Auf der Eberhardstraße haben Radfahrer das Sagen. Foto: Achim Zweygarth

Die Stadt kümmert sich um einen Ausbau der Fahrradwege, doch den Radverbänden geht es zu langsam voran.

Stuttgart - Claus Köhnlein hat keine leichte Aufgabe. Seit 1992 setzt er sich für eine Verbesserung des Radverkehrs in Stuttgart ein. Er ist der erste Fahrradbeauftragte der Stadt, die zwar Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg ist, aber trotzdem vor allem für eines bekannt bleibt: ihre Autos. Damals, als Claus Köhnlein seine Arbeit begann, stand es nicht gut um den Radverkehr in der Landeshauptstadt. Stuttgart hatte - und hat heute noch - die Flächen weitgehend verteilt – auf Autofahrer und Fußgänger. Für Fahrradfahrer gab es fast nur Kompromisslösungen, denn als Alltagsverkehrsmittel war das Zweirad lange nicht etabliert. Außerdem: Die topografische Lage der Stadt lädt den ungeübten Radler nicht gerade zu einer entspannten Fahrt zum Arbeitsplatz ein. Bei dieser Ausrede muss Köhnlein indes lachen, denn die gilt für ihn nicht. Als Student hat er als Fahrradkurier gearbeitet, sicher einer der physisch härtesten Jobs im Kessel.

Die Voraussetzungen mögen für Köhnlein in den Anfangszeiten schlecht gewesen sein, trotzdem ist er überzeugt: „Schon allein, dass die Stadt die Notwendigkeit gesehen hat, die Stelle eines Fahrradbeauftragten zu schaffen, zeugt doch von einem Umdenken.“ Früher sei der Radverkehr ein Abfallprodukt der Verkehrsplanung gewesen. „Es gab nie den Gedanken, ein Radverkehrsnetz auszuarbeiten, das hat ein paar Jahre gedauert“, sagt er. In den vergangenen Jahren sind rund 100 Kilometer Radwege hinzugekommen, heute sind es um die 160 Kilometer. Die Bedingungen für einen sicheren und zügigen Arbeitsweg mit dem Fahrrad sind deutlich besser geworden.

Der Radverkehr soll zwanzig Prozent ausmachen

Besser heißt aber nicht optimal. „Es ist schon noch ein sehr rudimentäres Verkehrsnetz für Radfahrer, aber es tut sich was“, gibt Köhnlein zu. Momentan bewegt sich alles unter der Prämisse, dass der Radverkehr bis 2020 zwanzig Prozent des Verkehrs ausmachen soll. Das ist das Ziel, das vor knapp zehn Jahren ausgegeben wurde. Seinerzeit schätzte man den Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr auf sieben Prozent – dies gilt übrigens auch heute noch. Um zu erreichen, dass mehr Menschen aufs Rad umsteigen, müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Deshalb war gleichzeitig einen Zehn-Punkte-Plan verabschiedet worden, der die konkreten Maßnahmen formulierte. Die wesentlichen Punkte waren der Ausbau zusätzlicher Radwege, die Änderung von Verkehrsregeln zu Gunsten der Radfahrer, eine verbesserte Wegweisung und die Erhöhung des Radverkehrsetats.

Daran wird seitdem gearbeitet. Das macht Köhnlein aber nicht allein. In Stuttgart sind Fahrradverbände und -organisationen, wie der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) oder die Naturfreunde Radgruppe Stuttgart, aktiv. Zusammen planen sie ehrenamtlich am Radverkehrsnetz mit. Im Stuttgarter Radforum, das seit 2006 unter der Leitung von Matthias Hahn stattfindet, trifft man sich in regelmäßigen Abständen. Doch das Forum kann nur beratend wirken, zu entscheiden hat Stadtverwaltung. Auch wenn man nicht immer einer Meinung ist, sagt Köhnlein: „Die Fahrradverbände sind unheimlich wichtig für die Entwicklung. Wenn die nicht so viel Druck machen würden, wäre es für mich deutlich schwieriger“.

Neue Radrouten machen den Verkehr zügiger

Im Mai erscheint nach vier Jahren ein neuer Radroutenplan der Stadt. Dieser zeigt deutlich, an welchen Stellen das Radverkehrsnetz verbessert wurde und an welchen noch Mängel zu beklagen sind.

So sind zum einen neue Radrouten und andere Wegführungen hinzu gekommen, um den Verkehr zügiger zu machen. Die Radhauptroute 1, der sogenannte Tallängsweg, wurde weiter verbessert, unter anderem durch das neue Teilstück am Charlottenplatz, das die Querung der Kreuzung für Radfahrer erleichtert oder durch einen Fahrradstreifen auf der Kaltentaler Abfahrt. Zudem sind jetzt mehr als die Hälfte der Einbahnstraßen für Radler geöffnet. Es gibt außerdem mehr Fahrradabstellplätze in der Stadt. Die Eberhardt-, Markt- und Münzstraße wurden Ende 2010 die ersten Fahrradstraßen der Stadt.

