Dagur Sigurdsson hat bei der Aufstellung auf vielen Position die Qual der Wahl. Foto: dpa

Der Handball-Bundestrainer verfügt über eine ausgeglichen besetzte Mannschaft, die an diesem Freitag (17.30 Uhr) zum Start in die Weltmeisterschaft in Frankreich auf Ungarn trifft. Welche Spieler sind gesetzt?

Stuttgart - Absolute Weltklasse im Tor und am Kreis, starke Außen, eine große Auswahl an Rechtshändern, doch ein Engpass an Linkshändern im Rückraum: So lautet die Kurzanalyse   des   vorläufigen   15-Mann-Kaders der deutschen Handballer vor dem WM-Auftakt an diesem Freitag (17.45 Uhr) in Rouen gegen Ungarn. Eine Übersicht.

Großer Konkurrenzkampf zwischen den Pfosten, Platzhirsche auf den Flügelpositionen

Tor: Die Position zwischen den Pfosten bereitet traditionell die wenigsten Probleme. Auch nicht ganz neu ist: Es gibt keine klare Nummer eins. Silvio Heinevetter (Füchse Berlin/32 Jahre/152 Länderspiele/1 Tor) wirkt durch seine Nichtnominierung bei der vergangenen EM demütiger. Er weiß es jetzt noch mehr zu schätzen, dabei zu sein. Heinevetter hat eine perfekte Technik. Er wehrt Bälle nicht nur ab, er fängt sie sogar und leitet Gegenstöße ein. EM-Held Andreas Wolff (THW Kiel/25 Jahre/44 Länderspiele/6 Tore) hat eine größere Spannweite und wehrt Würfe aus der Nahdistanz oft noch spektakulärer ab als der Berliner. Ein besseres Torwartgespann gibt es bei dieser WM nicht. Außen: Auch die Besetzung der Flügel war für Deutschland noch nie ein Problem. Den EM-Titel   2016   in   Polen holte die DHB-Auswahl ohne den damals verletzten Uwe Gensheimer. Der Weltklasse-Linksaußen (Paris St.-Germain/30 Jahre/132 Länderspiele/ 590  Tore) reiste am Donnerstag nach dem unerwarteten Tod seines Vaters zur Mannschaft nach. Sein Vertreter ist wie schon bei der EM der unbeschwert aufspielende, pfeilschnelle Rune Dahmke (THW Kiel/23 Jahre/22 Länderspiele/52 Tore). Auf rechts außen besticht Patrick Groetzki (Rhein-Neckar Löwen/27 Jahre/73 Länderspiele/195 Tore) durch seine Spritzigkeit. Zudem ist er durch seine größere internationale Routine im Abschluss abgeklärter geworden. Tobias Reichmann (KS Vive Kielce/28 Jahre/59 Länderspiele/185 Tore) glänzt vor allem durch seine gewaltige Sprungkraft, die es ihm ermöglicht, auch aus den kleinsten Winkeln gute Wurfchancen zu nutzen. Er ist ein sehr nervenstarker Spieler, was er auch am Siebenmeterstrich zeigt.

Viele Optionen auf der Königsposition und für die Spielmacherrolle

Rückraum links: Julius Kühn (VfL Gummersbach/23 Jahre/23 Länderspiele/80 Tore) ist eine Wurfmaschine, die – wenn sie aus der zweiten Welle ins Rollen kommt – kaum zu stoppen ist. Beginnen dürfte auf der Königsposition aber Paul Drux (Füchse Berlin/21 Jahre/44 Länderspiele/98 Tore). Er ist enorm stark im Eins-gegen-eins, er geht da hin, wo es wehtut, außerdem bringt der Jung-Fuchs viele Wurfvarianten mit. Genauso spielstark und torgefährlich ist Steffen Fäth (Füchse Berlin/26 Jahre/45 Länderspiele/86 Tore). Er hat ein schweres halbes Jahr hinter sich: Als Star aus Wetzlar gekommen, kam er bisher in Berlin nicht über die Rolle des Mitläufers hinaus. Finn Lemke (SC Magdeburg/24 Jahre/45 Länderspiele/21 Tore) ist Chef in der Deckung und hat sich auch in der Offensive verbessert: Bei den Gegenstößen rennt der 2,10-Meter-Riese nun mutiger mit nach vorne und läuft nicht wie früher sofort zur Bank. Rückraum Mitte: Simon Ernst (VfL Gummersbach/22 Jahre/30 Länderspiele/33 Tore) hat in den Vorbereitungsspielen als Spielmacher begonnen. Durch gezieltes Krafttraining zeigt er inzwischen eine enorme körperliche Präsenz auf dem Spielfeld. Zudem ist er torgefährlich und steht auch in der Abwehr seinen Mann. Die Alternativen sind Drux und Fäth – oder auch Niclas Pieczkowski (SC DHfK Leipzig/27 Jahre/23 Länderspiele/26 Tore). Er blieb vor allem deshalb im 15er-Kader, da er vielseitig einsetzbar ist. Der Allrounder kann auf links außen aushelfen oder auch rechts im Rückraum spielen.

Engpässe bei den Linkshändern für den Rückraum, Spitzenkräfte am Kreis

Rückraum rechts: Kai Häfner (TSV Hannover-Burgdorf/27 Jahre/43 Länderspiele/95 Tore) geht nach den Ausfällen von Steffen Weinhold und Fabian Wiede sowie der Nichtberücksichtigung von Jens Schöngarth als Einzelkämpfer auf dieser Position in die Weltmeisterschaft. Der gebürtige Schwäbisch Gmünder übernimmt in kritischen Situationen nervenstark und mutig Verantwortung. Seine stärkste Waffe ist der ansatzlose Schlagwurf aus dem Lauf. Aller Voraussicht nach wird Holger Glandorf während der WM das deutsche Team verstärken und Häfner entlasten.

Kreis: Patrick Wiencek (THW Kiel/27 Jahre/ 96 Länderspiele/220 Tore) verkörpert absolute Weltklasse – und das im Angriff und in der Abwehr im Innenblock. Er ist kaum zu ersetzen, zumal der Bundestrainer Erik Schmidt aus dem Kader strich und Hendrik Pekeler (ebenfalls Europameister 2016 wie Wiencek und Schmidt) auf die WM-Teilnahme freiwillig verzichtete. Wienceks Ersatz im Angriff ist Jannik Kohlbacher (HSG Wetzlar/21 Jahre/23 Länderspiele/48 Tore). Der 113 Kilogramm schwere Koloss bringt alles mit, was einen Topmann am Kreis auszeichnet, er ist kaum zu stoppen, reißt Lücken und schließt sehr zuverlässig ab. In der Abwehr deckt Kohlbacher allerdings nicht zentral, sondern auf der Halbposition.

Ob es dem Trainer Dagur Sigurdsson gelingt, aus dieser Mischung ein Weltmeisterteam zu machen, wird sich zeigen. Sicher ist: Der Traum vom vierten WM-Titel für Deutschland nach 1938, 1978 und 2007 verbindet den Tüftler mit seinen Spielern.