Blumen und Trauerschmuck waren kur nach der Tat an der Dreisam Zeichen der Anteilnahme. Foto: dpa

Der afghanische Angeklagte schildert, wie er die Studentin überfallen, missbraucht und dann in die Dreisam gelegt hat. Er gibt an, unter der Tat zu leiden. Die Freiburger Richterin lässt aber nicht locker.

Freiburg - Auf einem von Hand beschriebenen DIN-A-4-Zettel steht das, wozu sich Hussein K. so lange nicht durchringen konnte. Worauf die Angehörigen der toten Studentin so lange gewartet haben: eine Entschuldigung. „Wenn es mir möglich wäre, sie ins Leben zurückzuholen, hätte ich es gemacht“, sagt Hussein K., den Kopf gesenkt, das Blatt in seinen Händen.

Er spricht leise, tonlos, der Dolmetscher an seiner Seite übersetzt aus seiner Muttersprache Dari ins Deutsche. „Ich habe nach dem Vorfall am 16. Oktober jede Nacht davon geträumt, die Träume haben mich verrückt gemacht“, sagt der junge Afghane und dass er die Familie der Toten um Verzeihung bitte. „Nach dem Tod von Maria bin ich auch gestorben“, liest der Angeklagte von dem Zettel ab. Seine Erklärung dauert nur wenige Minuten, kein einziges Mal hebt er seinen Kopf dabei.

Interesse an Verhandlung ist groß

Es ist der zweite Prozesstag am Freiburger Landgericht. Wieder stehen die Menschen vor dem Gebäude in der Altstadt schon lange vor der Verhandlung Schlange, wieder sind alle 150 Plätze des größten Saals belegt. Nur das Polizeiaufgebot ist viel kleiner geworden als beim Auftakt knapp eine Woche zuvor. Der Fall Hussein K. bewegt weit über Freiburg hinaus die Öffentlichkeit, das Medieninteresse ist gewaltig. Hussein K. soll im Oktober die 19-jährige Medizinstudentin Maria L. vom Fahrrad gezerrt, vergewaltigt und mit dem Kopf unter Wasser in das Flüsschen Dreisam gelegt haben. Sie starb durch Ertrinken.

Weich sind die Gesichtszüge des Angeklagten, fast jungenhaft. Er sei 19 Jahre alt, betont Hussein K. immer wieder, der Staatsanwalt geht von 22 Jahren aus, das will er mit zwei Altersgutachten belegen. Vor Gericht wirkt Hussein K. zurückhaltend, still, er hat den Reißverschluss seiner dunkelblauen Trainingsjacke hochgezogen bis an den Hals, als wolle er sich schützen. Wenn er von jener Nacht erzählt, als er auf Maria L. traf, die von einer Medizinerparty kurz vor 3 Uhr heim radelte, zeigt sich eine andere Seite des afghanischen Flüchtlings.

Mit dem Schal bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt

„Ich habe gegen ihr Fahrrad getreten“, erzählt der Angeklagte, der im Laufe des Abends mit Freunden jede Menge Wodka getrunken und Haschisch geraucht habe. Er schildert zum ersten Mal die schrecklichen Minuten des Überlebenskampfes von Maria L. Weil sie um Hilfe geschrien habe, habe er ihr den Mund zugehalten und sie in Richtung Dreisam gezerrt. Er habe sie am Hals gepackt und sie schließlich mit seinem Schal zum Schweigen gebracht. Wohl bewusstlos lag die Studentin vor dem Angreifer auf dem Boden, halb im Brombeergestrüpp. „Da ist mir durch den Kopf gegangen: ‚Das Mädchen ist hübsch, mach mal Sex mir ihr‘“, erzählt Hussein K. Er habe die Studentin entkleidet, dann habe er sie mit der Hand vergewaltigt, zum Geschlechtsverkehr sei es nicht gekommen.

Allerdings habe er sich im dornigen Gestrüpp die Haut aufgeritzt und Blutspuren auf der Studentin hinterlassen. Um diese abzuwaschen, habe er die Frau in den nur kniehohen Fluss geschleppt: „Ich habe sie sauber gemacht und bin weggerannt“, sagt Hussein K. Er habe nur noch nach Hause gewollt in sein Zimmer bei der Gastfamilie, die ihn als unbegleiteten minderjährigen Flüchtling aufgenommen hatte. Dort habe er die Kleider in die Waschmaschine geworfen, um Spuren zu beseitigen, sich unter die Dusche gestellt und dann bis zum Sonntagnachmittag geschlafen.

