Aktivisten kleben sich an Rahmen berühmter Bilder, um für Tempo im Kampf gegen den Klimawandel zu protestieren. Was geschieht da?
Ein wenig hilflos sehen sie aus, der Heidelberger Schauspieler Raúl Semmler (38) und Penelope Frank (31), wie sie da am Mittwoch links und rechts ein Hauptwerk der Sammlung des Städel-Museums in Frankfurt flankieren.
Hoher Anspruch
Jeweils eine Hand ist an den gedrechselten und vergoldeten Rahmen von Nicolaus Poussins „Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe“ geklebt. Fotoapparate klicken gleich serienweise. Eine Performance? Dafür wäre die Szenerie schlicht zu dünn. Eine „radikale Aktion“ beanspruchen die Mitglieder der Umweltaktivistengruppe „Letzte Generation“ gleichwohl für sich.
Raul Semmler hat es zu einiger Bekanntheit gebracht, seit er vor einigen Wochen das Notventil einer Ölleitung in Mecklenburg-Vorpommern zugedreht hat. Ein mit Unterlassung belegtes Foto zeigt ihn in Warnweste, angekettet an eine Ölpipeline. Der Protest richtet sich gegen eine unterstellte Untätigkeit der Politik im sich beschleunigenden Klimawandel. „LNG-Terminals, der Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken und ein Ausbleiben sinnvoller Maßnahmen wie ein Tempolimit oder kostenloser Nahverkehr“, scheibt die Gruppe, „werden uns weiter in die tödliche Klimakatastrophe führen.“
Protest braucht Bilder – das führt im Feld der Umweltaktivisten nicht nur Greenpeace seit Jahrzehnten erfolgreich vor. Braucht der Protest aber auch (berühmte) Bilder, um (wirkstarke) Bilder zu produzieren?
Sechs Klebeaktionen Menschen an Bilderrahmen sind mittlerweile verzeichnet: In England durch die Gruppe „Just Stop Oil“ rückten Werke von Joshua Reynolds und Vincent van Gogh neu in den Blick, in Italien brachte die Gruppe „Ultima Generazione“ Sandro Botticellis „Primavera“ in den Florentiner Uffizien weitere Aufmerksamkeit und entriss, gekettet an das Absperrgitter, die Giotto-Fresken in der Scrovegni-Kapelle in Padua gewohnter Genügsamkeit.
Doppelschlag in Deutschland
In Deutschland nun der Doppelschlag: Am Dienstag das Festkleben am Rahmen von Raffaels „Sixtinischer Madonna“, Herzstück der Dresdner Gemäldegalerie, am Mittwoch der Auftritt mit Poussin in Frankfurt.
Das Ziel? Lea Bonasera, Mitgründerin der Gruppe „Letzte Generation“, formuliert es so: „Mit Aktionen wie der heutigen wird der Widerstand gegen den Kurs der Bundesregierung unignorierbar auch an Orte der Kunst und Kultur getragen. Orte, die einem absoluten Kollaps des Weltklimas und einem folgenden Zusammenbruch sozialer Systeme ebenso zum Opfer fallen werden wie unzählige Leben, wenn nicht endlich die Notbremse gezogen wird.“
Museen als Protestbühnen
Da schwingt offenbar die Hoffnung mit, Kunst und Kultur könnten sich auf ihre Weise am ausgerufenen Widerstand beteiligen. Speerspitzen im Kampf gegen den Klimawandel aber können gerade die nun eher benutzten als attackierten Museen nicht sein. Mit aufwendigster Klimatechnik sichern sie die Schätze voriger Generationen, und der Widerspruch will es, dass Kunstschätze unserer Gegenwart ganze Server-Armeen beschäftigen. Kurz: Die Klimabilanz der Kunst wie der Museen dürfte den „Letzte Generation“-Mitstreitern kaum gefallen.
Generaldirektorin Ackermanns Kritik
Wirklich nervös hat zumindest in Frankfurt niemand reagiert. „Der Betrieb“, betonte eine Städel-Sprecherin am Mittwoch, „lief normal weiter“. Das war am Dienstag in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden noch anders gewesen – die für den Tagestourismus wichtige Galerie war drei Stunden geschlossen.
Beide Museen haben Strafanzeige erstattet, die Ermittlungen laufen. Und Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, kritisierte: „Das kann Nachahmungstäter anlocken, die das nächste Mal wirklich das Bild angreifen und zerstören.“ Ackermann, die 2003 bis 2009 das Kunstmuseum Stuttgart im Höchsttempo in bundesweites Scheinwerferlicht lenkte, kommentierte die Sekundenkleber-Aktion denn auch knapp: „Das finde ich nicht in Ordnung.“
Nur vordergründig erfolgreich
Auf den ersten Blick macht die Aufmerksamkeit die Klebeaktionen der „Letzten Generation“ erfolgreich. Auf den zweiten Blick bleibt eher, was in Dresden wie in Frankfurt auffiel: Die Unsicherheit der Aktivistinnen und Aktivisten selbst. Die Kunst zu benutzen – das scheint auch sie nicht wirklich überzeugt zu haben. Umso weniger, als die Kunst selbst in Sachen Protest in der Geschichte wie in der Gegenwart deutlich mehr Kraft entwickelt hat.