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Übersetzer Nikolaus Stingl über Thomas Pynchon und dessen neuen Krimi "Inherent Vice".

Stuttgart - Thomas Pynchon ist wieder da. Vier Jahre sind vergangen, seit der rätselhafteste aller amerikanischen Autoren seinen monumentalen Roman "Against the Day" veröffentlichte. Nikolaus Stingl hat ihn ins Deutsche übertragen und arbeitet jetzt an der Übersetzung des Pynchon-Krimis "Inherent Vice".

Herr Stingl, wie wird man denn Pynchon-Übersetzer?

Ich bin seinerzeit gefragt worden, ob ich "Mason und Dixon" übersetzen möchte - aus welchen Gründen, weiß ich nicht, aber es hatte wohl mit dem kunstanachronistischen, die Sprache des 18. Jahrhunderts nachahmenden Idiom zu tun, in dem das Werk verfasst ist.

Die Arbeit hat Sie dann schließlich auch dem zeitgenössischen Sprachgebrauch entfremdet . . .

Ich habe mich über ein Jahr lang ausschließlich mit diesem Buch beschäftigt. Zur Vorbereitung und begleitend habe ich, um mein Gehirn in die entsprechenden Falten zu legen, viel deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts gelesen. Dabei ist meine Umgangssprache stark gealtert. Einmal, als ich mit einem Onkel von mir eine (ziemlich erregte) politische Diskussion führte, habe zu diesem gesagt: "Onkel, Sie alterieren sich." Ähnliches ist mir, zum großen Befremden meiner Umwelt, öfter passiert.

Neben Ihrem Schreibtisch steht ein Punchingball, an dem Sie sich abreagieren, wenn Sie mit der Arbeit nicht weiterkommen. Haben Sie diesen auch während der Übersetzung von "Inherent Vice?" traktiert?

Nein, bei diesem Buch nicht.

Ist Pynchon im Laufe der Jahre - um einige Klischees zum Thema "Alterswerk" zu bedienen - milder geworden, abgeklärter? Hat sich sein Stil verändert?

Ob sich sein Stil verändert hat, ist schwer zu sagen, da er sich ja jeweils unterschiedlicher Stile bedient. Eine Altersmilde oder Abgeklärtheit nehme ich eigentlich nicht wahr, sein Humor jedenfalls ist eher noch schwärzer geworden.

Gegen Ende Ihrer Übersetzungsarbeit richten Sie Fragen zum Text per E-Mail an den Autor Thomas Pynchon. Wie spielt sich diese Korrespondenz ab?

Das läuft rein technisch so ab, dass ich eine Mail mit den Fragen, die ich habe, an seine Ehefrau und Agentin richte. Über deren Mail-Adresse bekomme ich dann Antwort vom Meister selbst. Die Antworten sind sehr sachlich gehalten, beziehen sich ausschließlich auf konkrete Fragen und Verständnisprobleme, nicht auf grundsätzliche literarische Fragen. Oft schlägt Pynchon auch alternative Formulierungen vor, zum Teil auch mit deutschen Begriffen.

Spricht Thomas Pynchon Deutsch? In seinen Büchern finden sich auch Passagen, die in Deutschland spielen. Wissen Sie, ob er jemals Deutschland bereist hat?

Wie gut Thomas Pynchon Deutsch spricht, weiß ich nicht. Ich vermute, dass er es ziemlich gut versteht. In ein Exemplar von "Gegen den Tag" hat er mir eine Widmung auf Deutsch geschrieben. Ob er Deutschland je besucht hat, kann ich nicht sagen. Biografische Details gibt es bekanntermaßen ja so gut wie keine. Er arbeitet, wie aus seinen Mails hervorgeht, sehr stark mit Reiseführern (auch alten), und er wird, denke ich, für alle möglichen Sachgebiete auch seine Gewährsleute haben.

"Ich kenne, was sprachliche Virtuosität angeht, nichts Vergleichbares"

Vor allem Pynchons längere Romane sind angefüllt mit zum Teil höchst obskuren Fakten und Referenzen. Wie weit muss Ihre Recherche als Übersetzer bei der Überprüfung dieser Bezüge gehen?

