Am Landgericht wird der Vorwurf einer Vergewaltigung aufgearbeitet. Foto: dpa/Christoph Schmidt

In einem Vergewaltigungsprozess hat der Angeklagte über seine Beziehungen und die Flucht nach Deutschland erzählt. Dabei gibt der Mann tiefe Einblicke. Aber was sagt er zum Tatvorwurf?

Der Mann auf der Anklagebank des Stuttgarter Landgerichts ist erst 43 Jahre alt, aber der graue Bart und die grauen Haare sowie sein vom Leben gezeichnetes Gesicht verleihen ihm die Züge eines weitaus älteren Mannes. Am zweiten Tag des Prozesses, in dem ihm die Staatsanwaltschaft die mehrfache Vergewaltigung seiner Ehefrau in Flüchtlingsunterkünften in Sigmaringen und Weinstadt vorwirft, hat der Mann – immer wieder von Weinkrämpfen unterbrochen – vom Leben in Syrien und den Hindernissen rund um seine nach islamischem Recht geschlossene Ehe berichtet.

Diese Einblicke hatten Züge vom „Märchen aus 1001 Nacht“, allerdings mit deutlich mehr Drama. Bemüht um einen guten Eindruck begrüßte der Angeklagte zunächst alle Prozessbeteiligten einzeln und betonte, wie dankbar er Deutschland für die Aufnahme als Flüchtling sei. „Es ist unser zweites Mutterland geworden“, erklärte er. Geboren sei er in einer armen Familie auf dem Land zusammen mit sechs Schwestern und sechs Brüdern, zwei weitere Geschwister seien verstorben. Der Vater, der als Schriftführer im Gericht tätig war, sei 2014 vom syrischen Regime ins Gefängnis gesteckt worden und habe freigekauft werden müssen.

Vier Hochzeiten und drei Scheidungen

Er selbst habe nach der Schule seit dem 16. Lebensjahr in der Landwirtschaft und als Bauarbeiter gearbeitet. Auch in der Verwaltung der Polizei und als Taxifahrer habe er sein Geld verdient. „Aber als das Regime angefangen hat, Menschen zu töten, wollte ich nicht länger ihr Werkzeug sein“, begründete er seine Flucht aus Damaskus nach Idlib. Das Haus mit allem Hab und Gut habe sich das Regime unter den Nagel gerissen. Seine erste Ehefrau habe er 2002 geheiratet und zwei Kinder mit ihr bekommen. 2013 sei die Ehe auseinander gegangen. Seine zweite Ehefrau ist das angebliche Vergewaltigungsopfer in diesem Prozess. Nach zwei Jahren habe der Schwiegervater die Trennung verlangt. Er habe sich scheiden lassen und eine dritte Frau geheiratet. Nachdem die zweite Frau nach Vermittlung durch Dorfälteste wieder zu ihm durfte, habe er sich von der dritten Frau scheiden lassen und wieder mit der zweiten zusammengelebt. Dies habe nur wenige Wochen gehalten, dann habe der Schwiegervater erneut sein Veto eingelegt.

Im August 2015, kurz nachdem er eine vierte Frau geheiratet habe, seien er und sein Bruder bei einem Bombenangriff schwer verletzt worden. „Mein Bruder hat beide Beine verloren, ich habe mehrere Knochenbrüche im Oberkörper erlitten“, schilderte der Angeklagte. Nachdem die zweite Frau davon erfahren habe, sei sie endgültig zu ihm gekommen, um ihn zu pflegen. Auch deren Vater sei einverstanden gewesen, nachdem seine Familie eine „Morgengabe“ von einer Million syrischer Pfund erhalten habe.

2018 sei er mit seinem Bruder und der Familie über die Türkei nach Griechenland geflohen, rund 4000 US-Dollar hätten sie an Schleuser bezahlt. „Ich habe meinen Bruder auf den Schultern getragen“, erzählte er, zum ersten Schiff seien sie deswegen zu spät gekommen. Zweieinhalb Jahre habe die Familie in Griechenland gelebt, er habe sie als Tagelöhner durchgebracht. Im November 2021 seien sie in Deutschland angekommen.

Eine Verständigung scheitert

Zu den Tatvorwürfen wollte sich der 43-Jährige nicht äußern, nachdem ein einstündiges Verständigungsgespräch zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung ohne Ergebnis geblieben war. Der Prozess wird am 11. Mai mit der Vernehmung der Ehefrau fortgesetzt, möglicherweise werden sich die Prozessbeteiligten danach erneut noch einmal über eine Verständigung austauschen. Das Urteil soll nach jetzigem Stand am 6. Juni verkündet werden.