Womöglich folgt noch ein Strafprozess gegen den Wirtschaftsprüfer der Betrugsfirma. Foto: ZB

Die Witwe des verstorbenen Geschäftsführers behauptet, ihr Mann habe vom Millionenbetrug nichts geahnt.

Herrenberg - Sollte diese Version der Geschichte vom 100-Millionen-Euro-Betrug erfunden sein, hält die Treue bedingungslos bis über den Tod hinaus. Bis die Polizei vor der Tür stand, habe ihr Ehemann nicht geahnt, dass alle Geschäfte des Skandalunternehmens EN Storage frei erfunden waren. Sie schon gar nicht. Dies ist die Essenz eines Geständnisses der bislang letzten Angeklagten im größten Fall von Kleinanlegerbetrug in der Geschichte Baden-Württembergs.

Die Angeklagte ist die ehemalige Buchhalterin und Steuerberaterin von EN Storage. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Beihilfe zum Betrug vor. Sie ist gleichzeitig die Witwe des einstigen Finanzgeschäftsführers. Der Prozess gegen ihn ist hinfällig. Der Beschuldigte war zu Jahresbeginn in der Untersuchungshaft eines natürlichen Todes gestorben, wie die Staatsanwaltschaft sagt. Er hatte in dem monatelangen Verfahren gegen ihn vor dem Landgericht Stuttgart stets seine Unschuld beteuert. Der einstige technische Geschäftsführer Edvin Novalic ist zu knapp acht Jahren Haft verurteilt worden. Das Unternehmen hatte unter dem Vorwand Anlegergeld eingesammelt, Datenserver zu kaufen und zu vermieten. Tatsächlich war das Geschäft jahrelang ein reines Schneeballsystem.

Das Geständnis ist durchsetzt mit persönlichen Anmerkungen

Anderthalb Stunden lang verliest die Angeklagte ihre Version des Geschehens. Das Geständnis ist durchsetzt von persönlichen Anmerkungen. „Ich dachte, ein solcher Mann kann kein Single sein.“ Dieser Satz ist der Kommentar zu ihrem ersten Geschäftstermin mit ihrem späteren Mann. Von ihrem ersten Besuch bei ihm erzählt die Angeklagte, wie der treue Hund sie vom Tor zum Haus begleitete und sich kraulen ließ. Schuldig sei ausschließlich Novalic. Sich selbst und ihrem Mann wirft sie vor, naiv gewesen zu sein. Sie hätten sich täuschen lassen vom einnehmenden Wesen des Kompagnons, von Charme, Hilfsbereitschaft, von immer neuen Ausflüchten und einem Charakter, dem chaotisches Geschäftsgebaren verzeihbar schien. So hatte Novalic es in seinem Geständnis anfangs selbst dargestellt. Allerdings nahmen ihm die Ermittler nicht ab, dass einem Finanzgeschäftsführer ein jahrelanger Betrug entgehen kann, bei dem bis hin zu fiktiven Geschäftsbriefen sämtliche Unterlagen und Bilanzen gefälscht worden waren.

Die einstige Buchhalterin wird aller Voraussicht nach nicht ins Gefängnis müssen. Nach dem Tod des einstigen Finanzgeschäftsführers hatten sich die Verteidiger, der Staatsanwalt und die Richter zu Absprachen getroffen. Das Ergebnis verkündet der Vorsitzende Richter Hans-Jürgen Wenzler. Er und seine Kollegen halten eine Haftstrafe von höchstens zwei Jahren für angemessen. Dies ist die Grenze, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Voraussetzung sei ein Geständnis. Dass eine Bewährungsstrafe vorab verbindlich vereinbart wurde, verhinderte der Staatsanwalt. Er hält es für zwingend, dass die Angeklagte in Haft kommt. Die Verteidiger hatten sogar beantragt, das Verfahren ohne Urteil einzustellen. So viel Milde wollten die Richter nicht walten lassen.

Die finanzielle Zukunft der Angeklagten dürfte ruiniert sein

Gleich, ob in Freiheit oder Haft, die finanzielle wie die berufliche Zukunft der Angeklagten dürften ruiniert sein. Nach einem Betrugsurteil wird ihr mit einiger Gewissheit ihre Zulassung als Steuerberaterin entzogen. Allein das Gericht gedenkt, von ihr 345 000 Euro zu fordern. Diese Summe entspricht dem Beraterhonorar, das EN Storage zahlte. „Wir sind überzeugt, dass es keine Schublade gibt, in der dieses Geld liegt“, sagte Wenzler. Ohnehin fällt dieser Betrag nicht ins Gewicht. Der Insolvenzverwalter hat von der einstigen Steuerberaterin 80 Millionen Euro eingefordert.

Das Urteil soll am 28. Februar fallen. Womöglich wird ein weiterer Strafprozess folgen. Schon Novalic hatte ausgesagt, dass einer der Wirtschaftsprüfer von EN Storage von dem Betrug gewusst und ihn sogar gefördert habe. Vor ihrer Heirat hatte die Angeklagte mit jenem Mann in einer Kanzlei gearbeitet. Er war ihr Chef und blieb Berater von EN Storage. Der Wirtschaftsprüfer habe alle Buchungen gebilligt, die ihr fragwürdig erschienen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn seit Monaten. Im Sommer soll entschieden sein, ob Anklage erhoben wird.