Mit der Uhlbergpassage zeigt sich Plattenhardt von seiner modernen Seite. Anderswo stehen alte Häuser, die mal liebevoll hergerichtet sind, mal in keinem guten Zustand sind. Foto: Thomas Krämer Foto:  

Die Filder sind im Umbruch. Die früheren Bauerndörfer wandeln sich fast schon in kleine Städte. In einer Serie beleuchten wir die Entwicklung einzelner Quartiere. Diesmal: Plattenhardt.

Filderstadt - So lang wie Bladdard. Dieses inoffizielle Maß wurde bisweilen in der Region verwendet, wenn man auf besondere Länge hinweisen wollte, wie der ortskundige Günter Glück in seiner Jugend selbst erfahren hat. Rund zweieinhalb Kilometer ist man unterwegs, wenn man von den ersten Häusern am nördlichen Ortseingang zu den letzten Gebäuden von Plattenhardt am Waldrand im Süden des Ortes läuft oder fährt. Ein typisches Straßendorf, an dem sich die Häuser früher vor allem beiderseits der Hauptstraße gruppierten. Ursprünglich gab es jedoch einmal drei Weiler, die zu „Blatinhart“ wurden: Plattenhardt selbst, aber dann auch Diemarsweiler (zwischen Plattenhardt und Stetten) und Reute im Südwesten.

„Eine Handvoll reicher Bauern gab es“, sagt Johannes Jauch. Ansonsten sei der Ort eher arm gewesen, so der Vereinsringvorsitzende. Nicht umsonst wanderte so mancher Bewohner nach Übersee aus, weil er seine Familie nicht ernähren konnte – so wie der Flugpionier Jacob Brodbeck. Man nutzte den Wald, wilderte sogar und klaute Holz – „noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg“, schmunzelt Jauch. Vor allem aber verdienten die Menschen ihr Geld als Handwerker und Bauarbeiter, fuhren dafür bis nach Stuttgart.

An der Volkshochschule Plattenhardt unterrichtete damals die erste Frau

„Die Handwerker und Arbeiter sind rausgekommen und haben das offene und freiheitliche Denken in den Ort gebracht, auch kommunistische und sozialistische Ideen“, sagt Glück. Eine Folge davon: die Leute taten sich zusammen, es wurden zahlreiche Vereine gegründet, darunter Sportvereine und der Liederkranz. Zeitweise gab es sogar bis zu einem Dutzend Wirtschaften. „Der große Zusammenhalt besteht heute noch“, sagt Jauch und denkt dabei an das Straßenfest sowie das Frühlingsfest im Gewerbegebiet.

Plattenhardt hat viele Facetten. Man schottete sich nach Worten Glücks ein wenig ab, galt in der Umgebung als streitsüchtig „und hatte so seine Probleme mit der Obrigkeit“, wie der Plattenhardter sagt. Auf der anderen Seite investierte die eigentlich arme Kommune Anfang des 20. Jahrhunderts in eine große Schule mit Turnhalle, und mit Sophie Rinker unterrichtete hier die erste weibliche Volksschullehrerin in der ganzen Region. Sogar zwei Kinos gab es Mitte des vergangenen Jahrhunderts.

Die Industrialisierung erreichte Plattenhardt 1925 mit dem Bau des Fabrikgebäudes der immer noch existierenden Firma Mack & Schneider,die im heutigen Domberger-Gebäude Hufstollen und Spikes für Autos produzierte. Die Firma ist mittlerweile ein wenig weiter im Osten beheimatet und Teil eines Gewerbegebiets zwischen Wohnhäusern und der Ostumfahrung.

Für Filderstadts Oberbürgermeister Christoph Traub ist es „einzigartig in Filderstadt“, das Gewerbegebiet lebe vom Engagement der Unternehmen. Allerdings seien in den Griebenäckern nur noch wenige freie Flächen verfügbar. Platz für neue oder die Erweiterung bestehender Betriebe ist rar. Das gilt auch für neue Wohnhäuser. Aus dem Straßendorf ist mittlerweile ein vierblättriges Kleeblatt geworden, da in den vergangenen Jahrzehnten große Freiflächen wie die auf den Lailensäckern oder den Griebenäckern bebaut wurden.

