Bei einem Unfall am Ortsrand von Sachsenheim ist im vergangenen Jahr ein 21-Jähriger gestorben. Foto: Rosar Fotoagentur/Andreas Rosar

Auf den Tag genau eineinhalb Jahre, nachdem ein 44-Jähriger auf einer Landstraße bei Sachsenheim in eine Fußgängergruppe gerast ist, beginnt der Prozess. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Unfallverursacher fahrlässige Tötung und versuchten Mord vor.

Heilbronn/Sachsenheim - Nach einer ausgelassenen Geburtstagsfeier in einem Gewerbegebiet von Sachsenheim (Kreis Ludwigsburg) machen sich im Mai 2019 vier junge Menschen auf den Weg in den Ort, wo sie übernachten wollen. Sie sind erschöpft von einem langen Tag. Weil sie nicht ortskundig sind, gehen sie entlang der Landstraße den einzigen Weg, den sie kennen und zuvor schon mit dem Auto gefahren sind. Das stellt sich als fatal heraus. Ein Autofahrer rast in die Gruppe, ein 21-Jähriger stirbt.

Der heute 44-jährige Unfallverursacher steht nun unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und versuchtem Mord vor Gericht. Nach dem Zusammenprall, bei dem auch die anderen drei Mitglieder der Gruppe teils schwer verletzt wurden, war der Angeklagte nämlich weiter gefahren. Die Polizei fahndete mit einem Großaufgebot nach ihm. Erst tags darauf meldete sich der Mann bei der Polizei.

Zeugen brechen immer wieder in Tränen aus

Der 44-Jährige beantwortete am ersten von insgesamt fünf Verhandlungstagen keine Fragen, seine Verteidigerin verlas aber eine Erklärung. Er sei in der Nacht – der Unfall ereignete sich um 2.14 Uhr – von einem Café in Bietigheim-Bissingen nach Haus gefahren. Alkohol getrunken oder Drogen genommen habe er nicht. Das erlaube schon sein muslimischer Glaube nicht. Die Gruppe, die am rechten Fahrbahnrand lief, habe er nicht gesehen, weil er sich in dem Moment nach unten gebeugt hatte, um seine Zigarette abzuaschen. Er habe zwar einen Knall gehört, weil sich an seinem Auto keine Blutspuren oder Haare gefunden hätten, sei er davon ausgegangen, dass er ein große Warnbake gerammt hatte, so der Angeklagte. Am nächsten Tag habe er im Internet von dem tödlichen Unfall gelesen und deshalb einen Anwalt eingeschaltet.

Bis heute falle es ihm schwer, in einem Auto zu sitzen – selbst als Beifahrer –, schilderte die Verteidigerin. Auf seinen Führerschein will der Familienvater, der zuletzt als Maschinenbediener bei Valeo gearbeitet hat, verzichten – egal wie das Urteil ausfällt. Was passiert sei, tue ihm Leid. „Wenn ich könnte, würde ich das Geschehene ungeschehen machen.“

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Die drei Überlebenden, die in dem Prozess als Nebenkläger auftreten und extra aus Norddeutschland angereist waren, mussten am Montag die Ereignisse aus dem Mai noch einmal durchleben. „Natürlich mache ich mir Vorwürfe“, sagte der heute 29-Jährige, der mit einer gebrochenen Nase sowie etlichen Schürfungen und Prellungen davon kam. Es wäre ein Leichtes gewesen, mit dem Handy eine andere Route ausfindig zu machen, sagte der Auszubildende zum Polizeimeister. Immer wieder hielt er im Zeugenstand inne, weil ihm die Tränen kamen. Die Gruppe hatte sich zu Fuß auf den Weg zur älteren Schwester des 29-Jährigen in Sachsenheim gemacht, weil alle auf der Geburtstagsfeier getrunken hatten, eine Mitfahrgelegenheit hatten sie offenbar nicht.

21-Jähriger wird gegen einen Zaun geschleudert

Weil die jüngere Schwester des 29-Jährigen und seine Lebensgefährtin, die wie der 21-Jährige vor ihm liefen, Bedenken geäußert hatten und sich auf der Landstraße unwohl fühlten, schwenkte der 29-Jährige, der das Schlusslicht bildete, sein Handy über dem Kopf, um Autofahrer auf sich aufmerksam zu machen. Eine 52-Jährige, die ihre Tochter aus Bietigheim abgeholt und kurz vor dem tödlichen Unfall an der Gruppe vorbeigefahren war, schilderte vor Gericht, dass sie das Licht schon von Weitem wahrgenommen habe. Die Frau bremste deshalb und fuhr in großem Bogen um die vier Personen, die hintereinander gingen, herum. „Ich habe noch im Auto zu meiner Tochter gesagt: ‚Die sind verrückt, das ist lebensgefährlich.‘“ Kurz darauf krachte der 44-Jährige mit einem Ford C-Maxx in die Fußgänger. Der Aufprall war so heftig, dass der 21-Jährige, der als Zweiter in der Reihe ging, durch die Luft und gegen einen angrenzenden Metallzaun geschleudert wurde. Seine Verlobte, die Schwester des 29-Jährigen, fand ihn. Jede Rettung kam zu spät.

Wie genau sich der Unfall abgespielt hat, sollen zwei Sachverständige rekonstruieren. Richter Roland Kleinschroth stellte vor der Verhandlung klar, dass es sich „um keinen typischen Raserprozess“, bei dem der Unfallverursacher ein Rennen gefahren ist, handle. Das Urteil am Landgericht Heilbronn fällt voraussichtlich am 9. November.