Das Gericht in Heilbronn steht im Fall eines getöteten Säuglings vor einer schwierigen Entscheidung. Foto: dpa

Der Staatsanwalt plädiert am Landgericht Heilbronn wegen Totschlags für fünfeinhalb Jahre Haft, der Verteidiger der 30-jährigen angeklagten Mutter hält wegen einer „psychischen Ausnahmesituation“ drei Jahre Gefängnis für ausreichend.

Steinheim - Im Fall der Kindstötung in Steinheim sind am Donnerstag am Landgericht Heilbronn die Plädoyers gehalten worden. Einer 30-Jährigen wird vorgeworfen, in der Nacht zum 17. Februar ihren Säugling mit einem Tuch erstickt zu haben. Die Angeklagte hat die Tat am ersten Verhandlungstag gestanden. Sie hatte die Schwangerschaft bis kurz vor der Geburt verheimlicht, da das Kind wohl nicht von ihrem 47-jährigen Lebensgefährten stammte. Die 30-Jährige befürchtete wohl, nach einer Trennung aus diesem Grund nicht mehr für ihre beiden Kinder sorgen zu können. Sie hatte auch vermutlich aus finanziellen Gründen als Prostituierte gearbeitet, dabei könnte sie schwanger geworden sein.

Der Staatsanwalt Markus Pröbstle schloss in seinem Plädoyer eine verminderte Schuldfähigkeit aus. Wegen Totschlags forderte er eine Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren. Der Anwalt der 30-Jährigen, Sammy Urcun, plädierte dagegen für eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, da er von einer „spontanen Handlung in einer psychischen Extremsituation“ ausgeht. Er bat auch darum, dass die Mutter zweier Kinder aus der Haft entlassen wird, um ihre Freiheitsstrafe später antreten zu können.

Tuch drei Minuten lang auf Gesicht des Kindes gehalten

Der Staatsanwalt sprach von einem „ungewöhnlichen Verfahren“. Ein Tötungsdelikt mit einem so jungen Opfer komme nicht häufig vor. Er hob die „Garantiestellung der Mutter“ gegenüber dem wehrlosen Kind hervor. „Wenn nicht eine Mutter, wer sonst soll für ein Kind eintreten, damit ihm kein Schaden zustößt?“ Die 30-Jährige habe aufgrund ihrer Geburten und mehrerer Schwangerschaftsabbrüche Erfahrung gehabt, gelte juristisch also nicht mehr als „junge Mutter“. In seinem Plädoyer grenzte Pröbstle den Tatzeitraum aufgrund einer Handy-Auswertung auf 4.20 bis 5.54 Uhr ein. Die Täterin habe das Tuch mindestens drei Minuten lang auf das Gesicht des Kindes gehalten und den Tod billigend in Kauf genommen. Einen Mord schloss er aus, da niedere Beweggründe fehlten. Es bleibe unklar, ob die vom Psychiater diagnostizierte mittelgradige depressive Episode zum Zeitpunkt des Totschlags eine Rolle gespielt habe. Dagegen spreche, dass die Angeklagte bis kurz vor der Tatnacht Kontakte zu anderen Männern pflegte, wie es die Handy-Auswertung gezeigt habe. Als mildernde Umstände wertete der Staatsanwalt das Geständnis, die sichtbare Reue und die bleibenden Folgen für das Leben der Angeklagten.

Anders argumentierte deren Verteidiger Sammy Urcun. Seine Mandantin habe mit dem Geständnis, das er am ersten Prozesstag vorlas, „keine gewöhnliche Erklärung“ abgegeben. In der Folge habe sie nicht die Kraft gehabt, über die Tatnacht zu sprechen. „Es war ihr klar, dass auch die unbequemen moralischen Dinge zur Sprache kommen“, sagte der Anwalt. Das Schweigen sei keine Strategie gewesen: „Sie konnte einfach nicht.“

Richter: Werden uns für eine Sichtweise entscheiden müssen

Es handele sich um einen Totschlag in einem minderschweren Fall, argumentierte der Anwalt, weil die 30-Jährige zur Tatzeit in einem „absoluten Ausnahmezustand“ war. Die Kontakte zu den Männern sei seine Mandantin nicht aus „reinem Spaß“ eingegangen, „es war ein Geschäft“, das sie einfach weiterbetrieben habe. Als Indiz dafür, dass die 30-Jährige die Tat nicht geplant habe, wertete der Anwalt, dass sie ihren Plan, das Kind an der Baby-Klappe eines Krankenhauses abzugeben, schon bei der polizeilichen Erstvernehmung geschildert habe. Überhaupt spreche das „Russisch Roulette“, das Kind heimlich zu Hause entbinden zu wollen, mit seinem „Dilettantismus“ gegen eine Planung.

Der Richter Roland Kleinschroth kündigte das Urteil für den kommenden Mittwoch an. Er habe mit den „durchaus beeindruckenden“ und sehr unterschiedlichen Plädoyers gerechnet. „Wir werden uns für eine Sichtweise entscheiden müssen.“ In ihrem letzten Wort bat die Angeklagte vor allem ihre Familie um Entschuldigung: „Es tut mir leid, was geschehen ist.“