Bernhard H. räumte ein, dass er mit Maria ins Ausland floh. Foto: dpa

In Freiburg hat der Prozess gegen Bernhard H. begonnen. Der 58-Jährige ist wegen Missbrauchs und Freiheitsberaubung angeklagt. Er war 2013 mit der damals 13 Jahre alten Maria H. nach Italien geflüchtet. Das Mädchen lebte fünf Jahre mit ihm zusammen, ohne Kontakt zur Familie.

Freiburg - Wo ist Maria? Fünf Jahre Rätselraten über diese Frage sind im August 2018 mit der Rückkehr des verschwundenen Mädchens nach Freiburg zu Ende gegangen. Doch was geschah mit Maria H. auf ihrer langen Reise durch Europa zusammen mit einem 40 Jahre älteren Mann? Darüber wird seit Mittwoch in Freiburg vor dem Landgericht verhandelt. Ob dabei auch die Frage geklärt wird, warum die inzwischen 19-Jährige vor sechs Jahren mit Bernhard H. mitging und warum sie so lange bei ihm blieb, muss sich zeigen.

Dem Angeklagten droht eine lange Haftstrafe

Vor der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Freiburg geht es um Freiheitsberaubung und sexuellen Missbrauch einer Minderjährigen in 105 Fällen. Dem mittlerweile 58-Jährigen aus Nordrhein-Westfalen droht eine hohe Freiheitsstrafe, danach möglicherweise sogar Sicherungsverwahrung. „Die formellen Voraussetzungen dafür liegen vor“, sagte die Staatsanwältin Nikola Nowak in ihrem Vortrag. Eigentlich hatten der Angeklagte und sein Rechtsvertreter schon zuvor Zuhörer und Presse aus dem Gerichtssaal weisen wollen. Doch der Antrag wurde vom Gericht zurückgewiesen. Erst, wenn die Tatvorwürfe im Detail besprochen würden, habe der Persönlichkeitsschutz – sowohl des Angeklagten als auch des mutmaßlichen Opfers – wieder Vorrang. Die zweite Hälfte des Verhandlungstags fand daher hinter verschlossenen Türen statt.

Erste Kontaktaufnahme übers Internet

Folgt man der Anklageschrift, begann die strafrechtlich relevante Seite der Beziehung zwischen Maria H. und Bernhard H. bereits, bevor sie sich persönlich kannten. Als Zwölfjährige wurde das Mädchen Ende 2011 in einem Internetportal von einem „Karlchen“ angeflirtet, der sich laut Staatsanwaltschaft zunächst als Teenager ausgab. Bald darauf schickte er Nacktfotos von sich. Hinter dem Tarnnamen verbarg sich Bernhard H., 42 Jahre alt, verheiratet und Familienvater. Seine Frau kam hinter die Sache und zeigte ihn an. Bernhard H. wurde von der Polizei verwarnt.

Obwohl Marias Mutter das Handy ihrer Tochter eingezogen hatte, gingen die Heimlichkeiten weiter. Schließlich kam es zu Treffen und sexuellen Handlungen in Freiburg, wohin H. 2012 und 2013 mehrfach reiste. Bernhard H. habe gewollt, dass Maria von ihm schwanger werde. Zugleich habe das ungleiche Paar den Plan gefasst, sich ins Ausland abzusetzen.

Erst mit 18 gelang Maria die Flucht

Das Vorhaben setzten sie Anfang Mai 2013 nach einem Aufenthalt im Freiburger Ibis-Hotel um. Mit Auto und H.s Hund reiste das Paar nach Polen. Nach einem Monat ging es mit Fahrrädern und Campingausrüstung über die Slowakei, Ungarn und Slowenien nach Italien und längs der Adria-Küste immer weiter nach Süden bis nach Sizilien. H. dominierte laut der Staatsanwältin Novak die Beziehung. In all den Jahren habe das Mädchen kein Mobiltelefon nutzen oder ins Internet gehen dürfen. Erst, als Maria H. volljährig wurde, habe sie sich ein Smartphone beschaffen und sich im August 2018 bei ihren Angehörigen melden können. Mit Zügen und Bussen sei sie bis Mailand geflohen, um sich dort abholen zu lassen.

Wäre es nur eine verrückte, aber platonische Reise gewesen, gäbe es den Prozess vielleicht gar nicht. Zumindest nicht in dieser Art. Doch schon bei den Treffen in den Freiburger Hotels, im Auto und auf den Zeltplätzen sei es zu strafwürdigen sexuellen Handlungen gekommen, bis hin zum Geschlechtsverkehr, in etwa 105 Fällen. Auch gegen den ausdrücklichen Willen Marias, die bereits unangenehme Erfahrungen mit einem früheren Freund gehabt habe. Somit habe der Angeklagte eine erhebliche körperliche und seelische Schädigung des Mädchens in Kauf genommen. Auch wenn die sexuellen Handlungen nach dem 16. Geburtstag des Mädchens aufgehört hätten, so die Anklage.

„Meine Arme werden für Maria immer offen sein.“

Wie der Angeklagte sein Verhalten heute sieht, hat er in Anwesenheit der Öffentlichkeit nicht gesagt. Aber seinem Auftreten im Saal und auf der Anklagebank nach zu urteilen, geht er wohl davon aus, dass er eine zwar ungewöhnliche, aber einvernehmliche Beziehung mit Maria H. hatte. Schon als er den Aktenordner wegnahm, mit dem er sein Gesicht vor den Kameraobjektiven verbarg, ging sein Blick quer durch den Saal zu Maria H., die mit ihrer Mutter als Nebenklägerin auftritt. Und am Schluss seiner Angaben zur Person sagte er: „Meine Arme werden für Maria immer offen sein.“ Das Mädchen zeigte keine Regung. Trotz ihrer 19 Jahre wirkt sie eher wie ein Kind, ihre Mutter suchte oft den Körperkontakt.

Was Bernhard H. zuvor über sich erzählt hatte, klang nicht nach einem glücklichen Leben. Geboren in Detmold, bei der Oma und dem strengem Onkel aufgewachsen, gegängelt von der fundamental-christlichen Mutter, beginnt der Junge eine Tischlerlehre, bricht sie ab, arbeitet als Dachdecker und in einer Möbelfabrik bevor er eine Umschulung zum Informationselektroniker macht. Seine mittlerweile geschiedene Ehe sieht er schon nach kurzer Zeit als gescheitert an, er habe „nur noch funktioniert“. Eine kurze Karriere bei den rechtsradikalen Republikanern führte ihn als Schatzmeister in den Landesvorstand Nordrhein-Westfalen.

Dass er als Kinderschänder gilt, irritiert Bernhard H.

Irgendwann Ende 2011 habe er angefangen, „zu surfen“, sagt Bernhard H. – weil er sich allein gefühlt habe. Dass er nun als Kinderschänder angesehen wird, deswegen das Gefängnis wechseln musste und wegen Missbrauchs vor Gericht steht, irritiert ihn. In Deutschland werde er wohl keine Perspektive haben, ist er sich sicher. Er habe vor, in Italien in ein Kloster zu gehen – sofern Maria ihn nicht mehr wolle. Dort bete man für ihn. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.