Die 4. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart beim Auftakt des sogenannten Raser-Prozesses – es gab 2019 allerdings viele andere schmerzhafte Verfahren. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Es wurde gestochen, geschlagen, Feuer gelegt, gerast – das Gerichtsjahr 2019 in Stuttgart war ein blutiges. Unter anderem waren zwei tote Kinder zu beklagen.

Stuttgart - Der sogenannte Jaguar-Raserprozess hat, was die mediale Aufmerksamkeit betrifft, das Stuttgarter Gerichtsjahr 2019 klar dominiert. Das Verfahren vor dem Landgericht um den Tod zweier junger Menschen, verursacht von einem ebenso jungen Mann, der das Pärchen im Stuttgarter Norden mit einem gemieteten Jaguar totgefahren hatte, war bundesweit in den Schlagzeilen. Doch die Strafkammern mussten sich auch mit zahlreichen anderen Fällen beschäftigen, bei denen es um Leid, Tod und menschliche Verwerfungen ging – unter anderem mit zwei Frauen, die Kinder getötet hatten.

„Szene wie aus einem Horrorfilm“

„Es war eine Szenerie wie aus einem Horrorfilm.“ Mit diesen Worten umriss der Vorsitzende Richter die Situation, die die Einsatzkräfte Ende Mai dieses Jahres in einer Wohnung am Frauenkopf vorgefunden hatten. Auf dem Boden lag ein totes Kind, von Stichen übersät. Im Bett lag die Mutter, teilnahmslos. Die 30-Jährige hatte ihre zwei Monate alte Tochter mit einer Schere getötet. Die Frau war von ihrem Wahn, das Kind sei der Teufel, zu der Tat getrieben worden. Statt sich mit ihren psychischen Problemen in professionelle Hände zu begeben, hatte sich die Frau von islamischen Religionsgelehrten abstrusen Behandlungen unterziehen lassen. Am Ende kam sie gegen ihre halluzinatorische Schizophrenie nicht mehr an und tötete ihr Kind. Das Gericht verfügte ihre Unterbringung in der Psychiatrie, was der Richter mit drastischen Worten umschrieb: „Psychische Erkrankungen gehören nicht in die Hände religiöser Quacksalber.“

In Fellbach fand ein zweijähriges Mädchen einen gewaltsamen Tod. Die 25-jährige Frau, in deren Obhut das Kind war, hatte es nach Überzeugung der Strafkammer Mitte Dezember 2018 in ihrer Wohnung in Fellbach totgeschüttelt. Sie bestritt dies bis zum Schluss. Die Frau und ihr Ehemann hatten die Tochter des Bruders des Ehemannes aufgenommen. Wie ihr eigenes Kind habe die 25-Jährige das Mädchen behandelt, hieß es. An dem schicksalhaften Tag im Dezember müsse sich die Angeklagte irgendwie über die Zweijährige geärgert haben, so die Richter. Sie habe das Kind hochgehoben und mindestens zehnmal heftig geschüttelt. „Der klassische Fall eines Schütteltraumas“, sagte der Rechtsmediziner. An der Täterschaft der Angeklagten bestehe kein Zweifel, so das Gericht. Sie wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Zum Morden aus Australien angereist

Um ein Haar hätte man den Tod eines dritten Kindes beklagen müssen. Im November 2018 hatte eine 47-jährige Frau in Kornwestheim ihren elfjährigen Sohn mit einem Cuttermesser am Hals verletzt. Vor Gericht kristallisierte sich heraus, dass die Angeklagte offenbar einen Mitnahmesuizid geplant hatte. Nach der Attacke auf den Sohn, der sich losreißen und fliehen konnte, hatte sich die Frau die Pulsadern aufgeschnitten. Die Richterinnen und Richter rückten schließlich vom Vorwurf des versuchten Mordes ab und verurteilten die Frau Mitte Juni dieses Jahres wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis.

