Danny Dombrowski alias Drag Queen Danny Ma Fanny (o.li.), Pat Wagner (o.re.), Alisha Soraya Principe (u.li.) und Vava Vilde (u.re.) erzählen von ihren Erfahrungen. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone (o.li.+o.re.), Alisha Soraya Principe (u.li.), Vava Vilde/Bernd Hoffmann (u.re.)

Erst kürzlich wurde ein Jugendlicher im Stuttgarter Nachtleben Opfer eines homophoben Angriffs. Doch das ist kein Einzelfall. Ist die Sicherheit queerer Menschen in Stuttgart in Gefahr?

Pat Wagner aus Remseck ist 50 Jahre alt. Vor 28 Jahren outete sich Pat, identifiziert sich als nicht-binär, fühlt sich also nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zugehörig. Bereits zur Zeit seines Outings fühlte sich Pat als queere Person in Stuttgart nicht sicher.

 

„Damals wurden am Charlottenplatz Schwule zusammengeschlagen“, erzählt Pat. „Wenn ich mit meinem Partner durch die Stadt gegangen bin, habe ich über die Jahre sehr negative Erfahrungen gemacht. Oftmals wurde uns, wenn wir Hand in Hand gelaufen sind, „Schwuchtel“ hinterhergerufen oder es wurden uns Schläge angedroht.“ Seitdem sei viel passiert, doch negative Erinnerungen von damals kämen gerade in letzter Zeit immer wieder auf.

In Stuttgart beschimpft und bedroht

„Ich glaube nicht, dass Stuttgart wesentlich queer-feindlicher geworden ist, aber die Feindlichkeit ist spürbarer geworden“, sagt Pat. „Leute trauen sich eher, einen zu beleidigen oder sogar anzugreifen. Die Hemmschwelle ist niedriger. Ich habe auch das Gefühl, dass die Gewaltbereitschaft gestiegen ist.“ Pat führt das auch auf den gesellschaftlichen Diskurs zurück, der „zunehmend von rechts beeinflusst wird.“

Zahl der queerfeindlich motivierten Straftaten steigt

Tatsächlich wurden in Deutschland im Jahr 2024 laut Statista rund 1.770 Straftaten gegen die sexuelle Orientierung polizeilich erfasst. Damit ist ihre Zahl das siebte Jahr in Folge und auf einem deutlichen Höchststand. Bereits 2023 hatte das Bundeskriminalamt mit 1.785 Straftaten gegen Mitglieder der LSBTIQA+-Community im Bereich Hasskriminalität einen Anstieg der Fälle registriert. Im Jahr 2022 waren es noch 1.188 registrierte Taten. Insgesamt 212 Menschen waren im Jahr 2023 Opfer von queerfeindlichen Gewalttaten, 2022 waren es noch 197.

Auch in Stuttgart sind Fälle bekannt. Erst kürzlich wurde ein jugendlicher Tiktok-Star homophob angegangen. Auf der Königstraße gab es einen Angriff auf einen Stuttgarter Barkeeper und das Stuttgarter Kulturzentrum Prisma in Bad Cannstatt wurde im Frühjahr 2025 gleich zweimal Zielscheibe rechter Gewalt –Unbekannte hatten eine Regenbogenflagge vom Balkon des dortigen Sunny High Clubs entwendet und angezündet.

Das Polizeipräsidium Stuttgart schreibt auf Anfrage, in den vergangenen Jahren seien nur Einzelfälle angezeigt worden. Zu berücksichtigen sei jedoch „dass Straftaten zum Nachteil von Menschen mit LSBTIQ-Zugehörigkeit, die aufgrund der sexuellen Orientierung begangen wurden, nicht immer als solche erkannt und zur Anzeige gebracht werden“, so eine Sprecherin.

