Psychische Krankheiten bei Kindern nehmen zu. Es fehlt an Geld und an einer breiten Lobby, meint Nina Ayerle.
Um die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Krankheiten stand es schon vor der Coronapandemie nicht zum Besten. Offiziell gilt die Pandemie als beendet. Doch für viele jüngere Menschen sind die Begleiterscheinungen der Coronakrise nicht vorbei. Diverse Studien zeigen: Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden seitdem verstärkt an psychischen Erkrankungen wie schweren Depressionen, Essstörungen und Angsterkrankungen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien schlagen schon länger Alarm.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie geht davon aus, dass die Ursachen für die Zunahme in den multiplen Krisen wie Corona, dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, die Klimazerstörung sowie auf ein überstrapaziertes Bildungssystem zurückzuführen sind. Aber auch Armut, psychische Erkrankungen der Eltern oder Probleme in der Schule, besonders durch Mobbing, gelten als große Risikofaktoren für seelische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen.
Psychische Krankheiten entwickeln sich bereit im Kindes- und Jugendalter
Viele Studien zeigen, dass ein Großteil der psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter beginnt und es kostengünstiger ist, diese so früh wie möglich zu behandeln. Unbehandelt verlaufen sie oft chronisch. So hat es daher auch dramatische Auswirkungen auf eine Gesellschaft, wenn viele Kinder und Jugendliche schon psychisch extremst belastet ins Leben starten.
Deshalb ist wichtig, dass die Bundesländer nun den Bedarf an Therapieplätzen überprüfen und anpassen wollen. Suizidale Kinder und Jugendliche können nicht monatelang auf einen Therapieplatz warten. Auch ein Herzinfarktpatient wird sofort behandelt – und nicht erst vier Monate später.
Allein mit einer besseren psychologischen und psychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen ist es aber keineswegs getan. Denn dorthin kommen Kinder und Jugendliche erst, wenn sie bereits krank sind. Wichtig ist es auch, in die Prävention zu investieren. Während Kinder regelmäßig zum Check-up zum Kinderarzt gehen und zweimal im Jahr zum Zahnarzt, wird die psychische Gesundheit komplett ignoriert in der Vorsorge. Deshalb ist zum Beispiel ein neues Projekt des Bundesfamilienministeriums, wissenschaftlich begleitet von der Universität Leipzig, im kommenden Schuljahr Sozialpädagogen an Schulen zu etablieren, durchaus ein erster guter Ansatz. Aber nur ein kleiner.
Psychische Erkrankungen sind immer noch stark stigmatisiert, die Schuld wird oft den Eltern untergeschoben. Aus Scham suchen sich viele Familien daher oft keine Hilfe – oder erst, wenn es wirklich brennt. Und dann brauchen sie dringend einen stationären Platz. Dabei entwickeln sich psychische Krankheiten nicht über Nacht. Es ist ein schleichender Prozess. Es braucht deshalb eine breite und starke Lobby für Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft, damit sie mental gesund aufwachsen können. Sie brauchen Erwachsene, die ihre Wünsche und Bedürfnisse ernst nehmen. Kinder und Jugendliche wollen gehört werden und mitbestimmen.
Kinder brauchen eine starke Lobby in der Gesellschaft
Die Realität ist aber: Nahezu alle Einrichtungen für Kinder und Jugendliche in diesem Land sind unterfinanziert – Kindergärten, Schulen, Ausbildungsstätten, Freizeit- und Gesundheitsangebote. Bei der Gesundheit und in den Schulen ist die Not am größten. Deshalb muss dringend im direkten Umfeld von Kindern und Jugendlichen ein größeres Bewusstsein für seelische Probleme geschaffen werden. Es braucht sensibilisierte Lehrer und mehr Schulpsychologen und Sozialarbeiter. Dort muss künftig viel mehr investiert werden. Es reicht nicht mehr, Kindern und Jugendlichen nur ab und an zuzuhören. Es braucht schlicht mehr Geld.