Dann holte ihn die Nacht offenbar wieder ein: „Ich habe nicht geglaubt, was ich gemacht habe, bis ich es am nächsten Tag im Fernsehen gesehen habe“, sagt der Angeklagte. Seine auffällige Frisur, lange Haare mit blondierten Spitzen, die er mal geschlossen, mal zum Zopf gebunden trug, ließ er sich noch am Sonntag von einem Freund abschneiden. Auf die Frage des Staatsanwalts warum, antwortet er lapidar: „Es gab keinen bestimmten Grund.“

Die Richterin zweifelt an manchen Angaben

Immer wieder gibt es Brüche oder Unklarheiten in den Aussagen des jungen Afghanen, der als Asylbewerber über die Türkei und Griechenland nach Deutschland gekommen ist. Er hat auch Erinnerungslücken oder scheint sich nicht erinnern zu wollen. Die Vorsitzende Richterin Kathrin Schenk bohrt nach, hält ihm seine frühere Aussage und Zeugenprotokolle vor. Doch vieles bleibt im Unklaren.

An einer Stelle lässt die Richterin nicht locker. Hussein K. gibt an, er sei davon ausgegangen, er habe die Studentin mit seinem Schal erwürgt, sie sei nach wenigen Minuten tot gewesen. Ihr Brustkorb habe sich nicht mehr bewegt, erklärt er. „Sie wollten also mit einer Toten Sex machen“, fragt die Richterin ungläubig? Hussein K. antwortet sichtlich unbewegt: „Es hat mir nichts ausgemacht, mit einer Toten Sex zu haben.“

Es sind nüchtern vorgetragene Sätze, die von Hussein K. zu hören sind. Nur ein einziges Mal reibt er sich an diesem Montag über die Augen, zeigt Gefühl. Er erzählt, dass er sich selbst wie eine Leiche fühle, und das schon lange. Eine Woche vor der Tat habe er versucht, sich umzubringen mit 15 Schlaftabletten und einem medizinischen Saft, den er von seinem Psychiater verschrieben bekommen habe. In der Untersuchungshaft folgten noch zwei weitere Suizidversuche.

Schmallippig wird Hussein K., als ihn der Staatsanwalt damit konfrontiert, dass er vor der Tat etliche Frauen bedrängt habe. Erst in einer Bar, wo der Afghane versucht habe, sich einer Besucherin beim Tanzen zu nähern. Sie stieß Hussein K. angeblich weg und ging. Später in der Nacht soll er sich in der Straßenbahn neben eine junge Frau gesetzt und sie belästigt haben. „Ich kann mich nicht erinnern“, sagt Hussein K., das liege an den Drogen. „Unter normalen Umständen hätte ich das nicht getan.“

Als erster Sachverständiger kommt am Montag Edgar Pfeifer zu Wort, der Leiter der polizeilichen Ermittlungen. Er skizziert ein Bild von der getöteten Studentin, erzählt, wie ihre Kommilitonen sie erlebten. „Maria war fleißig, gewissenhaft und sozial engagiert“, sagt Pfeifer. Eine arglose junge Frau ohne Gefahrenradar, „sie hat Gottvertrauen an den Tag gelegt“. Eine dreimonatige Beziehung mit einem Physikstudenten habe sie einvernehmlich abgebrochen, weil der Partner wohl „mehr gewollt habe“. Maria habe aufgrund ihres Glaubens enthaltsam gelebt, schildert Pfeifer die Eindrücke ihrer Mitstudenten .

Wie gewissenhaft sie war, zeige auch ihr Verhalten am Abend der Medizinerparty „Big MediNight“. Sie habe allen erzählt, um 2 Uhr nachts gehen zu wollen, was sie laut Zeugen auch tat. Sie wollte für eine von ihr organisierten Wanderung für Erstsemester am nächsten Tag fit sein. Doch an der Garderobe habe sie aufgrund des Andrangs fast 40 Minuten auf ihre Jacke warten müssen, erzählt der Polizeibeamte. So kam es, dass sie erst gegen 2.37 Uhr los radelte und verhängnisvollerweise kurz vor 3 Uhr am Tatort wohl auf Hussein K. traf. Eine Zufallsbegegnung mit einem tödlichen Ende.

Der Polizeibeamte berichtete auch von Vernehmungen eines Mithäftlings von K. während dessen Untersuchungshaft. Danach soll der Angeklagte als 14-Jähriger in Afghanistan eine Zwölfjährige vergewaltigt haben. Das habe der junge Flüchtling dem Mitinsassen nach dessen Angaben erzählt, berichtete der Kripo-Beamte weiter.

Hussein K. war 2015 ohne Papiere nach Deutschland gekommen. Wegen einer Gewalttat an einer jungen Frau 2013 war er in Griechenland zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, im Oktober 2015 aber vorzeitig gegen Auflagen entlassen worden und kurze Zeit später untergetaucht. Über die Geschehnisse in Griechenland wollte K. auf Nachfrage der Richterin auch am Montag nicht sprechen.