Die allermeisten versuchten oder vollendeten Tötungsdelikte sind Beziehungstaten. So auch der spektakuläre Fall eines 60 Jahre alten Physikers, der aus Australien nach Sindelfingen gereist war, um seine Frau zu ermorden. Der Angeklagte hatte seiner von ihm getrennt lebenden Frau im November 2018 auf einem Parkplatz aufgelauert und minutenlang auf ihren Hals eingestochen. Vor Gericht sagte er ungerührt, er habe aus Notwehr gehandelt, seine Frau habe bei der Scheidung zu viel Geld von ihm gewollt. Seinen Kindern hatte er per Brief mitgeteilt, er werde sich vor Gericht herausreden. Ein Irrtum. Er wurde im Juli wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Frau getötet und zerstückelt

Um eine Beziehungstat handelte es sich auch im sogenannten Neckarleichen-Fall, den das Landgericht 2019 zum zweiten Mal verhandeln musste, weil dem Bundesgerichtshof das erste Urteil – sechs Jahre wegen Körperverletzung mit Todesfolge – nicht gepasst hatte. Der 77-Jährige soll seine 72 Jahre alte Freundin in seiner Wohnung in Esslingen-Mettingen getötet und ihre Leiche anschließend zerstückelt und im Neckar versenkt haben. Der Angeklagte bestreitet das vehement. Laut der Strafkammer hatte er die Frau eng an sich binden wollen, die Frau aus Obertürkheim dagegen wollte ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben. Im September 2017 soll er sie umgebracht haben. Er wurde im Oktober wegen Totschlags zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Er hat dagegen erneut Revision eingelegt. Der rechte Arm und der Kopf der Frau wurden nie gefunden.

Diese blutige Reihe lässt sich problemlos fortsetzen. Ende Mai schickte eine Strafkammer des Landgerichts Stuttgart einen 17-Jährigen in die Psychiatrie, weil er seine Mutter und seine Großmutter in Böblingen erstochen hatte. Ebenfalls Ende Mai lautete das Urteil gegen einen 67-jährigen Rentner vier Jahre wegen versuchten Totschlags, weil er seiner Gattin in Großaspach mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen hatte. Zu lebenslang wegen Mordes wurde ein 31-Jähriger verurteilt, der im September 2018 eine 84 Jahre alte Frau in Neuhausen getötet hatte. Der verschuldete Mann wollte die Seniorin ausrauben. Er tötete sie mit Hammerschlägen auf den Kopf und Stichen in den Hals.

Löffel ins Auge gestochen

Ein 25-Jähriger, der unter Verfolgungswahn leidet, wurde in die Psychiatrie eingewiesen, weil er in der Psychiatrie in Kirchheim/Teck seinen Zimmernachbarn angezündet hatte. Der 69-Jährige starb. Zu 13 Jahren Gefängnis verurteilte das Gericht eine Mittsechzigerin, die in Sindelfingen aus Ärger über das Klavierspiel ihrer 81-jährigen Nachbarin ebendiese erstach. Der Richter nannte die Tat ein „Hinmetzeln einer Frau“. Und da war auch noch der 24 Jahre alte Mann, der einem Mithäftling im Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg einen Löffel sechs Zentimeter tief ins Auge gestochen hat. Der Mann kam in eine geschlossene Anstalt.

Angesichts dieser Bluttaten hofft man, dass der große Komödiant Karl Valentin recht hatte, als er sagte: „Wenn die stillen Tage vorbei sind, wird es wieder ruhiger.“ Dieser Wunsch wird sich zumindest für die Mitglieder der Strafkammern des Landgerichts Stuttgart und auch für die Staatsanwaltschaft wohl nicht erfüllen. Im Stuttgarter Westen ersticht ein Mann eine Seniorin am helllichten Tag auf offener Straße, am Fasanenhof tötet ein Mann einen anderen mit einem Schwert. Und das sind nur zwei der vielen Fälle, die 2020 zur Verhandlung anstehen.