Bei der EM 2008 machte die Stadt zuletzt gemeinsames Fußballschauen auf dem Stuttgarter Schlossplatz möglich. Foto: dpa

Die Stadt wird während der Fußball-WM (12. Juni bis 13. Juli) kein Public Viewing auf dem Schlossplatz veranstalten. Wegen des späten Anpfiffs der Spiele muss sie auch sonst die Interessen von Anwohnern und Fans abwägen.

Stuttgart - Hoffentlich sind Joachim Löws Mannen besser vorbereitet auf die Fußball-WM als die hiesigen Wirte. Bisher hat nur eine Gastronomin angefragt, ob sie die Spiele im Freien zeigen dürfe. Des Lärmschutzes wegen muss die Stadt jeden Fall einzeln prüfen und bewerten.

Diese WM (12. Juni bis 13. Juli) in Brasilien fordert nicht nur die deutschen Fußballer, auch an die Daheimgebliebenen sind die Ansprüche hoch; Durchhaltevermögen und Toleranz sind gefragt. Die Spiele in Südamerika beginnen nach deutscher Zeit zwischen 18 Uhr und 3 Uhr. Nun stehen Politiker, Beamte und Wirte vor der Aufgabe, das Fußballschauen so zu organisieren, dass die Anwohner nicht um ihre Nachtruhe gebracht werden. Wie das gelingen soll? Ein Überblick. Die Spiele: Die deutsche Mannschaft spielt zu verträglichen Zeiten. In der Vorrunde am 16. Juni gegen Portugal um 18 Uhr, am 21. Juni um 21 Uhr gegen Ghana, am 26. Juni um 18 Uhr gegen die USA. Doch viele andere Stuttgarter müssen ausharren, um ihre Teams spielen zu sehen. Kroatien tritt zweimal um 22 Uhr an, die Griechen spielen am 20. Juni um Mitternacht gegen Japan, Italien am 15. Juni um Mitternacht gegen England, Bosnien-Herzegowina muss zweimal um Mitternacht ran, auch Portugal und Russland sind nachtaktiv. Achtel- und Viertelfinale sind um 18 Uhr und 22 Uhr, beide Halbfinalspiele um 22 Uhr. Das Finale beginnt um 21 Uhr.

Der Schlossplatz: Dort wird kein Fußball zu sehen sein. Letztmals hat die Stadt während der EM 2008 ein Public Viewing organisiert. Die Übertragung von vier Spielen hat 500 000 Euro gekostet. Von Seiten der Stadt heißt es: „Wir sind die letzten Jahre gut damit gefahren, dass die Stuttgarter das Public Viewing ihrer Wahl finden konnten: Beim Italiener um die Ecke, in der Sportsbar in der City oder im Biergarten.“ Bei der WM 2010 sei Stuttgart gar als „Hauptstadt des Public Viewing“ ausgezeichnet worden: Gewürdigt wurde die „höchste Übertragungsrate je Einwohner“. Statistiker haben errechnet, dass es in Stuttgart 1522 Live-Übertragungen gab, in Berlin kamen auf eine Übertragung 940 Zuschauer, in München 650, in Stuttgart 250.

Der Lärm: Der Stuttgarter Fußballfreund muss also nicht darben. Doch darf er auch im Freien schauen, so das Wetter mitspielt? Das ist die Gretchenfrage. Erlaubt sind in der Zeit zwischen 22 und 6 Uhr allenfalls 45 Dezibel. Das ist die Lautstärke eines Gesprächs. Eine Schreibmaschine oder ein Auto verursachen schon einen Lärm von 60 bis 80 Dezibel. Bei einem Public Viewing im Münchner Olympiastadion haben Forscher während der WM 2010 den Geräuschpegel gemessen. Der lag im Schnitt bei 95 Dezibel, so viel erreicht eine Motorsäge. Die Spitze bei einem deutschen Tor lag bei 110,5 Dezibel, so laut ist ein Presslufthammer oder Musik in einer Disco. Die Gesetze: Der Lärmschutz schließt also Fußballschauen des Nachts unter freiem Himmel aus. Doch weil ein „erhebliches öffentliches Interesse“ bestehe, „da auf diese Weise Menschen, die die Spielorte nicht besuchen können, Gelegenheit bekommen, in größerer Gemeinschaft mit anderen die WM-Spiele zu verfolgen“ hat das Umweltministerium des Bundes eine Verordnung erlassen, die sich an der Sportanlagenlärmschutzverordnung orientiert. Diese gestattet zwar keine höheren Geräuschpegel, allerdings erlaubt sie Ausnahmen „bei seltenen Ereignissen“. Die Stadt: Nun liegt der Ball bei der Stadt. Sie muss im Einzelfall entscheiden, wie lange man im Freien Fußball schauen darf. „Wir müssen schauen, was akzeptabel ist und akzeptiert wird“, sagt ein Stadtsprecher. Eine Dauerbeschallung sei für Anwohner nicht zumutbar, es komme auf die Dosis an. „Natürlich wollen wir, dass die WM öffentlich gelebt wird, aber Anwohner haben auch ein Recht auf Ruhe. Das gilt es, in Einklang zu bringen.“ Die Lizenzen: Die Übertragungsrechte für die WM gehören dem Weltfußballverband Fifa. Kneipen müssen allerdings keine Lizenzen kaufen, solange sie kein Eintrittsgeld verlangen, Sponsoren einbinden, oder nicht mehr als 5000 Besucher empfangen wollen. Ansonsten kostet die Lizenz 1000 Dollar pro Spiel. Die Verwertungsgesellschaft Gema allerdings verlangt Geld, damit werden die Ansprüche der Urheber der Musik aber auch der Beiträge der Kommentatoren abgegolten. Dies sind bis zu 108,48 Euro für zwei Monate.

Die Wirte: Sonja Renz hat für ihren Biergarten im Schlossgarten eine Anfrage gestellt – als bisher einziger Gastronom. Michael Wilhelmer möchte im Biergarten am Schweinemuseum in Gaisburg auch Fußball zeigen. Er wird die Nachbarn einladen, Lärmschutz aufbauen, sagt aber auch: „Die Spiele nach Mitternacht übertragen wir nicht, das können wir den Nachbarn nicht zumuten.“ Christian List und Alexander Scholz betreiben den Stadtstrand in Bad Cannstatt, wollen dort Fußball zeigen, haben eigentlich bis 23 Uhr geöffnet, überlegen aber, ob sie die Spiele mit Beginn um 22 Uhr noch zeigen. Im Cantina in der Innenstadt allerdings werden sie im Freien keine Spiele mehr zeigen. „Da hat der Andrang überhand genommen, es war zu viel Aufwand mit dem Ordnungspersonal, das lohnt sich nicht.“ Barbara Schreiber und Andreas Göz haben in ihrem Maulwurf in Vaihingen keine Lizenz für Außenbeschallung. „Vielleicht bemühen wir uns um eine Ausnahme“, sagt Schreiber, „wenn, werden wir allerdings nur das frühe Spiel draußen zeigen.“ Zwar dränge es die Leute bei schönem Wetter ins Freie, „aber man muss abwägen, ob man es sich wegen vier Wochen mit den Nachbarn verderben will.“

Zumal alle miteinander das Gehupe der Korsos ertragen müssen. Gut möglich, dass die Autoparade heuer direkt in den Berufsverkehr übergeht.