Im Schneesturm eingesperrt: Szene aus „The Hateful Eight“. Foto: Verleih

Quentin Tarantino hat seine ganz eigene Handschrift als Regisseur. In seinem jüngsten Kinofilm „The Hateful Eight“ versammelt er ein großartiges Ensemble in einer verschneiten Einöde nach dem Bürgerkrieg, um mit ihm ein tödliches, sehr blutiges Vexierspiel um Schein und Sein zu inszenieren.

Mister Tarantino, welchen Ansatz hatten Sie für die Geschichte von „The Hateful Eight“?
Mir gefiel die Idee, einen Film zu drehen, in dem jede handelnde Person ein Schurke ist. Ich benutze dieses Wort in Ermangelung eines passenderen Begriffs. Wir treffen in der Geschichte keinen Helden per se. All diese wenig vertrauenswürdigen Typen sind in einem Raum gefangen. Sie können nicht flüchten, weil ein Schneesturm tobt. Außerdem mochte ich den Gedanken, dass es nicht nur keinen Helden gibt, sondern dass man in diesem Film auf nichts und niemanden vertrauen kann. Der Autor gibt nicht vor, wer lügt und wer die Wahrheit sagt. Dahinter steckt die Idee, dass alle Entscheidungen, die der Zuschauer hoffentlich trifft, gegen Ende des Filmes hinterfragt werden müssen.
Hass ist ein zentrales Thema des Filmes. Wie kann eine Gesellschaft den Hass besiegen?
Eine ziemlich gute Frage. In diesem Film ist der Hass ein Nebenprodukt des Bürgerkriegs. Die Figuren haben die Apokalypse überlebt. Die Gesellschaft, wie sie sie kannten, hat sich in Rauch aufgelöst. Nun sind diese Überlebenden gemeinsam gefangen und schieben sich gegenseitig die Schuld für die Apokalypse zu, als die die meisten Amerikaner den Bürgerkrieg wahrgenommen haben. Besonders in den sieben, acht Jahren danach. Was hilft einer Gesellschaft, die Auswirkungen eines solchen Krieges zu überwinden? Das können wohl nur die Zeit und die nachrückenden Generationen.
Wie gehen Sie persönlich mit solchen negativen Gefühlen um?
Ich habe dieses Drehbuch in einer Zeit geschrieben, in der ich sehr depressiv und sehr zornig war. Wie ich mit diesen Gefühlen umgegangen bin? Ich habe sie in das Drehbuch einfließen lassen. Ich war in einer sehr schlechten Verfassung, als ich es schrieb. Das schlug sich in den Figuren nieder.
Was hat Sie aus der Bahn geworfen?
Darüber möchte ich nicht reden.
Sie sind ein Virtuose im Choreografieren von Gewalt. Aber warum verzichten Sie in Ihren Filmen auf Sexszenen?
Als Zuschauer spricht mich Erotik im Film durchaus an. Aber ich glaube nicht, dass ich sie inszenieren möchte. Mir gefällt der Gedanke nicht, einer Schauspielerin in einer solchen Szene hineinquatschen zu müssen. Außerdem soll mich mein Schreiben nicht entblößen. Was mich antörnt und was ich erotisch finde, geht niemanden etwas an. Wenn wir die 70er hätten und ich Joe Sarno wäre (Anm.: Pionier des Sexploitation-Genres), wäre das etwas anderes. Ich würde nur meine Filme machen, und wenn sie ins Kino kämen, wäre ich schon mit dem nächsten beschäftigt. Ich aber muss mich an einem bestimmten Punkt mit Menschen wie Ihnen zusammensetzen. (Lacht) Und wer möchte in einer solchen Situation schon über Sex reden?
Können Sie in der Realität Blut sehen, oder kippen Sie bei einer Operation um?
Ich bin auch im wahren Leben nicht sehr zimperlich. Ich beziehe keine Freude daraus, bei einer Operation zuzuschauen. Aber ich bewege mich in einem guten Mittelfeld. Ich bin weder blutdurstig noch überempfindlich.
Sie befinden sich momentan in einer sehr kreativen Schaffensphase. Wie halten Sie diesen Flow am Laufen?
Danke für dieses nette Kompliment. Ich weiß das sehr zu schätzen. Ich bin mit dem Autor und Regisseur Richard Kelly befreundet, der „Donnie Darko“ gemacht hat. Während der Entstehung von „Inglourious Basterds“ haben wir eine kleine Hausparty gefeiert. Wir waren in der Küche des Apartments, als er mich fast ein wenig an die Wand drückte und sagte: Quentin, ich weiß, woran du denkst. Du hast diesen Film gemacht, und du bist sehr stolz auf ihn. Und nun willst du für eine Weile abtauchen. Und ich sage dir: Lass es! Du bist auf Gold gestoßen und musst die ganze Goldader ausbeuten. Das ist nicht die Zeit zu pausieren, sich zurückzuziehen. Es ist Zeit, ein nächstes Projekt zu finden und es im selben Geist zu schreiben wie „Inglourious Basterds“. Letztendlich hat er recht behalten. Dies ist meine Zeit.
Wie finden Sie Ihr nächstes Projekt?
Indem ich nicht aktiv danach Ausschau halte. Wenn man auf ein Date geht, sucht man ja auch nicht gleich die Frau fürs Leben. Man möchte gemeinsam einen Kaffee trinken gehen oder sich einen Film anschauen. Oft leiten mich meine Filmstudien zum nächsten Szenario, manchmal ein bestimmtes Thema. Ich kam zu „Django“, als ich ein Buch über Sergio Corbucci schrieb, den Regisseur des „Django“-Originals. Er hatte ein sehr spezifisches Bild des Westens, sein Westen war gnadenlos, meiner Meinung nach der gewalttätigste und raueste. Als Autor bringe ich etwas zu Papier, und dann überarbeite ich es immer wieder. Nach ein paar Monaten widme ich mich wieder einem Drehbuch. Und im Vergleich zu der anderen Arbeit fällt mir plötzlich alles verdammt leicht. Das Schreiben fühlt sich frisch und befreiend an. Und ich beginne zu fliegen.
Vermissen Sie manchmal die Zeit, in der Sie in der Videothek gearbeitet haben und niemand Erwartungen an Sie hatte?
Ich erwarte, dass Sie viel von mir erwarten. Es ist schön, auf eine ziemlich solide Filmografie zurückzublicken. Jeder neue Film muss sich in diese Kette einfügen. Er darf nicht das schwache Glied in einer starken Kette sein. Damals war ich auch nicht anonym, die Leute aus meiner Stadt kannten mich als Typ aus dem Videoladen. Damals hatte ich natürlich nichts weiter als meine Meinung. Heute respektiert man, was ich zu sagen habe. Wenn ich damals Film X als großartig angepriesen habe, hat man es mit einem Schulterzucken abgetan. Heute heißt es: Wow, Quentin mag diesen Film! (Lacht)
Haben Sie je eine Regiearbeit von Til Schweiger gesehen, den Sie in „Inglourious Basterds“ besetzt haben?
Oh ja. Ich habe „Knockin’ On Heaven’s Door“ gesehen. Offiziell hat er den Film nicht inszeniert, aber ich habe gehört, dass er bis zu einem gewissen Maße Co-Regie geführt hat. Til hat mir eine 35-Millimeter-Kopie des Filmes gegeben. Ich habe mir auch „Barfuß“ angeschaut. Til dreht ja hauptsächlich Komödien. Außerdem habe ich ihn in einigen Filmen als Schauspieler erlebt. Ich wusste, mit wem ich es zu tun habe, als ich ihn besetzt habe.