Vor der Bike-Werkstatt: Bassi Haller, Alessandro Erichson, Eric Röcker. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Stuttgart ist eine Autostadt. Immer noch. Aber die Radler spüren Rückenwind. Seit einiger Zeit blüht eine Szene von Enthusiasten in Stuttgart, die Hügeln, Autos und Feinstaub trotzt. In der Eberhardstraße kann man Räder reparieren lassen – in der Blumenstraße entsteht ein Faltrad.

Stuttgart - Die Zeichen sind eindeutig und auch für Kurzsichtige gut zu erkennen. Auf den Asphalt der Eberhardstraße sind riesige Radfahrer gemalt. Das heißt: Hier ist eine Fahrradstraße. Radler haben Vorfahrt. Eigentlich. Doch wer hier radelt, fährt Slalom, vorbei an Autos, die in zweiter Reihe parken; vorbei an Lieferwagen, die Pakete bringen; vorbei an Limousinen, die betuchte Kunden zum Breuninger chauffieren. Das Elend der Stuttgarter Verkehrspolitik, hier umkurvt man es in zwei Minuten.

In der Eberhardstraße entsteht eine Werkstatt

Nicht nur wer in dieser Stadt Fahrrad fährt, braucht einen Kopfschutz. Auch wer sich der Sache verschrieben hat, der Autostadt einige Meter Straße fürs Radeln abzuringen. Für den heißt es, Helm auf und ab durch die Wand. Mittlerweile finden sich aber einige Dickschädel beisammen, die sich nicht stören lassen davon, dass sie immer wieder abprallen. Sie versuchen es unverdrossen weiter. Bassi Haller ist so ein Typ. Er bringt anderen das Mountainbike-Fahren bei und gemeinsam mit Heiko Fuhrer, Hardy Tunnissen und Heiko Grelle eröffnet er am Samstag in der Eberhardstraße 35/37 die Bike-Werkstatt.

Eine reine Werkstatt. Dort werden Räder auf Vordermann gebracht, aber keine verkauft. „Ich habe das ja selbst erlebt, wenn du dein Rad reparieren lassen willst, rufst du fünf bis acht Händler an, und keiner hat Zeit.“ Oder er repariert nur „die Räder, die er selbst verkauft hat“. Das sei bei ihnen anders, versichert Haller. „Wir reparieren alles.“ Man kann sich sogar sein Rad im Internet bestellen, an die Bike-Werkstatt schicken lassen und „und wir bauen es zusammen“. Auch eine Art Kehrwoche fürs Rad soll’s geben, für 39 Euro wird es geputzt.

In 15 Städten wollen sie Werkstätten errichten

Haller ist sich sicher, dass das Konzept ankommt. So sicher, dass er und seine Kompagnons weitere Läden planen. In 15 Städten in Deutschland sollen Bike-Werkstätten entstehen. „Wir wollen bis zum Ende des Jahres drei weitere Standorte haben“, sagt er. Es gebe sogar schon eine Anfrage aus Offenburg. Da habe sich die Kommune gemeldet, „die wollen uns“. Auch in Stuttgart war man begehrt. Das Einkaufszentrum Gerber hätte die Bike-Werkstatt gerne im Haus gehabt, die Fläche aber war zu klein.

Haller wundert die Liebe nicht, die man ihnen entgegenbringt. „Wir haben das sorgfältig analysiert“, sagt er. „Die Zeit ist reif für unser Konzept.“ Die Verkehrspolitik stinkt buchstäblich vielen, Gerichte haben die Kommunen vergattert, etwas gegen Feinstaub und Stickoxide zu tun. Das Fahrrad soll es nun richten, „die Politik muss agieren“, sagt Haller, „Stuttgart will ja auch 20 Prozent Radverkehr erreichen.“ Statt momentan knapp über fünf Prozent. All die Radler brauchen nicht nur Radwege, sondern auch Stellplätze – und Werkstätten. „Was Pit Stop für Autos ist, wollen wir fürs Rad werden – eine Kette freier Werkstätten.“

Tobias Kruschhausen hat ein besonderes Faltrad entwickelt

Nicht weit entfernt von der Olgastraße betreiben Christopher Tuma und Sebastian Meyer in der Blumenstraße ihren Basis Radladen. Sie verkaufen Räder, reparieren und bauen welche. Der richtige Ort für Tobias Kruschhausen (32), um an seinem Faltrad zu tüfteln. Einst hat er Möbel und Sportgeräte entwickelt, dann hat er sich vor zweieinhalb Jahren selbstständig gemacht, um ein ganz spezielles Rad zu bauen. „Eines, auf dem man ordentlich fahren und es trotzdem zügig und platzsparend zusammenklappen kann.“ So eines hat er gesucht, aber nicht gefunden. Also hat er es selbst entwickelt.

Den Urahn aller Klappräder hat William Grout im Jahre 1878 entwickelt, damals musste man das Vorderrad noch in vier Teile zerlegen. Aus England kam dann auch in den Sechzigern das klassische Moulton Stowaway, mit einem Rohr und einem hohen Lenker. Das seitdem als Vorbild für nahezu jedes Klapprad dient. Doch Kruschhausen wollte ein Rad, das man nicht nur klappen kann, sondern auch eines, das beim Fahren nicht klappert. Eines mit klassischem Rahmen. Also einem, der aussieht wie ein Diamant, und deshalb Diamant-Rahmen heißt.

Er sammelt Geld via Crowdfunding über startnext

Doch wie klappen? „Am Anfang hatte ich zu viele Bauteile, zu viele Trennstellen, die ja dann auch immer Problemstellen sind.“ Das Prinzip verwarf er nach Prototyp zwei. Er baute einen Mittelsteg ein, trennte es dort, und betonte den Steg farblich. Nach Prototyp drei ersetzte er das Aluminium an der Trennstelle durch Eisenteile. Mit Prototyp vier, 12,5 Kilo schwer, zwei Gänge, Scheibenbremse, gefertigt bei einem Fräsbetrieb in Fellbach und einem Rahmenbauer in Mühlacker, ist er nun zufrieden.

Eine Kleinserie mit 50 Rädern möchte er bauen lassen, dafür sammelt er Geld über die Internet-Plattform www.startnext.com. Für 2690 Euro kann man sich ein Rad sichern. „Ich muss ausprobieren, ob das richtig ist“, sagt er. Denn eigentlich will man ja ein Fahrrad anfassen, es fahren, mal ausprobieren, wie das Falten funktioniert. Deshalb tourt er von Messe zu Messe, zeigt sich und sein Rad. In Düsseldorf bekam er den Publikumspreis. Er hofft, genug Bestellungen zu bekommen, wenn nicht werde er sein Rad trotzdem bauen. „Ich bin mir sicher, dass sich genug Leute dafür interessieren.“

Ein Faltrad und eine Werkstatt-Kette Made in Stuttgart, das ist wohl das sicherste Zeichen, das sich was ändert: Wenn Schwaben glauben, mit dem Fahrrad lassen sich gute Geschäfte machen.