So weit, wie es der Autor mit seinen Fakten und Referenzen vorgibt. Man arbeitet sich also ein Stück weit in manches Sachgebiet ein, muss aber zum Teil den Rat von Experten einholen. Im Fall von "Against the Day" war das die Mathematik, außerdem habe ich einzelne technische Fragen mit einem Elektroingenieur geklärt.

Pynchon ist vor allem auch ein großer Imitator von literarischen Tonlagen. Welche Konsequenzen hat diese Schreibweise für die Übersetzung?

Man muss versuchen, jeweils ein deutsches Äquivalent zu finden. Schwierig wird es, wenn Pynchon Anleihen bei ganz bestimmten Autoren macht, die ein englischsprachiger Leser womöglich erkennt, für die es im Deutschen aber - mit Ausnahme von Shakespeare - keine kanonisierten Übersetzungen gibt. Ich versuche dann eben, sprachlich eine bestimmte Richtung anzudeuten.

Der Kriminalroman in Stil Raymond Chandlers scheint vielleicht das amerikanischste Genre schlechthin zu sein. Welchen Reiz übt dieses Genre Ihrer Meinung nach auf Autoren wie Pynchon aus? Gibt es eine Renaissance des Genres, und weshalb, möglicherweise?

Ob es derzeit eine Renaissance des Genres gibt und ob "Inherent Vice" einer solchen Renaissance geschuldet ist, weiß ich nicht. Ich könnte mir aber vorstellen, dass ein Reiz des Genres in seinen "gesellschaftskritischen" Möglichkeiten liegt. Für Pynchon spielte dieses Moment immer eine große Rolle, auch zu Zeiten, als in der Literatur eher Formen von Innerlichkeit im Schwange waren. Und dass der Meister der Masken sich auch in der amerikanischsten aller Gattungen erproben will, scheint mir völlig naheliegend.

Drogen, vor allem Marihuana, spielen in fast allen Büchern Pynchons eine Rolle. Wie tief ist der Effekt der Droge in Pynchons Schreibweise, seinem Fabulieren, der Konstruktion seiner Bücher verwurzelt?

Ich glaube nicht, dass Pynchon ein Vertreter der Gegenkultur der 1960er und 1970er Jahre ist, der ihrem Scheitern nachtrauert. Was ihn daran interessiert, ist, dass sie - wie naiv auch immer - ein Gegenentwurf zum schlechten Bestehenden war. Das ist, denke ich, überhaupt ein Thema seiner Romane: Utopie und Erinnerung eines anderen Lebens. Die Bedeutung der Droge dürfte für ihn, ganz allgemein gesprochen, darin liegen, dass sie andere Wahrnehmungsweisen als die gewohnten eröffnet. Aber erzählt wird davon auf so vielfältig gebrochene Weise, dass ein eindeutiger Standpunkt des Autors Thomas Pynchon hier gar nicht zu fixieren ist. Und wer ihn als schwadronierenden Späthippie abtut, hat einfach seine Bücher nicht richtig gelesen.

Wie würden Sie Pynchons Position in der heutigen US-Literatur beschreiben?

Für mich ist Pynchon in der Weltliteratur ein absoluter Solitär. Ich kenne, was enzyklopädische Dichte, Fabulierlust, sprachliche Virtuosität und stilistische Vielfalt angeht, nichts Vergleichbares.

Es wird über eine Verfilmung von "Inherent Vice" spekuliert. Wie könnte Ihrer Meinung nach ein solcher Film aussehen?

Mir fällt, atmosphärisch vergleichbar, beim Übersetzen immer "The Big Lebowski" ein. Jeff Bridges wäre der ideale Doc Sportello - der allerdings als eher schmächtig beschrieben wird. Ich denke nicht, dass Pynchons Stil einer Verfilmung entgegenkommt - ich nehme ihn als so dicht und komplex wahr, dass bei einer Verfilmung wohl eher Manches, also auch Wichtiges unter den Tisch fiele.