Das Landgericht Stuttgart hat eine Frau aus Aichwald des vierfachen versuchten Totschlags an ihren eigenen Kindern für schuldig befunden (Symbolbild). Foto: Weingand

Im Dezember krachte der Wagen einer Mutter mit vier Kindern gegen die Kelter in Weinstadt-Endersbach. Nun wurde die Frau des versuchten Totschlags für schuldig befunden.

Fassungslosigkeit steht der 38-Jährigen ins Gesicht geschrieben: Gerade eben hat der Vorsitzende Richter Norbert Winkelmann ihr eröffnet, dass sie für vier Jahre ins Gefängnis soll. Ohne Bewährung. Sie, die sich selbst überzeugend als „Vollblutmama“ bezeichnet. In ihrem letzten Wort, das ihr als Angeklagter zusteht, hatte sie noch um Gnade gebeten und beteuert, die Geschehnisse vom 7. Dezember seien ein Unfall gewesen. „Ich wäre niemals in der Lage, meinen Kindern etwas anzutun. Das alles sind Vorurteile und eine Lüge“, sagte sie.

 

Mehrere Gutachter haben sich damit beschäftigt, warum an jenem Morgen der VW Sharan der Aichwälderin gegen die Außenmauer der Kelter in Weinstadt-Endersbach krachte. Sie selbst sagte aus, sie sei – aufgewühlt und überlastet – ziellos durch die Gegend gefahren, sie habe die Kelter in der Dunkelheit erst gesehen, als es zu spät gewesen sei. Doch die Beweise, die im Prozess vorgebracht worden sind, sagten etwas anderes.

Ein Gutachter kam anhand der Spuren zu dem Schluss, dass die 38-Jährige nicht nur aktiv auf die Mauer zugelenkt, sondern den Wagen, der zu diesen Zeitpunkt auf einer Seite schon auf den blanken Felgen unterwegs war, sogar beschleunigt haben muss. „Die Geschwindigkeit beim Aufprall betrug mindestens sechzig Stundenkilometer. Und laut den Berechnungen hätten Sie drei Sekunden Zeit gehabt, um zu bremsen“, fasste Winkelmann die Beweise zusammen.

Die Großmutter ruft nach einem Streit die Polizei

Der Umgang der Mutter mit den Geschehnissen fand ebenfalls kritische Worte des Richters: „Der Stand Ihrer Aufarbeitung ist noch nicht so, dass ich Sie zu ihren Kindern lassen kann“, sagte er. Er riet der Frau, mit der Verdrängung des Geschehenen aufzuhören und sich Hilfe zu holen, um das Trauma aufzuarbeiten. „Bis jetzt fehlt Ihnen die Einsicht, dass das, was passiert ist, sehr schlimm war.“

Während des Prozesses hatten die Beteiligten das Bild einer engagierten, liebenden Mutter bekommen – aber auch das einer überforderten Frau, die von ihrem Partner kaum Hilfe dabei bekam, die gemeinsamen vier Kinder groß zu ziehen, und die sich bis zur Selbstaufgabe für ihre Familie einsetzte. „Sie können nicht die ganze Welt auf Ihren Schultern tragen“, meinte der Richter. Als die Eingewöhnung im Kindergarten nach der Corona-Zeit zu scheitern drohte, eskalierte die Situation immer weiter. An jenem Morgen geriet die Aichwälderin mit ihrer Mutter in einen handfesten Streit, deutete ihre erweiterten Suizidabsichten an – woraufhin ihre Mutter die Polizei rief. „Aber sie hat Sie damit nicht verraten, sondern sich Sorgen um Sie gemacht“, erklärte Winkelmann.

Mahnende Worte vor dem Landgericht

Bis zuletzt war die 38-Jährige bei ihrer Version geblieben, es sei ein Unfall gewesen. Und das, obwohl sie vor der Fahrt ihre Mutter gefragt hatte, ob sie sie mit in den Tod nehmen solle – und auch gegenüber Ersthelfern einräumte, der Unfall sei Absicht gewesen. „Ich habe die Kinder auf die Welt gebracht und werde sie auch wieder mitnehmen“ – dies habe sie gesagt, schilderten die Helfer. Auch das fand deutliche Worte des Vorsitzenden: „Sie sind nicht der Herrscher über das Leben ihrer Kinder“, redete er ihr ins Gewissen. Das Glück, dass weder ihr noch den Kindern ernsthaft etwas passiert sei, sei groß. „Wenn die Kinder tot gewesen wären, hätten Sie sich selbst die höchste Strafe gegeben.“ Dass Insassen mit relativ leichten Verletzungen davon gekommen seien, sei wohl „der Vorsehung“ zu verdanken.

Die Strafe gegen die Aichwalderin fiel schlussendlich relativ mild aus – unter anderem, weil das Gericht keine Mordmerkmale wie Heimtücke finden konnte, ein versuchter Mord kam daher nicht mehr in Frage. Auch das Gutachten des Gerichtspsychiaters, der ihr mangels einer psychischen Erkrankung zwar keine Schuldunfähigkeit, aber eine durch die psychische Extremsituation eingeschränkte Schuldfähigkeit attestierte, wurde zu ihren Gunsten gewertet.

Das Urteil gegen die Aichwälderin ist noch nicht rechtskräftig. Sie hat noch eine Woche Zeit, Rechtsmittel einzulegen – was aber auch für die Staatsanwaltschaft gilt. Diese hatte viereinhalb Jahre Haft für die Frau gefordert – ihre Verteidigung hatte eine Strafe von weniger als zwei Jahren beantragt. Diese hätte noch zur Bewährung ausgesetzt werden können; bei vier Jahren war dies nicht mehr möglich. Falls die Mutter die volle Haftstrafe absitzen muss, werden ihre Kinder bei ihrer Freilassung zehn, acht, sieben und fünf Jahre alt sein.

Hilfe bei Suizidgedanken Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr telefonisch unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 sowie im Internet unter: ts-im-internet.de erreichbar. Eine Liste mit Hilfsangeboten findet sich unter: www.suizidprophylaxe.de.