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Das neue Stalking-Gesetz sieht härtere Strafen vor. Aber nur fünf Prozent der Täter werden angeklagt.

Stuttgart - Wer seinen Opfern hartnäckig auflauert und nachstellt, muss mit dem neuen Stalking-Gesetz mit härteren Strafen rechnen. Allerdings werden nur fünf Prozent der Täter angeklagt - Opfer und Ermittler sind darüber enttäuscht.

Per Handy-Botschaft, per Fax, per E-Mail - der Ex-Lebensgefährte feuert aus allen Rohren: "Ich hoffe, du stirbst einen qualvollen Tod", heißt es im Anzeigefeld des Mobiltelefons, morgens um drei als SMS piepsend. "Deine Erpressungen haben ab heute ein Ende", steht auf einem Schreiben, das sich am Arbeitsplatz aus dem Faxgerät schiebt. "Am schlimmsten war, dass nachts plötzlich die Polizei an meiner Wohnungstür klingelte", sagt eine 35-jährige Stuttgarterin. Der Ex hatte telefonisch angezeigt, dass sie gerade ihr Kind misshandle.

Dei Angst vor dem Ex-Partner

Ein klarer Fall von Stalking - eine Straftat des Nachstellens, die seit März 2007 als eigener Tatbestand mit bis zu drei Jahren Haft verfolgt wird. Klarer Fall? Für die Polizei schon - aber von Konsequenz gegen den Täter kann keine Rede sein. "Die Rechtsprechung hat mit dem Begriff der schwerwiegenden Beeinträchtigung hohe Hürden gesetzt", sagt Marina Schmitt, zuständige Strafverfolgerin bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Deshalb liege die Anklagequote mit "etwa fünf Prozent" wesentlich niedriger als in anderen Fällen.

Allerdings scheinen die Strafverfolger allzu vorsichtig zu agieren. Diesen Eindruck hat der Rechtsanwalt der Betroffenen: "Nicht nur das Opfer, selbst die Polizei fühlt sich nicht richtig ernstgenommen", sagt der Jurist. Eine auf Stalking spezialisierte Beamtin habe feststellen müssen, dass von ihren acht scheinbar eindeutigen Ermittlungsfällen letztlich kein einziger vom Staatsanwalt angeklagt worden sei. "Alles eingestellt", so der Anwalt.

Die 35-Jährige ist enttäuscht. Allerdings will sie - wie viele Opfer - nur eines: ihre Ruhe. Und deshalb will sie in der Zeitung unbedingt unerkannt bleiben. "Viele erstatten schon deshalb keine Anzeige", sagt die Betroffene, "weil sie ihren Ex nicht weiter provozieren wollen." Eine Lösung ist das freilich nicht: Es bleibt die Angst, was denn als Nächstes kommt. Nachts das Telefon ausstecken ist ein einfaches Gegenmittel. Doch die Angst vor dem Ex-Partner vor der Wohnungstür steigt - und damit die Bereitschaft, den Wohnsitz zu wechseln

Ein befreites Leben sieht anders aus

Eine 30-Jährige aus dem Norden Stuttgarts wäre schon längst umgezogen - wenn sie eine bezahlbare Wohnung finden würde. "Alles, was da angeboten wird, ist für mich zu teuer", sagt sie. Ihr Ex-Freund hatte mehrfach an der Haustür geklingelt - und als gelernter Kfz-Mechaniker dann auch mal die Reifen ihres Autos zerstochen. Per Anwaltsschreiben erklärte er zudem, dass er noch persönliche Sachen in ihrer Wohnung habe und sie diese herausgeben solle. "Das war nur ein Vorwand, und ich konnte nicht beweisen, dass ich das alles längst zurückgegeben hatte", so die 30-Jährige.

In den letzten sechs Wochen entwickelte sie eine "regelrechte Paranoia", schloss alle Türen doppelt ab. Stalking? "Die Staatsanwaltschaft hat mich nur auf den Privatklageweg verwiesen", sagt sie. Ihr Anwalt stellt fest, dass wegen Sachbeschädigung ermittelt worden sei. "Das Verfahren wurde aber nach Paragraf 170 Absatz 2 eingestellt" - es fehlten Beweise, dass der Ex-Freund die Reifen zerstochen hatte.

Oberstaatsanwältin Schmitt räumt ein, dass man sich "mit anderen Tatbeständen und Ausweichbestimmungen behelfen" müsse. Der im März 2007 eingeführte Stalking-Paragraf 238 erfordere es nämlich, dass die Lebensgestaltung des Opfers "schwerwiegend beeinträchtigt" ist. Bloße Belästigungen und Schlafstörungen reichen da nicht aus. Das Opfer muss schon den Wohnsitz oder gar den Arbeitsplatz wechseln müssen, die Telefonnummer ändern, sich nicht mehr allein aus dem Haus trauen: "Solche extremen Fälle können Sie aber an einer Hand abzählen", sagt Marina Schmitt.

Ein befreites Leben sieht anders aus

Etwa der Fall eines 34-Jährigen, der gleich zwei 44 und 29 Jahre alte Ex-Partnerinnen in Fellbach und Stuttgart in Angst und Schrecken versetzt hatte. Annäherungsverbote und Bewährungsstrafen nach Gerichtverhandlungen beeindruckten ihn nicht. Er machte weiter. Telefonterror und körperliche Angriffe. Der Unbelehrbare wurde zuletzt bei einer Berufungsverhandlung im Landgericht zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Die Ausnahme.

Der Trend bei den Ermittlungsverfahren zeigt inzwischen wieder nach unten. Bei der Stuttgarter Polizei ist die Zahl der Anzeigen wegen Nachstellens im vergangenen Jahr um acht Prozent auf 224 gesunken. Noch deutlicher ist der Rückgang bei der Staatsanwaltschaft: 435 Verfahren mit Fällen aus Stuttgart und der Region gab es 2009. Im Jahr davor waren es noch 554 Verfahren, ein Rückgang um über 20 Prozent also. Opfer haben zivilrechtlich größere Erfolgsaussichten - über das Gewaltschutzgesetz mit einstweiligen Verfügungen, die beim Familiengericht erwirkt werden.

Die betroffenen Frauen trösten sich damit, dass derzeit Ruhe herrscht. Und doch bleibt diese Unsicherheit, die Angst vor einem Hinterhalt. Beide Opfer halten still. "Ich will keinen Stress mehr", sagt die eine. "Ich will jetzt keine schlafenden Hunde wecken", die andere. Ein befreites Leben nach einer Trennung sieht anders aus.