Das Gefühl, dass es nur noch abwärts geh: tImmer mehr Menschen in Stuttgart werden wegen Depressionen behandelt. Foto: dpa

Bei Männern steigen die Zuwachsraten stärker. Frauen haben aber einen höheren Krankenstand. Danach waren in Stuttgart im Vorjahr 23 095 Versicherte deswegen in Behandlung. Das sind fast vier Prozent mehr als im Jahr 2014.

Stuttgart - In der Landeshauptstadt wird bei immer mehr Menschen die Diagnose Depression gestellt. Das geht aus einer Erhebung der AOK hervor. Danach waren hier im Vorjahr 23 095 Versicherte deswegen in Behandlung. Das sind fast zwölf Prozent aller hier Versicherten der Kasse und vier Prozent mehr als im Jahr 2014.

Am Montag war Welttag der seelischen Gesundheit. Der vor mehr als zwei Jahrzehnten mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation WHO ins Leben gerufene Tag soll für das Thema seelische Gesundheit sensibilisieren und Vorurteilen entgegenwirken. Mit gutem Grund: Seit Jahren steigt auch in Stuttgart die Zahl der Diagnosen von depressiven Erkrankungen. Dies bestätigen einmal mehr die Daten der AOK Stuttgart-Böblingen. So wurden 2011 18 486 Patienten wegen Depressionen behandelt – 2015 waren es knapp 25 Prozent mehr. Frauen sind stärker von dieser psychischen Erkrankung betroffen, im vergangenen Jahr in der Landeshauptstadt in 15 016 Fällen, Männer waren es 11 306. Es handelt sich hierbei um durchaus aussagekräftige Daten. Die AOK hat in der Landeshauptstadt mit rund 230 000 Versicherten einen Marktanteil bei den gesetzlichen Kassen von knapp 40 Prozent.

Depression: Ursachen, Symptome, Therapie.

„Die Ärzte sind heute stärker sensibilisiert und testen häufig auch Männer bei dem Verdacht auf eine Depression“, lautet eine Erklärung der AOK für diese Entwicklung. So geht man davon aus, dass die Behandlungsquote noch Ende der 1990er Jahre nicht höher als 50 Prozent lag. Allenfalls jeder zweite Erkrankte nahm professionelle Hilfe in Anspruch. Seither habe sich vieles in der ärztlichen Fortbildung wie im psychotherapeutischen Angebot verbessert, so die Krankenkasse. Auch in der Gesellschaft seien Depressionen kein Tabuthema mehr, die Patienten selbst gingen offener damit um. Mittlerweile gehöre dieses Leiden „zu den fünf in den Hausarztpraxen am häufigsten diagnostizierten Erkrankungen“, ergab die AOK-Auswertung.

Frauen sind öfter krank als Männer

Psychische Erkrankungen sind auch einer der Gründe, weshalb der Krankenstand von berufstätigen Frau immer noch über dem der Männer liegt. Die Krankenkasse DAK hat unter ihren Versicherten für 2015 Jahr errechnet, dass der Krankenstand von Frauen in Stuttgart um etwa 20 Prozent über dem von Männern lag, ein vergleichsweise hoher Wert. Bei den Fehltagen wegen psychischen Erkrankungen waren die Fehltage von Frauen sogar um 70 Prozent höher als die von Männern.

Das hat damit zutun, dass Betroffene, die ein seelisches Leiden haben, oft recht lange ausfallen. In der Statistik der AOK, in der Frauen allerdings nur eine „leicht höhere Krankenstandsrate“ haben als Männer, zeigt sich dies: Zwar machen psychische Erkrankungen dort nur fünf Prozent aller Fälle von Arbeitsunfähigkeit aus, sie sind aber für zehn Prozent der Fehltage verantwortlich.

Die Zahlen der AOK für das erste Halbjahr 2016 zeigen eine ähnliche Entwicklung wie im Vorjahr. Der Krankenstand lag in dieser Zeit bei 5,2 Prozent. Besonders oft sind Mitarbeiter krankgeschrieben, die vor allem körperlich arbeiten. Seit Jahren steigt der Krankenstand bei den Beschäftigten generell leicht an. Seit 2006 konnte man dies feststellen, bis dahin war dieser von Mitte der 1990er Jahre AN gesunken. Die Trendumkehr wird unter anderem mit dem demografischen Wandel und wachsender Arbeitsverdichtung erklärt.

Anzahl der Erkrankungen hängt am Betriebsklima

Gerade zur Vermeidung von psychischen Problemen ist ein gutes Arbeitsklima in den Betrieben wichtig. So hat die Landes-AOK ermittelt, dass bei guter Firmenkultur nur ein Viertel der Mitarbeiter über seelische Beschwerden klagen: Herrscht ein schlechtes Arbeitsklima, sind es drei Viertel. Dabei legen Frauen größeren Wert auf gute Arbeitsverhältnisse als Männer.

Dass Frauen häufiger zum Arzt gehen als Männer, ist ein seit langem bekannt: Sie melden sich auch selbst mal krank, wenn ihr Kind dies ist. Was weniger bekannt ist: Frauen gehen häufiger zur Arbeit, wenn sie sich krank fühlen und sie kehren aus dem Krankenstand schneller wieder ins Geschäft zurück. „Frauen schauen bei Krankheiten eher hin und fragen, was zu tun ist“, sagt Stephan Schlosser, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands der Betriebs- und Werksärzte. Bei den Männern gebe es bis heute den „Typus des schmerzensarmen Mannes“, der die Vorzeichen eines Herzinfarkts nicht zu deuten wisse. Er werde erst durch den Infarkt aus dem Alltag gerissen. Gerade von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Männer mehr betroffen als Frauen. Aber es ändert sich was.

Ein Indikator sind die Zuwachsraten bei den Depressionsdiagnosen. Die liegen bei den Frauen in Stuttgart seit einigen Jahren bei 3,9 Prozent im Jahr, bei den Männern haben sie um 5,7 Prozent zugenommen.