„Es gibt große Ängste“, sagt Lovepop-Veranstalter Dirk Wein. (Archivbild) Foto: Petra Xayaphoum

Das beobachtet auch Dirk Wein. Der Stuttgarter veranstaltet die queere Partyreihe Lovepop und ist Vorstand im Stuttgarter Clubkollektiv. Viele Vorfälle gerieten nie an die Öffentlichkeit, sagt er. „Es gibt viele Leute, die solche Vorfälle aus verschiedenen Gründen nicht zur Anzeige bringen wollen. Die Problematik nimmt aber stetig zu.“

Dirk Wein: Öffentliche Wahrnehmung fehlt

Bei der Lovepop habe es bisher „Gott sei Dank noch keinen schweren queerfeindlichen Übergriff“ gegeben, sagt Wein. „Es gab Vorfälle – mir sind vor allem Fälle verbaler Beleidigung bekannt – hauptsächlich aber nicht im Club, sondern eher vor der Tür auf der Straße.“ Dort sehe es anders aus. „In den letzten Jahren ist die Queerfeindlichkeit massiv angestiegen, auch die Gewalt gegen queere Menschen. Das bekomme ich auch aus Gesprächen mit anderen Stuttgarter Clubbetreibern- und Betreiberinnen, Partyveranstaltenden und im Clubkollektiv mit.“

Die Stimmung in der queeren Szene sei gedrückt. „Es gibt große Ängste. Bei der Lovepop etwa haben mich lesbische Frauen, Paare oder Leute, die allein unterwegs sind, schon gefragt, ob jemand sie kurz zur Bahnhaltestelle oder zum Taxi begleiten kann. Wir empfehlen unseren Gästen auch immer, nicht allein, sondern in größeren Gruppen heim zu gehen.“ 

Wein führt die aktuelle Situation und queerfeindliche Anfeindungen vor allem auf eines zurück: „Früher war die Situation teils entspannter als heute. Das liegt auch an dem Hass, nicht nur gegen queere Menschen, der im Netz entsteht.“

Die Stuttgarterinnen Carla und Natascha, beide 31 Jahre alt, leben in einer lesbischen Ehe und berichten ebenfalls von schlechten Erfahrungen. „Wir laufen nicht mehr Hand in Hand durch die Stadt, weil wir dafür schon oft unangenehme Blicke kassiert haben“, erzählt Carla. „Das muss nicht mal nachts sein – auch tagsüber kommt das vor. Ich denke, Stuttgart ist auch heute noch keine Stadt, in der man das machen kann, ohne angeschaut zu werden – davon sind wir hier noch weit entfernt.“ Gleichzeitig hänge es sehr davon ab, in welchen Bereichen der Stadt man sich aufhalte, sagt sie. Generell fühlt sich das Paar in Stuttgart jedoch nicht sicher damit, seine Beziehung überall – außerhalb ihrer Safer Spaces – offen zu zeigen.

Im Club aus dem Klo gezogen – Vorfälle im Stuttgarter Nachtleben

Alisha Soraya Principe leitet den queeren Kulturort UTOPIA Kiosk im Leonhardsviertel und identifiziert sich selbst als nicht-binär. Auch Alisha kann von Anfeindungen berichten, die im Kiosk zur Sprache kommen – auch wenn Alisha selbst „bislang relativ wenige Konfrontationen in Stuttgart erlebt hat.“ „Hin und wieder wurde mir mal hinterhergeschrien, wenn ich mit Partner*innen unterwegs war. Das liegt aber auch daran, dass ich sehr weiblich gelesen werde“, sagt Alisha. „Bei mir sind es dann eher Cis-Männer, die sexualisierende Kommentare abgeben. Im UTOPIA Kiosk begegne ich aber natürlich auch vielen trans-femininen Personen – bei denen sieht das anders aus.“

Alisha Soraya und Holger Edmaier vom Projekt 100 % Mensch – die Gesichter hinter dem UTOPIA Kiosk. (Archivbild) Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Alisha erzählt von Szenen in Clubs. „Als nicht binäre oder trans Person in Clubs aufs Klo gehen ist häufig schwierig. Es wurden schon Leute aus dem Klo gezogen, weil sie nicht richtig gelesen werden konnten.“ Häufig gebe es zudem Probleme mit Türstehern – „betroffen sind dabei vor allem die Bipoc-Community und Leute, die als migrantisch gelesen werden“, so Alisha.

Der Regenbogen-Rucksack bleibt daheim

Während Pat Wagner aus Remseck noch vor einigen Jahren selbstbewusst mit Regenbogen-Rucksack und lackierten Fingernägeln in der Innenstadt unterwegs war, bleibt der Rucksack heute eher zuhause, die Nägel bleiben unlackiert. „In den vergangenen drei Jahren habe ich bewusst gesagt: Nein, ich verstecke das nicht mehr. Jetzt beginnt das aber wieder“, so Pat.

