Im Münchner Wirecard-Prozess geht es auch um den Tatvorwurf der Marktmanipulation. Ein KPMG-Forensiker belastet den Ex-Wirecrad-Chef Markus Braun in dem Punkt schwer.
Markus Braun und seine Anwälte schweigen. Das ist selten im seit vier Monaten laufenden Betrugsprozess um den 2020 kollabierten Skandalkonzern Wirecard, dessen Vorstandschef Braun war. Aber was Zeugen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG nun seit zwei Prozesstagen aussagen, spricht eine klare Sprache. Im Anklagepunkt Marktmanipulation bringen sie Braun, neben dem noch Kronzeuge Oliver Bellenhaus und Ex-Chefbuchhalter Stefan E. mit auf der Anlagebank sitzen, schwer in Bedrängnis. In einer Börsenmitteilung hatte Braun seinen Konzern im Namen von KPMG im April 2020 von Betrugsverdacht freigesprochen. „Das entspricht nicht den Tatsachen, das war nicht das Ergebnis unserer Einschätzung“, stellt ein KPMG-Zeuge klar.
Der 52-jährige war von November 2019 bis April 2020 als Forensiker ein halbes Jahr lang verantwortlich für eine Sonderprüfung bei Wirecard, die unter anderem klären sollte, ob angeblich höchst lukratives Asien-Geschäft sowie angebliche Treuhandguthaben in Milliardenhöhe existieren oder ob alles nur erfunden ist. Am Ende konnte KPMG dazu keine Aussage treffen, weil Wirecard die Vorlage von Dokumenten und Verträgen verweigert hatte.
Immer wieder ausgebremst
„Man wollte uns so wenig wie möglich sagen“, beschreibt der 52-jährige Experte die damalige Situation. Unter seiner Führung habe KPMG den gesamten Geschäftsprozess des Zahlungsdienstleisters von einem Kauf per Kreditkarte bis zur Verbuchung von Umsatz bei Wirecard nachvollziehen wollen, sei dabei aber ausgebremst worden. Unter anderem Braun habe darauf hingewiesen, dass doch alles schon von EY geprüft worden sei.
EY war seinerzeit regulärer Wirecard-Wirtschaftsprüfer und hatte jahrelang alle Bilanzen anstandslos testiert. Dann hatte die britische Finanzzeitung Financial Times (FT) in einer Artikelserie große Zweifel an der Existenz des Asien-Geschäfts von Wirecard gesät. Der Konzern gab eine Sonderprüfung bei KPMG in Auftrag, um diese Vorwürfe entkräften zu können. Doch der Schuss ging nach hinten los. „Die haben gesehen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen“, stellt der Zeuge klar.
Mehrfach habe Wirecard versucht, die Sonderprüfung zu beeinflussen und in eine dem Konzern genehme Richtung zu lenken. Das im Zentrum der Sonderprüfung stehende Asien-Geschäft sei sehr wichtig gewesen, weil es es die Hälfte aller Wirecard-Umsätze und fast den gesamten Gewinn beigesteuert habe. Dafür wollte Wirecard am Ende rund 1,9 Milliarden Euro Treuhandguthaben gebildet haben. Als der Konzern dann im Juni 2020 vor allem auch als Folge des KPMG-Prüfberichts pleite ging, war das Geld nicht vorhanden.
„Nichts hat existiert“
Es hat nie existiert, weil Wirecard in weiten Teilen nur erfunden war, sagen Staatsanwaltschaft und Kronzeuge. Es war da, wurde aber von Dritten geraubt, sagt Braun. Immer wieder schildert der 52-jährige Forensiker, wie Wirecard die Prüfer an der Nase herumführen wollte. So sei die Existenz der Treuhandgelder nur von der Filiale einer Bank auf den Philippinen bestätigt worden, aber nicht von der Zentrale des Instituts. Bei der Dimension der in Frage stehenden Gelder sei aber Letzteres zwingend gewesen. Auch anderweitig bekam KPMG Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Wirecard. „Wir hatten immer wieder den Verdacht, dass Aussagen abgesprochen wurden“, erklärt der Zeuge.
Mit dem flüchtigen Ex-Vorstand Jan Marsalek und dem mitangeklagten Kronzeugen Bellenhaus habe es im gut 5000 Beschäftigte umfassenden Konzern nur zwei Personen gegeben, die über das Asien-Geschäft etwas wussten. Auch das hat bei KPMG Misstrauen geweckt. Dann habe Marsalek beiläufig erwähnt, dass Wirecard den Treuhänder gewechselt habe. Über die neue Person des Vertrauens, die über 1,9 Milliarden Euro gewacht haben soll, konnte er aber keine Auskunft geben und anfangs nicht einmal den Namen nennen.
„Nichts hat existiert“, bricht es aus dem 52-jährigen Zeugen einmal heraus.