Das Zentrum von Leinfelden ist rund um den Neuen Markt zu finden. Der ist urban gestaltet, manch einer vermisst allerdings Atmosphäre. Foto: Thomas Krämer

Die Filder sind im Umbruch. Die früheren Bauerndörfer wandeln sich fast schon in kleine Städte. In einer Serie beleuchten wir die Entwicklung einzelner Quartiere. Diesmal: Leinfelden.

Leinfelden - Es muss ein idyllischer Anblick gewesen sein, damals, im Jahr 1949. „Da stand das Rathaus von Leinfelden noch inmitten einer Streuobstwiese“, sagt Roland Klenk schmunzelnd. Wenn der Oberbürgermeister heute aus seinem Rathaus blickt, dann sieht er keine Streuobstwiesen mehr, sondern das Feuerwehrhaus, den S-Bahnhof mit dem dahinter liegenden Gewerbegebiet und Wohnhäuser. Und er weiß die Filderhalle in der Nähe. Die grüne Idylle ist unter die Räder und Mauern gekommen. Man wollte eine neue Mitte schaffen und Leinfelden mit dem damals größeren Unteraichen verbinden. Deshalb auch der Platz in der Mitte zwischen den beiden Kommunen.

„Leinfelden kommt aus einer armen Vergangenheit“, sagt Klenk. Die Böden rund um den Ort waren weniger gut als die in der Nachbarkommune Echterdingen. Mitte des 19. Jahrhunderts müssen sogar Hunderte Menschen den Ort in Richtung Amerika verlassen, weil es weder ausreichend Arbeit gibt, noch die Äcker genügend abwerfen. Ende der 1940er Jahre, als das Rathaus auf der grünen Wiese entsteht, hat in Leinfelden die Industrieansiedlung bereits begonnen. Denn 1927 hatte mit der Trikotwarenfabrik Lang und Bumiller der erste große Industriebetrieb die Produktion auf dem heutigen Bosch-Gelände aufgenommen und war damit der erste große Betrieb auf den Fildern. „400 bis 500 Menschen arbeiteten dort, vor allem Frauen“, sagt Stadtarchivar Bernd Klagholz. Ein Jahr später hielten die erste Züge der Schönbuchbahn in Leinfelden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg eine „Boomtown“

Der Ort wurde zum Eisenbahnknotenpunkt für das Filder-Schönbuch-Gebiet, da zudem die Straßenbahnverbindung nach Möhringen eröffnet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich der wenige Jahrzehnte zuvor arme Ort rasant zur „Boomtown“, wie der Stadtarchivar sagt. „Leinfelden gehörte zu den Gemeinden mit dem schnellsten Bevölkerungswachstum“, ergänzt er, „bereits 1965 wohnten dort 10 000 Menschen“. Nach Ansicht von Klagholz ist der Aufschwung untrennbar mit dem Namen des damaligen Bürgermeisters verbunden: Gustav Egler.

Der habe dafür gesorgt, dass auch heute noch wichtige Unternehmen wie Roto-Frank und Bosch nach Leinfelden kamen. Die frühe Industrieansiedlung verdankt die Kommune der Infrastruktur – vor allem die vor der Haustür verlaufenden Autobahn, die Nähe zum Flughafen und die Anbindung an den Schienenverkehr sind neben der Nähe zur Landeshauptstadt Stuttgart große Standortvorteile – die aber auch ihre Nachteile haben, was vor allem in den vergangenen Jahren in Unteraichen sichtbar wurde. Denn dort grenzen Wohn- und Gewerbegebiete aneinander, die Straßenführung ist verworren. Die historische Entwicklung hat dem Ort zum einen die Eisenbahn gebracht, die jedoch eine nur schwer zu überwindende Schneise durch den ganzen Ort geschlagen hat.