Pat Wagner am Hans-im-Glück-Brunnen in Stuttgart: seinen Regenbogen-Rucksack hat Pat aus Angst vor Anfeindungen nicht mehr oft dabei. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

„Man kann in der Stadt häufig nicht einfach unterwegs sein, ohne dass jemand etwas sagt. In der Bahn von Remseck nach Stuttgart habe ich fast immer, wenn ich irgendein queeres Erkennungszeichen getragen habe, schlechte Erfahrungen gemacht.“

„Heute ist mehr Angst zu spüren“

Auch Pat sieht die Problematik im Nachtleben. Sogar im Bereich um den Hans-im-Glück-Brunnen in der Innenstadt – ein Ort, der eigentlich bekannt ist für sein offenes Publikum – sei Pat bereits queerfeindlich beleidigt worden.

„Heute ist mehr Angst zu spüren“, sagt Pat. Leute bedeckten ihre bunte Kleidung oder Zeichen wie den Regenbogen aus Furcht davor, angegangen zu werden. „Viele haben Angst. Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob man einen schwulen Cis-Mann fragt, der vielleicht etwas angepasster an die Heteronormativität lebt oder, ob sich jemand „femininer“ gibt“, so Pat.

Das bestätigt Danny Dombrowski, in Stuttgart bekannt als Drag Queen Danny Ma Fanny. „An sich fühle ich mich in Stuttgart schon wohl, aber vielleicht auch, weil sich mein Kleidungsstil geändert hat“, sagt er. „ Als ich mich noch femininer gekleidet habe, habe ich schon auch mal einen abfälligen Blick geerntet.“

Danny Dombrowski alias Drag Queen Danny Ma Fanny (Archivbild) Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Nachts meide er Orte wie den Rotebühlplatz oder die Königstraße. „In einem eher auffälligen oder feminin gelesenem Outfit fühle ich mich nicht so sicher. Bis auf einen blöden Spruch ist da Gott sei Dank noch nie was passiert“, so der Stuttgarter.

Drag als Projektionsfläche für Aggressionen

In Drag sieht die Sache schon anders aus. „Durch Drag habe ich zum ersten Mal das Gefühl gehabt, nachvollziehen zu können, wie es vielen Frauen in solchen Situationen geht – auf eine Art, wie man es als Mann nicht kann“; sagt die Stuttgarter Drag Queen Vava Vilde. „Wenn man offen man selbst ist, läuft man immer Gefahr, Projektionsfläche für die Aggressionen und Unsicherheiten anderer Leute zu werden.“

Grund genug für Vava in Drag nicht allein, sondern nur in Begleitung in Stuttgart unterwegs zu sein. „Die Begleitung ist für mich wie eine Art Schutzschild. Wenn ich irgendwo als Drag Queen gebucht bin, schminke ich mich dort, fahre beispielsweise nicht mit den Öffentlichen hin und versuche so, Risikozonen zu umgehen“, erklärt Vava. „Ich habe das Glück, dass es bei mir nie eskaliert ist, aber ich kenne Leute, die überfallen worden sind oder wirklich körperlich angegriffen wurden.“

Mittelfinger und böse Blicke in der Stadtbahn

Konflikte bleiben jedoch auch der Drag Queen nicht erspart. Sie berichtet von kritischen Situationen in der Stadtbahn. „Die Leute trauen sich da nicht immer, etwas zu sagen. In der Sekunde, in der du aussteigst, fangen sie aber an, an die Scheibe zu trommeln, den Mittelfinger zu zeigen und sowas.“ Grundsätzlich komme es häufig zu Konfrontationen, wenn Vava als Drag Queen in der Stadt unterwegs ist. „In solchen Fällen nehme ich mir immer vor, nicht zu reagieren – Kopf runter und weiterlaufen.“

Die Grundstimmung in Stuttgart sei generell rauer geworden, sagt Vava. „Ich erinnere mich an meine ersten CSDs, bei denen es immer Gegendemos gab. Das ist in den letzten Jahren abgeebt – jetzt wird es aber wieder stärker. Die Gegendemos gibt es wieder.

