Justizbeamter im Oberlandesgericht Stuttgart. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Der erste Angeklagte hat sich im Prozess gegen die mutmaßliche rechtsextreme Terrorzelle „Gruppe S.“ zu den Vorwürfen geäußert – und alle Verstrickungen in die Pläne der Gruppe von sich gewiesen.

Stuttgart - Eine Gruppe von Männern, die Ausländer und Andersdenkende hassen, die Muslime töten und einen Bürgerkrieg anzetteln wollen. Ein Polizeimitarbeiter, der ihnen bei der Beschaffung von Waffen unter die Arme greifen möchte. Ein Verräter aus den eigenen Reihen, der die ganze Gruppe an die Ermittler verpfeift. Die Anklageschrift offenbart tiefe Abgründe. Sie wird das Oberlandesgericht Stuttgart nun viele Monate lang beschäftigen.

Zwölf Männer sitzen auf der Anklagebank, elf mutmaßliche Mitglieder und ein mutmaßlicher Unterstützer der Terrorzelle „Gruppe S.“. Die Wahrheitsfindung in dem Mammutprozess gestaltet sich als schwierig, weil die meisten der zwölf Angeklagten sich nicht zu den Vorwürfen äußern wollen. Doch einer bricht am Dienstag das Schweigen: Der, der für die Polizei arbeitete und die Gruppe unterstützt haben soll.

Der 51-Jährige weist alle Verstrickungen mit Terrorplänen von sich

Der Mann ist 51 Jahre alt, nach eigenen Aussagen ein Mittelalterfan aus Hamm in Nordrhein-Westfalen. Der Angeklagte im Zeugenstuhl trägt schulterlanges, gräuliches Haar und ein knallblaues Hemd, in dem er ein wenig wirkt wie in einer Sträflingsuniform. Mit seiner Aussage belastet er vor allem den einen Angeklagten, der als Kronzeuge des Verfahrens gilt. Der 51-Jährige selbst weist alle Verstrickungen mit Terrorplänen von sich.

Die Vorwürfe sind heftig: Die „Gruppe S.“, benannt nach ihrem mutmaßlichen Rädelsführer Werner S. aus dem Raum Augsburg, soll Schusswaffen gehortet und Anschläge geplant haben. Die Männer wollten der Anklage zufolge Moscheen in kleinen Ortschaften überfallen und Muslime töten. Sie sollen gut vernetzt gewesen sein in der rechtsextremen Szene, rekrutierten sich demnach aus Bürgerwehren, aus der sogenannten Reichsbürger- und Prepperszene, aus Gruppen mit Namen wie „Vikings Security Germania“, „Wodans Erben“ oder „Freikorps Heimatschutz Division 2016 - Das Original“. Die Anschlagspläne sollen zum Ende hin sehr konkret geworden sein.

„Das interessiert mich alles gar nicht“

Der 51-jährige Polizeimitarbeiter will mit all dem nichts zu tun gehabt haben. „Das interessiert mich alles gar nicht“, sagte er. Er sei weder rechts noch links, er sei „politisch kritisch“, mehr aber auch nicht, erzählt er dem Gericht. „Ich bin seit über 30 Jahren im öffentlichen Dienst, weil ich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe.“ Auch habe er nur einen der anderen Angeklagten überhaupt gekannt, einen Mindener Bekannten, der habe ihn auch in die Telegram-Chatgruppe „Heimat“ aufgenommen. Er habe stets gedacht, es gehe dabei um das Hobby Mittelalter, es handle sich um Gleichgesinnte. Denn der 51-Jährige geht in seiner Freizeit gern auf Mittelaltermärkte, spielt Geschichte nach, verkleidet sich.

Auch als er kurz vor einem persönlichen Treffen der Gruppe in Minden im Februar 2020 von der „Bruderschaft Deutschland“, von Wodan und Wikingern hört, habe er angenommen, es handle sich um harmlose Mittelalterfans, nicht um Rechtsextremisten. Im Netz informiert er sich aber nicht über diese Namen. Stattdessen fährt er zu dem Treffen, das stattfindet, kurz bevor die „Gruppe S.“ in bundesweiten Razzien hochgenommen wird.

Die Aussagen sind nicht frei von Widersprüchen

Man habe damals zunächst zusammen gegessen, berichtet der 51-Jährige. Zuerst sei es um „Alltagsgerede“ gegangen, dann um Politik, um Plakate und Demonstrationen, um ein Grundstück für ein Vereinsheim. Dann seien „rechte Unmutsäußerungen“ gefallen. Was genau gesagt wurde, will er nicht mehr wissen - obwohl er mehrere Stunden mit den Männern zusammen saß. „Ich habe nicht großartig zugehört, was da geredet wurde.“ Nur einzelne Erinnerungshappen lässt er sich entlocken. So soll der mutmaßliche Rädelsführer S. seinen Sitznachbarn gefragt haben, ob der wisse, wie man an eine Waffe rankomme. Der Kronzeuge U. habe gesagt, man müsse gegen Moscheen vorgehen. „Ich habe das auf der Rückfahrt ausgeblendet und als Spinnereien abgetan.“ Am nächsten Tag habe er seinem Bekannten geschrieben: „Ich bin raus, das ist mir zu heftig.“

Seine Aussagen sind nicht frei von Widersprüchen. Er beschreibt die Kulisse als bedrohlich und gefährlich, kann aber nicht mehr wirklich beschreiben, warum. Ihn hätten die Äußerungen der Männer sehr aufgewühlt, trotzdem kann er kaum eine Äußerung widergeben. Er sagt, er habe angenommen, in der Chatgruppe gehe es nur ums Mittelalter, dennoch erzählt er, er habe dort regelmäßig schon am frühen Morgen Links „alternativer Medien“ über das politische Zeitgeschehen gepostet. Andererseits will er die Chatgruppe gar nicht wirklich verfolgt haben, mit den Leuten sei er auch nicht direkt in Kontakt gekommen. Er habe eigentlich ein anderes Leben, sei in die Sache „gezerrt worden“.

Die Version des 51-Jährigen: Ich bin ein harmloser Mittelalterliebhaber, zur falschen Zeit am falschen Ort. Inwieweit sich diese Version bewahrheitet, wird der weitere Prozessverlauf zeigen. Bis Mitte 2022 sind Termine für die Verhandlungen geblockt. Zuvor hatten am Dienstag mehrere Anwälte die Aussetzung des Verfahrens beantragt, weil ihre Mandanten aus ihrer Sicht im Gefängnis nicht ausreichend Zugang zu ihren Leselaptops haben. Das Gericht lehnte den Antrag ab.