Für die Kunden muss das Angebot verlockend geklungen haben: Kartoffeln aus regionalem Anbau, vor Ort weiterverarbeitet. Foto: /factum / Andreas Weise

Ein Ehepaar soll polnische Arbeiter wie Leibeigene gehalten haben. Ein Vorarbeiter hatte den Spitznamen Zahnarzt. Laut Anklage hat er Abtrünnige mit Faustschlägen gefügig gemacht. Nebenbei herrschten ekelerregende hygienische Zustände.

Grafenau - Die Staatsanwaltschaft hat überaus sorgfältig ermittelt. Am Ende der Anklageschrift ist sogar vermerkt, dass Öl aus zwei Schrottautos das Erdreich verschmutzt habe, ein Verstoß gegen das Umweltrecht. Die eigentlichen Vorwürfe, wegen denen das Landgericht Stuttgart gegen ein einst im 6700-Seelen-Dorf Grafenau ansässiges Bauernehepaar verhandelt, dürften einzigartig sein in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts.

Sogar dass die Angeklagten mehr als eine Million Euro Sozialbeiträge hinterzogen haben sollen, wirkt eher nebensächlich. Schwarzarbeit und Insolvenzverschleppung kommen hinzu. Für den Hauptvorwurf ist in der Anklageschrift das Wort Sklaverei niedergeschrieben. Sofern sich die Vorwürfe bestätigen, hätte das Paar schon eine Gefängnisstrafe riskiert, wenn es Tiere so gehalten hätte wie seine polnischen Hilfsarbeiter.

In der Großküche fanden Fahnder Mäuse, Ratten und Tierkadaver

Im August 2011 hatte eine Hundertschaft Fahnder die fünf Betriebsgebäude durchsucht. Zuvor hatten sich die Fälle gehäuft, in denen Arbeiter beklagt hatten, ihnen sei Lohn vorenthalten worden. Der Hof lebte vom Anbau und der Weiterverarbeitung von Kartoffeln. Neben der Landwirtschaft betrieb das Ehepaar eine Großküche. Für deren Kunden muss das Angebot verlockend geklungen haben: Produkte aus regionalem Anbau, vor Ort verarbeitet, etwa zu Kartoffelsalat.

Seinerzeit war zwar schon der Verdacht des Menschenhandels aufgekommen. Die Öffentlichkeit bewegte aber viel mehr die Frage, wer womöglich eines der Produkte verzehrt hatte. Die Firma Schönbuch Zentralküche hatte Großkantinen beliefert. Bei der Durchsuchung des Betriebs, in dem das Paar auch wohnte, stießen die Fahnder auf Mäuse, Ratten und Tierkadaver. Wegen der hygienischen Zustände brachte das Jugendamt, die 14-jährige Tochter andernorts unter.

Die Hilfsarbeiter hausten in einem baufälligen Haus

Die polnischen Hilfsarbeiter, bis zu 14 gleichzeitig, hausten in einem baufälligen Haus. Fenster fehlten, die einzige Dusche war verschimmelt, warmes Wasser ein Glücksfall. Für die Disziplinierung waren polnische Vorarbeiter zuständig. Einer von ihnen hatte den Spitznamen „Dentista“ – übersetzt: Zahnarzt. Er wird gesondert angeklagt werden.

Beispiele schlimmster Misshandlung sind in der Anklageschrift aufgelistet. Sie lesen sich so: Einem Koch brach der Dentista den Kiefer, weil das Essen verdorben war. Weil ein Diabetiker wegen eines Schwächeanfalls nicht weiterarbeiten konnte, wurde er eine Treppe hinabgeworfen und an ihrem Fuß verprügelt. Einem Arbeiter wurde die Nase gebrochen, weil er mit der Polizei drohte, einem anderen mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen, weil er seinen Lohn forderte.

Fluchtversuche wurden mit Gewalt verhindert

Prügel bekam auch, wer den Arbeitsbeginn verschlief – nach wenigen Stunden Nachtruhe. Fluchtversuche wurden mit Gewalt verhindert. Eine Schwangere durfte nicht zum Arzt. Ein werdender Vater bettelte vergeblich um Heimaturlaub für die Geburt. Ein Mann wurde zu 37 Stunden Arbeit am Stück gezwungen. Nickte er ein, wurde er angebrüllt. Ein 19-Jähriger brach bei der Feldarbeit ohnmächtig zusammen. Ihm gelang die heimliche Flucht. Der Verzicht auf rund 5000 Euro Lohn schien ihm nebensächlich. Der nun angeklagte Hofvorstand soll die Arbeiter mit dem Hitlergruß angesprochen, junge Männer überdies sexuell belästigt haben.

Die Arbeiter stammten aus verarmten Dörfern. 30 Euro Tageslohn bei freier Unterkunft wurde ihnen versprochen. Tatsächlich sollen sie jeden Samstag 25 Euro bezahlt bekommen haben, für den Kauf von Lebensmitteln. Der ausstehende Lohn war ihnen laut Anklage zum Ende ihrer Saisonarbeit versprochen, aber regelmäßig verweigert worden. Eine Frau soll mehr als 700 Tage durchgehalten haben. Sie sei am Ende mit etwa 20 000 Euro Ausständen zurück nach Polen gereist. Gut 100 Anklagepunkte hat die Staatsanwaltschaft aufgelistet. Bisher verweigern die Angeklagten jede Aussage. Bleibt es dabei, könnte der Prozess noch länger dauern als geplant. Um die 30 Zeugen müssten aus Polen anreisen. Bisher ist das Urteil für Ende Oktober vorgesehen.