Die goldene Staatskutsche beim Umzug vor dem Buckingham-Palast. Im hinteren Fenster einen Hologramm der jungen Queen. Foto: dpa/Hannah Mckay

Vier Tage lang haben die Briten das Thronjubiläum ihrer Königin Elisabeth II. gefeiert. Unser London-Korrespondent hat mitgefeiert – und stellt sich nun die Frage, wie es mit dem Königreich wohl weitergeht.

Bei aller neuen Aufregung in Westminster fällt es vielen Briten schwer, diese Woche zur politischen Tagesordnung, oder auch nur zu den Realitäten ihres eigenen Alltags, zurückzukehren. Vier Feiertage lang fand sich die Insel im Bann eines Jubiläums-Rausches wie nie zuvor.

Militärparaden, Dankgottesdienste und Straßenfeste zu Ehren Elizabeths II. füllten dieses lange Wochenende. Prozessionen weltlicher und kirchlicher Art fanden statt. Eine Pop-„Party am Palast“ mit unschlagbaren Effekten ließ die Windsor-Krone im Himmel über London aufleuchten. Am letzten Tag wurden die sieben Jahrzehnte der zweiten elisabethanischen Ära als ein riesiges, buntes Open-Air-Spektakel aufgeführt.

Paddington Bär entlockt der Queen ein Lächeln

Pferderennen gab es in diesen vier Tagen, goldene Kutschfahrten, ausgelassene Corgis und jede Menge Bärenfellmützen. Drachen wurden von Prinzessinnen gezähmt und Fackeln und Lichter entzündet in aller Welt. Paddington Bär trank Tee mit der Monarchin und entlockte ihr (und dem ganzen Land) ein Lächeln. Eine geniale Choreografie sorgte für buchstäblich märchenhafte Unterhaltung und für immer neue, tiefe Verneigungen vor der Queen.

Für patriotisch gestimmte Royalisten war es nicht nur ein Traum von einer Party, sondern erneut ein Beweis für die Strahlkraft der Krone, für die Dauerhaftigkeit der Monarchie und für die Überlegenheit des eigenen Landes. Niemand rund um die Erde, war immer wieder zu hören, habe je ein Staatsoberhaupt von solcher Weltgeltung gehabt oder könne etwas wie dieses Jubiläum auf die Beine stellen.

Skeptiker sprechen von Selbsttäuschung

Nüchterner gestimmte Geister, die nichts gegen ein bisschen Feierlaune hatten, den Grad nationaler Selbstüberhöhung und gleichzeitiger Untertänigkeit gegenüber der „Firma“ aber übertrieben fanden, sahen die Sache etwas anders. Für sie trugen die Mega-Feiern den Keim einer nicht ungefährlichen Selbsttäuschung in sich.

All die glanzvollen Aufmärsche der Repräsentanten Dutzender von Commonwealth-Staaten zum Beispiel änderten für sie nichts daran, dass die imperiale Zeit des Königreichs lang schon Geschichte ist und das Interesse so gut wie aller Commonwealth-Nationen an der Krone rapide schwindet.

Die junge Queen winkt aus dem Kutschenfenster

Und die Projektion militärischer Macht, mit Hilfe perfekt inszenierter Paraden, sagte im Urteil der Realisten wenig aus über die wirkliche Lage der britischen Streitkräfte, deren Schlagkraft von der Regierung immer mehr reduziert wird – oder über die begrenzte diplomatische Rolle Großbritanniens in der heutigen Welt.

Schottisches und nordirisches Fahnenschwenken wiederum ließ nicht ahnen, was die wirklichen Empfindungen sind in den betreffenden Ländern, und wie nah an einem möglichen Zerfall seiner Einheit das Vereinigte Königreich neuerdings operiert.

Im ganzen Geschichtsbild, das die Feiern ausbreiteten, war keine Rede davon, wie unbewältigt viele Probleme der Nation sind, welche Schatten das Empire wirft, wie zerrissen die britische Gesellschaft sich in vielem ausnimmt heute. Eine verklärte Erinnerung war gewünscht: Das Hologramm einer jungen Queen, das aus einem Kutschenfenster winkt.

Schwelgen in Nostalgie

Die diese kuriose Idee hatten, wollten die Bevölkerung schlicht schwelgen lassen in Nostalgie, in einer makellosen Vergangenheit und Größe. Kein Wunder, dass das Erwachen aus diesem Traum diese Woche so schwer fallen muss. Prinz Charles warnte ja zum Ende der Feiern schon besorgt vor „erneutem Gezänk“, nach all der „Harmonie“.

Die Feiern sind vorbei. Was bleibt, nach dieser beispiellosen Jubiläumsfeier, nach dieser außerordentlichen Huldigung an die Queen? Die Königin, 96 Jahre alt, hat eingestehen müssen, dass sie zu schwach ist, um weiter in alter Weise präsent zu sein. Abdanken will sie, als Staatsoberhaupt, aber nicht.

Und Harry und Meghan?

Prinz Charles übernimmt die wichtigsten ihrer Pflichten. Ihn hat man demonstrativ in Position gerückt bei diesem Jubiläum, zusammen mit Prinz William, der schon klare Vorstellungen von der künftigen Verantwortung der Krone hat und sich offenbar um eine Überlebensstrategie fürs Königtum in harscheren Zeiten bemüht.

Harry und Meghan, auch das ist deutlich geworden, stehen endgültig außerhalb des Wirkungskreises der Windsors. Sie spielen für die Zukunft der Monarchie keine Rolle. Außer mit ihrem Solo-Aufmarsch in der St.Paul’s-Kathedrale hat man ihnen beim Jubiläum keinerlei Zugeständnisse gemacht.

Selbst das erwies sich freilich als Nebenschauplatz-Geplänkel. Die vier Feiertage auf den Britischen Inseln drehten sich im Grunde darum, auf dem Weg ins Ungewisse noch einmal gemeinsam das Vertraute zu feiern. Das Ganze war wie ein wehmütiger Abschied von einer am Ende zur Ikone gewordenen Monarchin und von ihrer Epoche. Eine solche Feier, das weiß jeder in Großbritannien, wird man nie wieder erleben im Königreich.