Er sei in einer Ausnahmesituation gewesen, sagt der Angeklagte, weil sein Vater verstorben war. Foto: dpa

Ein Nachhilfelehrer gesteht, sich an einem Schüler missbraucht zu haben. Sein Verteidiger fordert Bewährung statt Haft.

Sindelfingen - Dies ist die Sicht der Mutter: Der Nachhilfelehrer habe ihr den Sohn absichtlich entfremdet. „Er hat ihm eingeflößt, deine Eltern lieben dich nicht, das sind deine Feinde“. Zu der Zeit, von der sie spricht, war ihr Sohn zwölf Jahre alt. Der Junge wurde immer schweigsamer, gelegentlich starrte er nur an die Wand und weinte. Fragen, was mit ihm los sei, habe ihr Sohn abgewehrt.

Der Grund offenbarte sich im November 2015. Der Nachhilfelehrer hat seinen Schüler missbraucht. Nach Aussage des Opfers ein halbes Jahr lang und bei so gut wie jedem Besuch in der Wohnung des 39-Jährigen Sindelfingers. Was sich auf bis zu dreimal wöchentlich summieren würde. Zwölf Fälle sind unstrittig. Der Angeklagte hat sie gestanden, in allen Details. Das Landgericht Stuttgart verhandelt gegen ihn.

Der Angeklagte will die Mutter gewarnt haben

Seine Sicht ist eine ganz andere: Er will die Frau gewarnt haben, dass ihr Sohn eine ungesunde Nähe zu ihm suche. Beim Besuch eines Straßenfestes in Böblingen habe er ihr seine Sorge offenbart, dass der Zwölfjährige inzwischen ihm näher stehe als seinen Eltern. Allerdings hat die Mutter vor Gericht eindeutig verneint, dass es ein solches Gespräch je gab.

Am Montag, 18. Dezember, will das Gericht sein Urteil verkünden. Der Verteidiger Klaus Werner fordert eine Bewährungsstrafe. Nicht zuletzt, weil „das Gefängnis so einen Mann wie meinen Mandanten ruiniert“, wie Werner sagte. Der 39-Jährige lebt bei seiner Mutter und hat, abgesehen von Nebenjobs, nie gearbeitet. Der Missbrauch des Zwölfjährigen war die erste sexuelle Erfahrung seines Lebens.

Sollte das Urteil härter ausfallen, will der Verteidiger mittels psychiatrischem Gutachten glaubhaft machen, dass sein Mandant zu jener Zeit wegen eines Trauerfalls vermindert zurechnungsfähig war. Der Missbrauch begann mutmaßlich – dies ist strittig – kurz, nachdem der Vater des 39-Jährigen verstorben war. Er endete ein halbes Jahr später. Dies keineswegs freiwillig, sondern zufällig. Eine gänzlich unbeteiligte Zeugin hatte die Polizei alarmiert.

Ursprünglich hatte der Angeklagte alle Vorwürfe geleugnet

Auch die Staatsanwaltschaft hat eine ganze Reihe mildernder Umstände erkannt, zuoberst das Geständnis, das dem Opfer die Aussage vor Gericht ersparte. Ungeachtet dessen hält die Anklage eine Gefängnisstrafe von drei Jahren und vier Monaten für angemessen. Ursprünglich hatte der 39-Jährige alle Vorwürfe geleugnet. Erst in der Vorbereitung auf die Verhandlung entschied er sich, zu gestehen. „Eine Bewährungsstrafe würde meinem Rechtsempfinden nicht mehr entsprechen“, sagte der Rechtsanwalt der Eltern. Klarer formulierte es die Mutter: „Er muss sitzen.“

600 Euro monatlich hatten sie und ihr Mann dem Angeklagten bezahlt und ihm, nachdem er über Geldprobleme klagte, rund 2000 Euro geliehen. Sie duzten ihren Nachhilfelehrer und vertrauten ihm das Kind weit über die Unterrichtsstunden hinaus an. Das Ehepaar ist auch zwei Jahre nach den Taten noch derart erbost, dass es eine Entschuldigung des Angeklagten ablehnt. Der beteuerte in seinem Schlusswort, dass „ich nichts mehr bereue in meinem Leben“. Die Sicht der Mutter darauf ist ebenfalls eindeutig: „Das ist eine Lüge.“