Am 30. März will das Landgericht Stuttgart das Urteil gegen den 54-Jährigen aus Mötzingen sprechen. Foto: /Julian Rettig

Die Anklagebehörde hat am Landgericht Stuttgart die nachträgliche Sicherungsverwahrung für einen 54-jährigen Künstler aus Mötzingen (Kreis Böblingen) gefordert, der für die Tötung seiner Mutter bereits 13 Jahre in Haft gesessen hat.

Eine ganz besondere Stille lag über dem Saal des Stuttgarter Landgerichts, als der Mann auf der Anklagebank nach viereinhalbmonatigem Schweigen bei seinem „Letzten Wort“ erneut den Mund aufmachte – und alle Prozessbeteiligten wohl ein Stück weit überraschte: „Draußen wartet auf mich eine noch feindlichere Welt als hinter Gittern. Die Hürden, um mich draußen zu bewähren, sind zu hoch. Von daher halte ich eine nachträgliche Sicherungsverwahrung für richtig“, sagte der Mötzinger, der im Jahr 2007 seine Mutter aus nichtigem Anlass mit einem Bildhauerschlegel erschlagen hatte und eine langjährige Haftstrafe abgesessen hat.

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Nach fünf Monaten und 14 Verhandlungstagen sind im Prozess gegen einen 54-jährigen Skulpturenkünstler aus Mötzingen die Plädoyers gehalten worden.

Anklage befürchtet Gefahr für Frauen, weil verschmähte Liebe zu Hass wurde

Zuvor hatte Oberstaatsanwalt Matthias Schweitzer in seinem Schlussplädoyer die nachträgliche Sicherungsverwahrung für den Angeklagten gefordert. Die Verhandlung und auch das Verhalten in fünf verschiedenen Haftanstalten hätten gezeigt, dass keine andere Entscheidung möglich sei. „Alle Versuche, gedeihlich mit dem Mann umzugehen, sind gescheitert. Er bleibt unverrückbar in seiner eigenen Gedankenwelt verhaftet“, sagte der Oberstaatsanwalt.

Anklage befürchtet im Falle einer Freilassung Gefahr für Frauen

Er habe nicht nur einen ehemaligen Beamten der JVA Heimsheim für unfähig erklärt, sondern zu Beginn dieses Prozesses den Richtern auch unterstellt, dass sie ihre Sache nicht richtig machen und seine Hilfe benötigen würden. Zwei Gutachter hätten dem 54-Jährigen eine schwere Persönlichkeitsstörung mit paranoider und sensitiver Prägung attestiert. „Auf Grund seiner Fehlvorstellungen und Fehlinterpretationen sind Frustrationen und weitere Konflikte mit unbeteiligten Dritten programmiert – vor allem, weil es für ihn nach einer Entlassung keinen sozialen Empfangsraum gibt und er in der untauglichen Umgebung der Sozial- und Obdachlosenhilfe landen würde“, argumentierte Schweitzer.

Hinzu komme, dass der 54-Jährige in der Haft Probleme mit weiblichen Personen gehabt und sich einseitig Beziehungen vorgestellt habe. Als die Frauen ihn abgelehnt hätten, sei sein Verhalten in Hass umgeschlagen. Es seien schwerste Gewalt- und Sexualdelikte von dem Mann zu befürchten, der Schutz der Allgemeinheit genieße Vorrang vor dessen Recht auf Freilassung.

Angeklagter: „Ich behaupte nicht, dass ich normal bin.“

Der Verteidiger Michael Lepp räumte ein, er sei hin- und hergerissen, beantragte jedoch, von der nachträglichen Sicherungsverwahrung abzusehen. „Mein Mandant kommt mir vor wie Don Quichotte bei seinem Kampf gegen Windmühlenflügel – was immer er macht, ist falsch.“ Er habe mit seinen Briefen in den Haftanstalten seine Personalakte immer mehr gefüllt und so den Bediensteten viel Arbeit gemacht. In seiner künstlerischen Persönlichkeit habe er sich jedoch nicht wahrgenommen gefühlt.

Dies bestätigte der Mötzinger: „Meine Geschichte ist schwierig. Ich behaupte nicht, dass ich normal bin, aber bis zum Gestörten und Abartigen, als der ich gesehen werde, gibt es noch viele Nuancen“, sagte er. Am Ende konnte er sich einen Ratschlag an das Gericht nicht verkneifen: „Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist kein Dauerzustand, die Entscheidung wird nur hinausgeschoben. Entscheiden Sie mit Blick auf die Zukunft, sonst bleibt es eine Flickschusterei bis zum Sankt Nimmerleinstag.“ Was also macht das Gericht nach dem Urteil mit ihm? Immer wieder die Sicherungsverwahrung verlängern? Ihn letztlich in die Welt zurückschicken, in der er nicht klarkommt? Das wollte er wohl dem Gericht mitgeben.

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Der Mötzinger Skulpturenkünstler hatte im Januar 2007 seine Mutter aus vermeintlich nichtigem Anlass mit einem Bildhauerschlegel erschlagen: Sie hatte ihm nicht wie üblich sein Taschengeld auf die Treppe zu seiner Wohnung eine Etage höher gelegt. Nach der Tat fuhr er mit dem Fahrrad zum Polizeirevier Nagold und stellte sich.

Bundesgerichtshof hat Urteil aufgehoben – neues Urteil für 30. März erwartet

m Juni 2007 verurteilte das Landgericht Stuttgart den Mann wegen Totschlags zu 13 Jahren Haft. Ein Gutachter hatte ihm damals zwar eine Persönlichkeitsstörung attestiert, das Gericht ihn dennoch nicht als schuldunfähig angesehen und zu normaler Strafhaft verurteilt. Nach Ablauf der Haftzeit im Januar 2020 beantragte die Staatsanwaltschaft die nachträgliche Sicherungsverwahrung, da der 54-Jährige noch immer eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.

Im September 2020 gab die erste Schwurgerichtskammer des Stuttgarter Landgerichts dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt und ordnete die nachträgliche Sicherungsverwahrung an. Dieses Urteil hob der Bundesgerichtshof jedoch im Juni wegen formeller Fehler auf. Am 30. März will die 19. Schwurgerichtskammer ihr Urteil fällen.