In der Justiz kann es gravierende Folgen haben, wenn Straftaten nicht verfolgt werden. Foto: Lichtgut/Leif-Hendrik Piechowski

Eine Polizistin schafft ihre Arbeit nicht. Statt Hilfe zu suchen, lässt sie einige Fälle schleifen. Deshalb stand sie nun selbst vor Gericht.

Ludwigsburg - Die Tränen laufen der Angeklagten fast während der gesamten Verhandlung über ihr Gesicht. Immer wieder ein stilles Schneuzen und viele Beteuerungen, dass sie ihr Verhalten zutiefst bedauere. Sie habe kein schlechtes Licht auf die Ludwigsburger Polizei fallen lassen wollen. Und sie habe keine rational nachvollziehbare Erklärung für ihr Verhalten. Nadine F.*, ist selbst Polizistin. Unter den Kollegen in ihrem Revier hatte sie einen guten Ruf. Die Hauptmeisterin galt als engagiert und hilfsbereit. Was niemand sah – und sie nicht sagte: Nadine F. fühlte sich überfordert. Statt alle ihre Fälle ordnungsgemäß zu bearbeiten, ließ sie sie teilweise liegen. Vor dem Ludwigsburger Amtsgericht musste sie sich deshalb wegen versuchter Strafvereitelung im Amt in vier Fällen verantworten.

Die Polizistin nimmt die Fälle auf – verfolgt sie aber nicht weiter

Am schlimmsten betroffen war ein Taxifahrer. Er war in in einer Februarnacht 2017 mit drei Fahrgästen aneinandergeraten, die er bei der Rockfabrik eingesammelt hatte. Nach verbalen Scharmützeln hielt der Taxifahrer schließlich an – und wurde daraufhin von einem der Männer heftig attackiert und schwer verletzt. Nadine F., die damals im Streifenwagen an den Tatort kam, nahm den Fall zwar auf. Doch danach unternahm sie nichts mehr.

Ebenso verfuhr sie im Falle eines Mannes, der seine Rechnung in einer Ludwigsburger Kneipe nicht bezahlen wollte oder konnte. Nadine F. nahm auch einen Fall häuslicher Gewalt auf und einen Fall von Unfallflucht – ohne Folgen. Nadine F. wusste, dass ihr Verhalten falsch ist. Es war nicht so, dass sie Fälle nicht bearbeiten und Täter ungestraft davon kommen lassen wollte. Das beteuerte sie immer wieder. Doch sie kam nicht dazu. Nadine F., so führte sie aus, war intensiv mit der Einarbeitung neuer Kollegen beschäftigt und schaffte deshalb ihr Pensum nicht.

Durch einen Anruf fliegt alles auf

Um die offenen Fälle aus dem „Sichtfeld“ zu haben, verschob sie sie im Computersystem so, dass sie nicht mehr auffielen. Oder sie deklarierte sie als so genannte Fehlerfassung. Die Akten galten demnach als irrtümlich angelegt und konnten eliminiert werden. Auf Dauer, das war Nadine F. bewusst, konnte das nicht unentdeckt bleiben. „Ich habe nicht großartig darüber nachgedacht“, bekannte sie.

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Aufgeflogen ist die Verschleierungstaktik im November des vergangenen Jahres. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hatte sich nach dem Stand der Dinge eines zehn Monate zurückliegenden Delikts erkundigt. Als Nadine F.s Vorgesetzte der Sache nachgingen, entdeckten sie auch die anderen unbearbeiteten Fälle.

Die Rückkehr in den Dienst ist möglich

Kollegen haben sie inzwischen abgearbeitet – mit dem Ergebnis, dass keiner der einst Beschuldigten bestraft wurde. Nicht allerdings, weil die Vorwürfe verjährt wären, sondern weil sie belanglos waren, es keinen hinreichenden Tatverdacht gab oder – im Falle des Taxifahrers – sich der Beschuldigte wegen schwer wiegenderer Taten verantworten muss.

Die Situation sei für alle, die in der Justiz arbeiteten, nachvollziehbar sagte die Richterin. Doch gerade in der Justiz könne ein solches Verhalten eben besonders gravierende Folgen haben. Sie verurteilte Nadine F. zu 100 Tagessätzen à 30 Euro. Momentan befindet sich die 32-Jährige in Elternzeit. Ob sie danach zurück zur Polizei kommt, ist offen. Rechtlich ist das grundsätzlich möglich.

*Name geändert