Leinfelden ist eine Wohn- und Schlafstadt

Der Fokus auf die Industrie hat noch einen anderen Effekt. „Leinfelden ist bis heute eine Wohn-und Schlafstadt“, sagt Klenk, was besonders in Oberaichen zu spüren sei. Es gibt deutlich mehr Einpendler als Auspendler. „Im Vergleich zu anderen Stadtteilen ist in Leinfelden bis heute keine richtige Gemeinschaft entstanden, Traditionen haben keinen so hohen Stellenwert “, sagt der Oberbürgermeister und macht dies auch daran fest, dass der Einfluss des Pietismus nicht so groß, Leinfelden eher liberaler sei. Auch historische Bausubstanz ist nur sporadisch erhalten. Das Zentrum des Ortes ist nicht um das historisch wirkende Rathaus, sondern um den ein ganzes Stück entfernt liegenden Neuen Markt herum zu finden, der urban gestaltet ist, für manche aber Flair vermissen lässt.

Dass Gewerbe und Wohnen oft zwei völlig verschiedene Dinge sind, bestätigt auch Daniela Müller, die am Neuen Markt ein Geschäft betreibt und im Vorstand des Verbunds Leinfelder Geschäfte ist. Den Neuen Markt empfindet sie durchaus positiv, allerdings wünscht sie sich mehr Grün und Spielgeräte für Kinder, um die Aufenthaltsqualität zu steigern. „Vor allem die Anbindung an das jenseits der Bahnlinie liegende Industriegebiet müsste verbessert werden“, sagt sie. Es gebe viele Pendler, die von der Stadt, in der sie arbeiten, nichts kennen würden. Auf „der anderen Seite“, sprich östlich der Bahnlinie, entsteht mit den Schelmenäckern ein großes Wohngebiet. Eine weitere Aufsiedelung könnte nach Worten Klenks zwischen Leinfelden und Echterdingen im Gewann Tiefenwiesen auf einem 6,5 Hektar großen Areal kommen. Und in Oberaichen wäre am südlichen Ortsrand noch Platz für weitere Häuser. Potenzial für eine weitere Bebauung sieht der Oberbürgermeister außerdem in den Rötlesäckern.

Die Stadt benötigt einen Masterplan

Ob das reicht? Daniel Ludin befürchtet, dass der Ort in gefährliches Fahrwasser komme. Der Vorstand der Industrie- und Wirtschaftsvereinigung und Geschäftsführer der Firma JW Froehlich wünscht sich mehr Investitionen in die Infrastruktur und eine Lösung der Verkehrsprobleme. „Die Stadt braucht einen Masterplan, was sie in den kommenden 20 Jahren erreichen will“, sagt er. Es seien Flächen nötig, um den ansässigen Unternehmen Erweiterungsmöglichkeiten zu geben und neue Betriebe – auch Start-ups – anzusiedeln, da die Stadt aus allen Nähten platze. „Es sind gute Ansätze da, die müssen aber möglichst schnell umgesetzt werden“, ergänzt Ludin.

Die Verkehrsprobleme wiegen schwer

Klenk will bei der weiteren Entwicklung großen Wert auf die Verkehrsprobleme legen. Schließlich hatten im Frühjahr Bürger auf die Probleme besonders an der Schnittstelle zwischen Wohn- und Gewerbegebiet deutlich hingewiesen. „Die Menschen sind durch die eigenartige Verkehrsführung belastet“, räumt er ein und bezeichnet den Verkehr als „eines der großen Probleme“ in Unteraichen. Eine Nordspange würde jedoch isoliert nur zu einer Verlagerung der Belastung führen. Viel erhofft sich Klenk von einem besseren ÖPNV und erwähnt in diesem Zusammenhang eine Taktverdichtung bei der Stadtbahnlinie U 5 oder den Einsatz von Langzügen. „Wir sind dazu in Gesprächen mit den SSB“.

Und dann ist da noch eine Entwicklung, auf die man in Leinfelden freilich nur wenig Einfluss hat. Der Ort ist zusammen mit Oberaichen und Unteraichen wie kein anderer von Stuttgart 21 betroffen. Der Lärmschutz wird das Gesicht der Kommune verändern. „Es gibt Vorschläge von der Bahn, die aber nichts mit Ästhetik zu tun haben“, bemängelt Klenk. Deshalb arbeite man intensiv daran, wie Lärmschutz und Stadtbild in Einklang zu bringen sind.