Wie eng werden Radfahrer in Stuttgart überholt? Das haben wir mit einem Studierendenteam der DHBW Stuttgart gemessen Foto: StZN/Schröppel

Autofahrer halten in Stuttgart in der Regel nicht den vorgeschriebenen Abstand ein, wenn sie Radfahrer überholen. Das zeigen Daten, die 100 Freiwillige für unser Projekt gesammelt haben.

Stuttgart - Stuttgarts Radfahrer werden in drei von vier Fällen zu eng überholt. Das ist das Ergebnis einer Datenerhebung unserer Zeitung im Rahmen des Projekts „Radort Stuttgart“. Dafür haben wir zwischen April und November aus 200 Bewerberinnen und Bewerbern mehr als 100 Freiwillige mit Sensoren ausgestattet und ihre üblichen Routen fahren lassen.

In drei Viertel aller Fälle wurde der in der Straßenverkehrsordnung vorgeschriebene Mindestabstand von 150 Zentimetern nicht eingehalten. In zwei Prozent aller Fälle wurden weniger als 50 Zentimeter zwischen Fahrradlenker und Außenspiegel gemessen.

Jeweils eine Woche lang war der „Kesselbox“-Sensor der Studierendengruppe „Kesselnetz“ von der Dualen Hochschule (DHBW) auf dem Gepäckträger mit dabei und hat automatisch registriert, wenn ein Auto die Radfahrer überholt. Nach der Datenbereinigung blieben 1251 Überholvorgänge übrig.

Abbild des Stuttgarter Straßenverkehrs

Der Wert erscheint zunächst relativ niedrig angesichts der hohen Zahl von mehr als 100 Freiwilligen. Allerdings haben diese keine Extrastrecken zurückgelegt, sondern sollten bewusst nur jene Routen fahren, auf denen sie ohnehin unterwegs sind – und in der typischen Frequenz. Wegen der Pandemie ist bei weitem nicht jeder jeden Tag zur Arbeit geradelt. Zudem war das Sommerhalbjahr teils verregnet und etliche Freiwillige bewegen sich vor allem innerhalb des Kessels, also auf relativ kurzen Routen.

Man darf also vermuten, dass in dem Datensatz ein relativ repräsentatives Bild des Stuttgarter Straßenverkehrs steckt. Weil bei jedem Überholvorgang auch die Standortdaten erfasst werden, zeigt sich, dass das mit dem Zu-eng-überholt-werden fast überall passieren kann: Mal wurde ein Radler in der Böblinger Straße geschnitten, mal am Herdweg und auf der Theodor-Heuss-Straße. Auch am Marienplatz und in der Klingenstraße maßen die Kesselnetzsensoren mindestens einmal weniger als 50 Zentimeter Überholabstand.

Wie eng überholt wird

Den größten Anteil machen allerdings Überholabstände zwischen 100 und 150 Zentimetern aus, wie das folgende Schaubild zeigt:

Damit wird in Stuttgart enger überholt als in Berlin. Der „Tagesspiegel“, dessen „Radmesser“-Projekt die Datenerhebung unserer Zeitung inspiriert hat, ermittelte in der Hauptstadt vor drei Jahren einen Anteil von knapp 20 Prozent Überholvorgängen mit weniger als einem Meter Abstand. In Stuttgart beträgt der Anteil 27 Prozent.

Der „Tagesspiegel“ errechnete anhand von 16 000 Überholmanövern, dass Radfahrer umso enger überholt werden, je langsamer sie unterwegs sind. Die Erhebung unserer Zeitung bestätigt diesen Befund nun für Stuttgart. Beispielsweise waren die überholten Radfahrer in so gut wie allen Fällen, wo weniger als 50 Zentimeter zwischen Lenker und Außenspiegel blieben, eher langsam unterwegs – im Schnitt mit 13 km/h. Wo wie gesetzlich vorgeschrieben mit mindestens anderthalb Metern Abstand überholt wurde, betrug die Geschwindigkeit der Radler im Schnitt knapp 18 km/h.

Das Schaubild zeigt den Zusammenhang von Geschwindigkeit und Überholabstand:

Auch die Art der Straße und, damit zusammenhängend, das Tempolimit beeinflussen den Überholabstand. Wo wie etwa in der Tübinger Straße oder Lautenschlagerstraße Tempo 20 gilt, wird im Schnitt sehr eng überholt. Bei Tempo 60 halten die Autofahrer sichtlich mehr Abstand.

Tempolimit und Überholabstand

Im Datensatz finden sich auch einige Überholvorgänge auf Straßen mit einer Höchstgeschwindigkeit bis 100 km/h. Diese Freiwilligen waren meist am Stadtrand oder außerhalb Stuttgarts unterwegs, etwa auf der K 1227 zwischen Steinenbronn und Leinfelden.

Wir werden in den kommenden Tagen und Wochen weitere Auswertungen zum Datensatz aus dem Projekt veröffentlichen. Falls Sie an den beschriebenen oder anderen Stellen ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder sich die Lage aus Ihrer Sicht ganz anders darstellt, freuen wir uns über eine Nachricht an radfahren@stzn.de.