Tübinger Straße wird zur Mischverkehrsfläche

Hier aber fangen die Konflikte mit den Fahrradverbänden an. Peter Pipiorke ist Vorsitzender der Naturfreunde Radgruppe Stuttgart. Er hält von der Fahrradstraße nicht viel. Nicht grundsätzlich, sondern weil sich die Radfahrer sicher fühlten, und die Autofahrer sich nicht an die Regeln hielten. „Die Fahrradstraße macht den Verkehr noch gefährlicher“, sagt er. Köhnlein appelliert aber auch an die Toleranz der Radfahrer, denn die „sind auch keine Engel“. Ob Verkehrsschilder durch Toleranz ersetzt werden können, wird sich im Herbst zeigen. Dann wird aus der Tübinger Straße, die auch Teil der Radhauptroute 1 ist, eine Mischverkehrsfläche, auf der Fußgänger-, Rad- und Autofahrer gleichberechtigt sind. Es gibt dann einen radfahrerfreundlichen Asphalt, außerdem herrscht Tempo 20 – ein klares Entgegenkommen für Radfahrer.

Pipiorke sieht diese Veränderungen, hat aber trotzdem noch einiges zu bemängeln. Seiner Meinung nach kümmert sich die Stadt nur um „Leuchtturmprojekte“, wie er es formuliert. Es würden nur Maßnahmen getroffen, die eine hohe Außenwirkung haben, „doch eigentlich tut sich nicht viel“, sagt er. Es gebe keinen Durchbruch. Sicher, sagt er weiter, man hätte sich vor einigen Jahren noch nicht vorstellen können, dass es auf der Theodor-Heuss-Straße einen Fahrradstreifen gibt. Doch auch dieser sei nicht durchgängig, er endet an der Ecke Bolzstraße. „Alle Maßnahmen, werden nur unter der Prämisse durchgeführt, den Autoverkehr nicht zu behindern“, stellt er fest. Auch seien die Fahrradwege oft zugeparkt. Dann müssten Radfahrer absteigen oder die sicheren Radwege verlassen und sich in den normalen Verkehr einfädeln. Insgesamt gehe alles zu langsam.

Zühlke wartet auf einen energischen Schub

Frank Zühlke ist stellvertretender Kreisvorsitzender des ADFC und für den Bereich Verkehrspolitik zuständig. Auch er sagt: „Sicher wird heute schon mehr getan als vor zehn Jahren, doch wenn Stuttgart eine fahrradfreundliche Stadt sein will, dann muss sie mehr tun.“ Er hatte sich von der neuen Landesregierung mehr erhofft, zum Beispiel, dass es einen energischeren Schub gibt. Aber auf den warte er noch. Doch anders als Pipiorke glaubt er an den ernsthaften Willen der Stadt, etwas für die Radler zu tun. Zühlke sieht das Problem eher im Personalmangel: „Es gibt zu wenig, die in der Stadtverwaltung für den Bereich Fahrradarbeit zuständig sind. Es wird Zeit, dass Stellen besetzt werden.“ Er fordert vor allem mehr Tempo-30-Zonen. Wenn es nach ihm geht, sollen alle mittelgroßen Straßen innerorts umfunktioniert werden. So wie die Neckarstraße, bei der das heute schon der Fall ist. Bei anderen, wie der Silberburg- oder Reinsburgstraße, die sich laut Zühlke gut dafür eignen würden, sei er bisher aber auf Widerstand gestoßen.

Köhnlein ist sich der Probleme bewusst: „Ich muss schauen, dass ich die Radwege in das vorhandene Verkehrsnetz einfüge. Ich kann ja für den Radverkehr keine Häuser abreißen“, sagt er. Auch ihm gehe es an einigen Stellen zu langsam, „das liegt an der Planung, an der Politik und am Geld“. Im Laufe der vergangenen Jahre sei es aber besser geworden. Jetzt stünde mehr Geld zur Verfügung – statt 385 000 Euro pro Jahr, wie es 2005 der Fall war, sind es heute 2,4 Millionen – und die politische Unterstützung sei stärker geworden. Stuttgart habe Nachholbedarf, sagt Köhnlein. Doch die Veränderungen seien nachweislich sichtbar, denn „inzwischen rufen mehr Autofahrer an, dass zu viel für den Radverkehr getan werde, als umgekehrt“.

Köhnlein ist sich der Probleme bewusst: „Ich muss schauen, dass ich die Radwege in das vorhandene Verkehrsnetz einfüge. Ich kann ja für den Radverkehr keine Häuser abreißen“, sagt er. Auch ihm gehe es an einigen Stellen zu langsam, „das liegt an der Planung, an der Politik und am Geld“. Im Laufe der vergangenen Jahre sei es aber besser geworden. Jetzt stünde mehr Geld zur Verfügung – statt 385 000 Euro pro Jahr, wie es 2005 der Fall war, sind es heute 2,4 Millionen – und die politische Unterstützung sei stärker geworden. Stuttgart habe Nachholbedarf, sagt Köhnlein. Doch die Veränderungen seien nachweislich sichtbar, denn „inzwischen rufen mehr Autofahrer an, dass zu viel für den Radverkehr getan werde, als umgekehrt“.

Infos für Radfahrer

Karte: Die Karte beinhaltet nicht nur alle Radwege für Alltagsradler, sondern auch spezielle Radtouren für Ausflüge. Sie kostet 4,50 Euro. Weitere Informationen gibt es hier Anfang Mai.

Aktionstage: Am 12. und 13. Mai finden auf dem Schlossplatz die Fahrradaktionstage statt. Dort gibt es von 11 Uhr an Informationen und Aktionen rund ums Thema Fahrradfahren. Außerdem bietet die Veranstaltung die Möglichkeit mit dem Gemeinderat und der Fachverwaltung über die Radverkehrspolitik der Stadt zu diskutieren.