Eine Deponie für die Abfälle aus den belgischen Pannenreaktoren wird gesucht. Foto: dpa/Oliver Berg

Ausgerechnet in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen wegen Corona führen belgische Behörden eine Bürgeranhörung zur Endlagersuche durch. Das erregt Misstrauen.

B - Belgiens in die Jahre gekommene Kernkraftwerke in Doel und Tihange lösen sowohl in Belgien als auch in der deutsch-niederländisch-luxemburgischen Grenzregion immer wieder Sorgen aus. Während in Deutschland der Atomausstieg längst beschlossen ist, wird in Belgien bereits über die nächste Laufzeitverlängerung der Pannenreaktoren über das Jahr 2025 hinaus spekuliert. Die belgischen Behörden legen bei den Genehmigungsverfahren eine gewisse Hemdsärmeligkeit an den Tag. So urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2019, dass die belgische Atombehörde zwingend eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung hätte vornehmen müssen, bevor eine Laufzeitverlängerung für Reaktoren Doel 1 und Doel 2 bei Antwerpen gewährt wurde.

Naturschützer sind alarmiert

Ausgerechnet in der Zeit, in der in Belgien Corona-bedingt strikte Kontakt- und Reiseverbote gelten, unternehmen die Behörden nun einen Schritt zur Suche nach einem atomaren Endlager. Die für Atommüll zuständige Behörde NERA hat von Mitte April bis zum 13. Juni eine Anhörung in der Sache angesetzt. Teilnehmen kann jeder interessierte Bürger. Ziel ist zunächst einmal festzulegen, was mit dem Atommüll geschehen soll. Als einzige Lösung wird ein unterirdisches Endlager für das radioaktive Abfallprodukt vorgeschlagen. Sieben Standorte sind dafür bereits in der ersten Auswahl. Zwei davon befinden sich im Grenzgebiet zu Deutschland. Aus deutscher Sicht ist der mögliche Standort im Hohen Venn von besonderer Bedeutung: In dieser ostbelgischen Region in unmittelbarer Nachbarschaft zur Eifel liegen Heidelandschaften Belgiens, die auch von Deutschen besucht werden.

Grüne mobilisieren

Gegen die Endlagersuche regt sich jetzt in und außerhalb Belgiens Widerstand. Grüne aus Deutschland, Niederlande und Luxemburg machen mobil. In einem Schreiben mehrerer Grünen-Abgeordneten aus mehreren Ländern an die belgische Regierung, das unserer Zeitung vorliegt, heißt es: „Dass Belgien sich um einen Endlagerstandort kümmert, ist grundsätzlich richtig. Denn am Ende muss der Atommüll irgendwo möglichst sicher gelagert werden.“ Die Abgeordneten, darunter der Europa-Abgeordnete Daniel Freund und Oliver Krischer, Vize der Bundestagsfraktion, monieren aber: „Das belgische Vorgehen widerspricht den Verfahren, wie sie im vereinten Europa Standard sein sollten.“ Sie rügen den Zeitpunkt: „Das hindert Bürger, gerade aus den Risikogruppen, sich zu beteiligen.“

Außerdem kritisieren sie, dass unterlassen wurde, Anwohner sowie Behörden im benachbarten Luxemburg, Deutschland und Niederlande zu informieren. Der Vorstoß des belgischen Grünen-Abgeordneten Samuel Cogolati, die Anhörung um 30 Tage zu verlängern wurde zunächst abgewiesen. Jetzt wird darüber am Donnerstag im belgischen Parlament abgestimmt. In dem Schreiben heißt es weiter: „Das bestärkt den Eindruck, dass hier eine unpopuläre Entscheidung im Schatten der Corona-Krise undemokratisch durchgedrückt werden soll.“

Luxemburgs Umweltministerin Carole Dieschbourg sieht EU-Recht verletzt: Eine EU-Richtlinie zur Abschätzung der Umweltfolgen schreibe eine Prüfung der unmittelbaren Auswirkungen eines solchen Vorhabens auf die Umwelt vor – unabhängig davon, ob eine Maßnahme diesseits oder jenseits der Grenze stattfindet. „Das wurde in diesem Fall nicht gemacht, und das ist ein Skandal.“

Die Einleitung der Endlagersuche kommt für viele überraschend. Bislang war man immer davon ausgegangen, dass der belgische Atommüll in Bure im lothringischen Frankreich eingelagert werden soll. Beobachter vermuten, dass ein belgisches Endlager als Argument dienen soll, wenn es demnächst um die nächste Laufzeitverlängerung der belgischen Reaktoren geht.