Gefühlte Distanz zwischen Lewis Hamilton (li.) und Nico Rosberg: 10 000 Kilometer Foto: Getty

Nach dem Unfall von Belgien ist das Verhältnis zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton auf den absoluten Nullpunkt gesunken – Mercedes könnte ihnen aber weiter freie Fahrt gewähren.

Nach dem Unfall von Belgien ist das Verhältnis zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton auf den absoluten Nullpunkt gesunken – Mercedes könnte ihnen aber weiter freie Fahrt gewähren.

Stuttgart - Psycho-Spielchen. Man kann einen Gegner wunderschön diskreditieren – selbst wenn der Wahrheitsgehalt der Aussagen gering ist, können diese Tricks hilfreich sein, weil sich der Konkurrent maßlos darüber echauffiert und so die Konzentration aufs Wesentliche leidet. Nachdem der WM-Zweikampf zwischen den Mercedes-Piloten Nico Rosberg und Lewis Hamilton in Belgien eskaliert war, war es dem Briten ein Bedürfnis, nach der internen 38-minütigen Aussprache ein paar Interna nach außen zu tragen. „Nico hat zugegeben, dass er die Kollision hätte vermeiden können, aber er wollte ein Zeichen setzen“, verriet Hamilton den Reportern im Fahrerlager, „er hat gesagt, dass er es mit Absicht gemacht hat.“

Heftige Worte. Toto Wolff dürfte schon besser eingeschlafen sein als in der Nacht nach dem Belgien-Grand-Prix, der Mercedes-Motorsportchef sah sich dringend genötigt, das Hamilton-Zitat am Montag zurechtzurücken. „Nico gab zu, dass er nicht zurücksteckte, aber es war kein absichtlicher Crash“, sagte der Österreicher, „das ist Blödsinn.“ Mag sein – aber die verbale Salve, die der Engländer auf seinen deutschen Rivalen abfeuerte, zeigt, dass die Gräben so tief sind, dass sie nicht mit einem ernsten Gespräch zugeschüttet werden können. „In Spa wurden Grenzen überschritten“, hatte Wolff direkt nach dem Rennen erklärt, „wir müssen sicherstellen, dass so etwas nicht mehr passiert. Wenn wir das jetzt nicht managen, kann es böse enden.“

Der erbitterte Kampf zweier Rennfahrer um die Formel-1-WM darf weder das Team spalten noch die Marke Mercedes beschädigen. Wolff, Teamchef Paddy Lowe und Team-Aufsichtsrat Niki Lauda sind gefordert, eine Entscheidung zu treffen, wie es weitergeht. Das ist eine ziemlich knifflige Sache, denn es gibt nur drei Alternativen.

Permanente Nummer eins: „Wir hassen das Wort Teamorder. Das steht aber zur Diskussion“, hatte Toto Wolff noch in der Hitze des Gefechts in Belgien gesagt. Wenn ein Pilot diesen Status erhält, kann es nur Nico Rosberg sein – er führt die WM mit 29 Punkten Vorsprung auf Hamilton an, zudem wurde sein Vertrag kürzlich langfristig verlängert. Welche Konsequenzen würde das haben? Hamilton müsste sich fügen, er würde die Saison wahrscheinlich mit gebremster Motivation zu Ende fahren und sich nach einem neuen Chef umsehen. Eine Trennung in zwei Teamlager wäre wahrscheinlich. „Mercedes würde viel Renommee verlieren“, sagt Experte Marc Surer, „das Team stünde als Wortbrecher da, weil es bislang eine Teamorder absolut ausschloss. Es wäre eine Entscheidung gegen den Sport, gegen die Formel 1.“ Der Rest des Jahres würde ein ziemlicher Langweiler, ganz wie die vergangene Saison, in der Sebastian Vettel alle neun Rennen nach der Sommerpause gewonnen hat.

Temporäre Nummer eins: Wer im Qualifying den besseren Startplatz erobert, ist im Rennen die Nummer eins. Oder als Light-Version: Wer nach Runde eins vorn liegt, diktiert das Geschehen. Vielleicht könnten die Fahrer damit leben, zumindest würde keiner benachteiligt. „Dann könnten sie aber schmutzige Tricks in der Quali auspacken“, sagt Ex- Formel-1-Pilot Surer. Siehe Monaco: Dort parkte Rosberg den Silberpfeil an der Strecke, sorgte für eine Gelb-Phase und machte Hamiltons schnelle Runde zunichte. Ob es Absicht oder ein Fahrfehler war, wurde nie geklärt. „Ich halte nichts von dieser Möglichkeit“, erklärt der Schweizer.

Freie Fahrt: Im Sinne des Sports die beste Lösung, aber auch im Sinne von Mercedes? „Das Auto ist überlegen, die werden Weltmeister“, sagt Surer, „wenn sich das Team dafür entscheidet, wird die Saison mit den Mercedes-Fahrern Hamilton und Rosberg wie das McLaren-Jahr mit Ayrton Senna und Alain Prost in die Geschichte eingehen.“ Riskant? Nein, meint Surer. Sollte Red-Bull-Mann Daniel Ricciardo in der WM bedrohlich nahe kommen, würden sich Rosberg und Hamilton zusammenraufen – sonst stünden beide als Dummköpfe da. Aber Freiheit heißt auch Verantwortung und Besonnenheit. Die Piloten müssten sich bei aller Rivalität dem Fairplay und dem respektvollen Umgang gegenüber dem Rivalen verpflichten. Die Teamleitung müsste klare Regeln aufstellen, einen transparenten Umgang pflegen und dafür sorgen, dass sich kein Fahrer benachteiligt fühlt. Auch dies ist nicht leicht, wie Belgien gezeigt hat. Es war nicht der beste Entschluss der Mercedes-Oberen, kurz nach dem Rennen Nico Rosberg der Weltöffentlichkeit als Schuldigen zu präsentieren. Nicht nur Lewis Hamilton und Nico Rosberg müssen ihre Hausaufgaben im Umgang mit der schwierigen Situation machen, auch Niki Lauda und Toto Wolff haben in Krisenfällen noch Verbesserungspotenzial.