Goller provoziert im Stadtentwicklungsausschuss mit einem bizarren Vergleich.

Stuttgart - Das Konzept klingt gut: Statt mit dem Auto im Stau zu stehen, könnte man in Zukunft auf sogenannten Radschnellwegen aus der Region nach Stuttgart ein- und auspendeln und so nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch die Fitness steigern. Insgesamt 102 Kilometer dieser Highspeed-Verbindungen sollen in den nächsten Jahren entstehen, die Kosten von insgesamt 125 Millionen Euro würden zu 75 Prozent vom Bund und zu 12,5 Prozent vom Land bezuschusst. In Stuttgart hat die Stadt 13 Strecken identifiziert, die für solche Radschnellwege infrage kämen. Im September 2020 beschloss der Gemeinderat, den Bau der Strecken in Angriff zu nehmen. Jetzt, wo im Stadtteil Bad Cannstatt ein erster Abschnitt in Richtung Fellbach geplant wird, kommen im Gemeinderat erneut Vorbehalte auf.

AfD-Stadtrat provoziert mit bizarrem Vergleich

Entstehen soll der Radler-Highway beginnend an der König-Karls-Brücke über den Wilhelmsplatz und dann entlang der Waiblinger und Nürnberger Straße bis zur Gemarkungsgrenze von Fellbach. In beiden Fahrtrichtungen fallen demnach eine Autospur und einige Stellplätze weg, dafür werden drei Meter breite Radstreifen angelegt und die Fußgängerwege verbreitert. Prognosen zufolge könnten pro Tag rund 5000 Radler die Route nutzen, Autofahrer wären mehr als bisher genötigt, durch den als Entlastung für das verkehrsgeplagte Bad Cannstatt geplanten und 1994 eröffneten Kappelbergtunnel zu fahren. Doch den bürgerlichen Fraktionen im Rat und in der AfD gehen die Maßnahmen zu weit, während der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) Verbesserungen am Konzept anmahnt.

Im Stadtentwicklungsausschuss prallten am Dienstag die verschiedenen Auffassungen erneut aufeinander. Für Kai Goller (AfD) werden durch die Pläne „Stellplätze vernichtet und Infrastruktur abgeschafft“. Es drohe auf der Strecke – etwa nach Unfällen – ein Verkehrskollaps. Im Hinblick darauf, dass sich der ADFC im Vorfeld der Sitzung mit Verbesserungsvorschlägen an die Stadträte gewandt hatte, leistete er sich einen bizarren Vergleich: „Wenn ich Informationen zum Waffenrecht haben will, frage ich auch nicht bei der National Rifle Association nach.“ Der ADFC sei genauso eine reine Lobbyorganisation wie die US-Waffenlobby. Der Forderung von Grünen-Stadträtin Christine Lehmann, sich dafür zu entschuldigen, kam Goller nicht nach.

Stadt will weitere Verkehrsdossierung durch kürzere Grünphasen an Pförtnerampel

Lehmann hatte die Planungen begrüßt und dafür geworben, die vom ADFC angeregten Optimierungen wie etwa eine bauliche Trennung zwischen Auto- und Radstreifen mit in die Planung einzubeziehen. Wie SPD-Fraktionschef Martin Körner („Weniger Platz für Autos ist gewollt“) begrüßte auch Christoph Ozasek vom Linksbündnis die Pläne, die Fahrspuren zu reduzieren. Der Unionsfraktion warf er vor, immer noch aus der „Windschutzscheiben-Perspektive“ zu argumentieren. Der Grund: CDU-Stadträtin Beate Bulle-Schmid hatte die Wegnahme von Fahrspuren kritisiert und vor Schleichverkehr durch angrenzende Wohngebiete gewarnt.

Als „völlig daneben“ bewertete sie Überlegungen für eine Schnellbuslinie aus dem Rems-Murr-Kreis nach Stuttgart, die den Radschnellweg mitnutzen und auch das Krankenhaus in Bad Cannstatt anfahren soll. Auch Armin Serwani bezeichnete einen Schnellbus, der nur der S-Bahn und Stadtbahn Konkurrenz mache, als „rausgeschmissenes Geld“. Weil auf der Strecke immer noch 26 000 Autos am Tag zwischen Fellbach und Stuttgart in beiden Richtungen unterwegs sind, will die Stadt mit Fellbach über eine Reduzierung des Verkehrszuflusses reden: Demnach soll die Pförtnerampel an der Gemarkungsgrenze (Beskidenstraße) so programmiert werden, dass die Grünphase noch kürzer wird. Auch über den Anschluss des Stuttgarter Radschnellweg-Abschnitts mit der Fortsetzung auf Fellbacher Seite will sich die Stadt auf Bürgermeisterebene abstimmen – wenn der Stuttgarter Gemeinderat den Plänen zugestimmt hat.