Die sich wandelnde Stimmung in Stuttgart sieht Alisha Soraya Principe vom UTOPIA Kiosk nicht als einzigen Grund für Anfeindungen gegenüber der queeren Community. „Ich halte das Ganze eher für ein strukturelles Problem in der Stadt“, sagt Alisha. „Viele Projekte in Stuttgart kämpfen aktuell ums Überleben. Die Sorge innerhalb der queeren Communities, dass Safer Spaces wegfallen, ist groß. Die Spaces, in denen wir wir sein können, sind überlebenswichtig für uns“, appelliert Alisha. „Ich habe schon von vielen Leuten gehört, die sagen, dass sie nicht wissen, ob sie noch in Stuttgart wären, wenn es diese Spaces nicht gäbe.“

Fehlen in Stuttgart die Safer Spaces?

Orte wie das UTOPIA Kiosk oder der Sunny High Club in der Schwaben-Bräu-Passage in Bad Cannstatt seien nur als Zwischennutzung angelegt. „Das bringt eine Prekarität in eine Sache, die eigentlich so essentiell ist. Denn Queerness ist ein riesiges Thema mit einer großen Community. Ich würde mir mehr finanzielle und nachhaltige Förderung und Räume für die queere Community wünschen.“

Tatsächlich droht der Schwaben-Bräu-Passage womöglich bald das Aus, denn die Stadt Stuttgart hat ab 2026 neue Pläne für das Areal. Mit dem Züblin Parkhaus im Leonhardsviertel, das das UTOPIA Kiosk beheimatet, verhält es sich ähnlich.

In fehlenden Safer Spaces für die LSBTIQA+- Community sieht auch Pat Wagner ein Problem.„Was das Nachtleben angeht, würde ich mir mehr Gastrobetriebe wünschen, die für das Thema sensibilisiert sind“, so Pat. „Es macht als queere Person so viel aus, wenn man sieht, dass eine Bar ein Regenbogensticker oder andere Erkennungszeichen an der Tür hat.“

Schutzmaßnahmen – nicht nur beim CSD

Die Stadt Stuttgart fördert im „Arbeitskreis LSBTIQ+“ gemeinsam mit der Community und dem LSBTIQA+-Zentrum Weissenburg e. V. Projekte wie etwa den Aufbau eines Regenbogenhauses in Stuttgart. Zudem gibt es verschiedenste Beratungsangebote für queere Menschen. Doch reicht das aus?

„Ich finde, die Stadt könnte auch übers Jahr mehr für die Community und den Schutz dieser tun“ – auch außerhalb des Pride-Month und des Nachtlebens, sagt Danny Dombrowski.

Mit Blick auf das Nachtleben hält Vava Vilde ein „geschultes Sicherheitspersonal ein Awareness-Konzept“ für unverzichtbar, um die Sicherheit queerer Menschen im Nachtleben zu garantieren. Die Drag Queen erzählt von einem Zwischenfall bei einem von ihr moderierten Public-Viewing-Event in einer Stuttgarter Bar – „da hatte ich schon mal ein paar Momente, in denen ich als Moderator Türsteher spielen und Leute, die gestört haben, aus dem Event hinauslotsen musste, ohne, dass es womöglich eskaliert.“

Pat Wagner schließt: „Mein Wunsch für Stuttgart ist, dass man sich in der Stadt auch mal Händchen haltend bewegen kann und keine Angst haben muss. Menschen, die sich lieben, sollten sich in der Öffentlichkeit nicht verstecken müssen.“

Begriffserklärung

LSBTIQA+
Die Abkürzung LSBTIQA+ steht für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, inter, queere, asexuelle Menschen und andere Geschlechter und/oder Sexualitäten. In dem Begriff werden (einige) geschlechtliche und sexuelle Identitäten jenseits der heterosexuellen Norm zusammengefasst.

Cis
Cisgeschlechtlichkeit oder oder cisgender (kurz „cis“) bezeichnet Personen, deren Geschlechtsidentität mit dem in der Regel anhand äußerer Merkmale bei der Geburt bestimmten Geschlecht übereinstimmt.