Der historische Ortskern hat „einen gewissen Wert“

Allerdings nicht so viel, wie in den 1960ern angedacht. Da träumte man von einem Wohngebiet mit 10 000 Einwohnern auf dem Weilerhau und baute entsprechend dort auch Schule und Sportgelände. „Schwerpunkt in Plattenhardt soll zukünftig die Innenentwicklung sein“, sagt Matthias Schneiders. Es gebe noch Potenzialflächen, wo in angemessenem Maßstab Wohnungen entstehen könnten, so der Stadtplanungschef. „Allerdings existieren auch Tabuflächen wie die Kirchgärten/Schafgärten, die als Streuobstgebiet und Rückzugsraum für Kleintiere erhalten werden sollten“, ergänzt er. So hat das Straßendorf mittlerweile mit dem Areal rund um die mehr als fünf Jahrhunderte alte Kirche und das Rathaus doch ein Zentrum – sowohl geografisch als auch von den Funktionen her.

Der historische Ortskern hat nach Worten von Christoph Traub einen „gewissen Wert“. Es gebe im Zentrum jedoch Dinge, die man „zur Attraktivierung des Stadtteils angehen könne“, ergänzt der Oberbürgermeister und bezieht sich damit unter anderem auf die Bausubstanz. Die ist an manchen Stellen recht marode und alles andere als eine Augenweide. „Die Leute haben sich einfach nicht darum gekümmert“, kritisiert Jauch den Verfall historischer Gebäude. Und das setze sich bis heute fort. In der Tat ist die Spanne zwischen schmucken Fachwerkhäuser und maroden Altbauten, zwischen ansehnlicher moderner Architektur und fantasielosen Zweckbauten aus den 70er und 80er Jahren sehr groß. „Plattenhardt fehlt als Straßendorf die Mitte“, bemängelt Glück. Als Treffpunkt würde sich die – meistens mit Autos zugestellte – Fläche vor dem Rathaus anbieten. Die benachbarte und abgeschottete Uhlbergpassage ist für Glück „völlig verplant“. Auch nach Worten von Stadtplanungschef Matthias Schneiders klemmt es an dieser Stelle.

Im Jahr 2019 feiert Plattenhardt sein 750-jähriges Bestehen

All das ist sicherlich ein Grund dafür, dass immer mehr Schaufenster – und damit natürlich auch die dazugehörigen Geschäfte – leer sind, der Ortskern zum Einkaufen immer weniger bietet. „Die Aufenthaltsqualität muss verbessert werden“, sagt Glück. „Die Stadt muss Anreize schaffen“, fordert Jauch und kritisiert, dass aufgrund fehlender Ressourcen nicht viel vorangehen würde. Beide betonen jedoch auch, dass Einzelhandel Käufer benötigt und eine Stadt nur die Rahmenbedingungen setzen kann. Das örtliche Leitbild sieht für Plattenhardt eine zurückhaltende Entwicklung vor. „Das Stadtteilzentrum soll gesichert werden“, schildert Schneiders ein Ziel. Dazu muss jedoch die Abwärtsspirale gestoppt werden. Oder man verabschiedet sich von Plattenhardt als Standort für den Einzelhandel und bietet nur noch eine Grundversorgung an – die mittlerweile vor allem am Ortsrand auf der einst grünen Wiese beheimatet ist.

Mit der Volkshochschule und der Kunstschule sind im Plattenhardt zwei für Kultur sowie außerschulische Bildung wichtige städtische Institution beheimatet. Zusammen mit der Siebdrucksammlung des Landes im Domberger-Gebäude sieht das der Oberbürgermeister als „Markenkern“ für Filderstadt. Und Plattenhardt hat einen weiteren großen Trumpf: Der Ort liegt an der Schnittstelle zwischen der Filderebene und dem Schönbuch. Man ist schnell am Flughafen oder in Stuttgart, noch schneller im Grünen, auf dem Weilerhau oder am Uhlbergturm. Man nutzt den Wald also wieder – allerdings anders als früher. Jetzt geht es um Naherholung und nicht mehr um Reisig und Rehe. „Man kann hier sehr gut wohnen“, fasst Glück all diese Standortvorteile zusammen.

Plattenhardt wird 2019 sein 750-jähriges Bestehen feiern. Denn 1269 wurde der „Ritter Diepold von Blatinhart“ in einem Dokument erwähnt. „Die Vorbereitungen für das Fest laufen schon“, sagt Jauch.