Die Detailvielfalt – und Aufgeräumtheit – mancher Puppenküche beeindruckt. Foto: Jürgen Brand

In der neuen Muse-O-Ausstellung in Stuttgart-Ost laden Puppenküchen zu einem Spaziergang durch die Jahrhunderte ein. Spielen dürfen die Besucher mit den Ausstellungsstücken aber nicht – denn manches Exponat ist durchaus wertvoll.

Eine aus Ziegelsteinen gemauerte Feuerstelle. Das Feuerholz darin liegt bereit und muss nur noch angezündet werden. Darüber hängt bereits ein großer Kupferkessel, in dem schon bald das Mittagessen gekocht werden soll. Und auch die kleine graue Hauskatze freut sich schon darauf. Die zwar leicht unaufgeräumt wirkende und doch idyllische Küchenszenerie stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist seit Sonntag im Muse-O im Stuttgarter Osten zu bewundern. „Lirum, larum. Puppenküchen und was sie erzählen“ heißt die neue Ausstellung, die am Sonntag eröffnet wurde. Bis 19. Juni sind in den Ausstellungsräumen mehr als 24 kleinere und größere Puppenküchen zu bewundern, mit manchen wurde schon vor mehr als 100 Jahren gespielt, manche sind ganz neu und ganz anders.

Mehr Angebote für Ausstellungsstücke als Platz vorhanden

Als der Kurator der Ausstellung, Ulrich Gohl vom Museumsverein Stuttgart-Ost (Muse-O), im vergangenen Jahr begann, nach alten und neuen Spielküchen zu suchen, wusste er selbst noch nicht so genau, was da alles zusammenkommen würde. Die Resonanz auf seinen Suchaufruf war dann überwältigend. Er bekam mehr als 50 Angebote für Ausstellungsstücke, so viel Platz war gar nicht in den Muse-O-Räumen. Er hatte also die Qual der Wahl. Eigentlich hätten die kleinen Küchen die Weihnachtsausstellung 2021/2022 sein sollen, die Eröffnung war für den 1. Advent 2021 geplant gewesen. Die Pandemie verhinderte das – und ließ dem Kurator mehr Zeit zur Auswahl.

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Die Küchenschau weckt Generationen übergreifend Erinnerungen an die eigene Kindheit, egal ob die Besucherinnen und Besucher vor Jahrzehnten in den oft dunklen Holzküchen spielerisch erste Haushaltsarbeiten erledigten, ob sie später blonde und langbeinige Puppen auf hochhackigen Schuhen durch die schreiend bunten Barbie-Küchen bewegten oder ob sie mit viel Fingerspitzengefühl in den deutlich kleineren Playmobil-Umgebungen versuchten, mit winzigem Geschirr den Tisch zu decken. Manche werden Lust bekommen, gleich in der Ausstellung mal wieder in so einer Küche zu spielen. Das verhindert aber eine Schutzscheibe vor den Exponaten, die zum Teil durchaus wertvoll sind. Und vielleicht erinnert sich so mancher daran, dass er ja im Keller auch noch so eine alte Puppenküche hat.

Ein Spaziergang durch die Küchengeschichte

Die Ausstellung ist auch ein Spaziergang durch die Küchengeschichte. Am Anfang war es die Feuerstelle, dann kam der gusseiserne Kohleherd, der wiederum vom Gasherd verdrängt wurde, auf die Elektrokochplatten folgten die Cerankochfelder. In einem eigenen kleinen Bereich der Ausstellung wird diese Entwicklung am Beispiel von zehn etwas größeren Exponaten gezeigt. Auch Küchengeräte und Geschirr spiegeln die gesellschaftlichen und technischen Veränderungen wider. Der Fleischwolf mit Handkurbel wird von Küchenmaschinen verdrängt, Kühlschränke und Mikrowellen halten Einzug, die Spülmaschine wird zur Selbstverständlichkeit, Mixer, Kaffeemaschinen und Pürierstäbe gehören zur Standardausstattung. Blechgeschirr und Steingut werden durch Porzellan ersetzt. Und die Farben gehen mit den Moden und Geschmäckern des jeweiligen Jahrzehnts – auch in den Puppenküchen.

Was in Miniaturform auch durch seine präzise Handwerkskunst beeindruckt, gibt allerdings nicht unbedingt die realen Küchenzustände beispielsweise des vergangenen Jahrhunderts wieder. „In der Regel wurde hergestellt und gezeigt, was man gerne hätte“, sagt Ulrich Gohl. „Es gab viel mehr großbürgerliche Puppenküchen als es Großbürger gab.“ Arbeiter-Puppenküchen hätte niemand gewollt und auch nicht gekauft.

Märklin hat zuerst Puppenküchen hergestellt, nicht Modelleisenbahnen

Puppenküchen gibt es nach den Muse-O-Recherchen schon seit dem 17. Jahrhundert, damals schmückten aber eher reiche Menschen ihre Wohnung damit, sofern sie das Geld und den Platz dafür hatten. Um 1800 sollen die ersten Spiel-Küchen entstanden sein, Spielzeugfabriken stiegen erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts in das Geschäft ein. Demnach entstand die Firma Märklin im Jahr 1856 nicht als Modelleisenbahn-, sondern als Puppenküchen-Hersteller.

Auch aktuelle Küchen werden in der Ausstellung in Form einer kleinen Fotoschau gezeigt. Auf einen Aufruf hin haben etliche Einwohner des Stuttgarter Ostens ihre Küche fotografiert und die Bilder geschickt. Die ganz reale Gestaltungsvielfalt reicht von der kruschtelig-gemütlichen Mini-Küche bis zur stylish-kühlen Designer-Kochwelt auf der Gänsheide.

Ausstellung im Muse-O

Öffnungszeiten
Die Ausstellung im Muse-O, Gablenberger Hauptstraße 130, 70186 Stuttgart, ist samstags und sonntags jeweils von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet zwei Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre müssen nichts bezahlen. Es gelten die aktuellen Coronaregeln, zurzeit also 3G. Im ganzen Haus gilt Maskenpflicht. Weitere Informationen unter www.muse-o.de.