Ein Waiblinger soll an einem Achtjährigen sexuelle Handlungen vorgenommen haben. Foto: dpa

Ein 49-Jähriger steht vor Gericht, weil er einen Achtjährigen missbraucht haben soll. Seine Verteidiger strapazieren die Geduld des Richters – und werfen dem Kind ein „gestörtes Verhältnis zu Sexualität“ vor.

Waiblingen - Irgendwann platzte dem Vorsitzenden Richter Martin Luippold der Kragen. Der Verteidiger war gerade auf Seite 14 einer umfangreichen Antragsbegründung angelangt, ohne zum Punkt zu kommen. „Wird da auch noch ein Antrag draus?“ unterbrach Luippold den jungen Juristen. Es war nicht das einzige Mal, dass die beiden Verteidiger am Dienstag die Geduld von Richter, Schöffen und Anklägern am Amtsgericht Waiblingen am Dienstag erheblich herausgefordert haben: Unter anderem verzögerten sie die Verlesung der Anklageschrift um rund eine Stunde.

Ein 49 Jahre alter Waiblinger muss sich wegen zwei Vorwürfen verantworten: Er soll einen gefälschten bulgarischen Führerschein genutzt haben. Der viel schwerere Vorwurf lautet aber auf schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes: Nach einer kleinen Feier zweier benachbarter Familien im Januar 2017 soll er den damals achtjährigen Jungen in sein Zimmer gerufen, ihn unsittlich berührt und ihn genötigt haben, ihn im Schritt anzufassen.

Der Angeklagte hat wegen der Vorwürfe seinen Job verloren

Für den vorbestraften Angeklagten steht viel auf dem Spiel. „Ich habe wegen der Sache fast alles im Leben verloren“, heißt es in der Einlassung, die er einen seiner beiden Anwälte verlesen ließ. Ein anonymer Anrufer habe seinem Chef von den Vorwürfen erzählt, er sei umgehend entlassen worden. „Und von den Nachbarn werde ich als Kinderschänder beschimpft.“ Zur Strategie der Verteidiger wiederum gehörte es, die Aussage des mutmaßlichen Opfers als unglaubhaft darzustellen. Der Junge habe „ein offensichtlich gestörtes Verhältnis zur Sexualität“, so einer der Rechtsanwälte. Woraufhin er deutliche Kritik von Richter Luippold einstecken musste: „Sie wollen Stimmung machen gegen den Zeugen, bevor wir ihn überhaupt gehört haben“, meinte dieser.

Ihre Darstellung untermauern die Verteidiger unter anderem damit, dass das Kind einige Zeit vor dem Vorfall eine App mit Sexstellungen auf dem Tabletcomputer des Angeklagten installiert haben soll. Der Beweis, so stellt es die Verlobte des Angeklagten dar, sei ein Foto, welches das Gerät automatisch von dem Jungen gemacht habe, als dieser versucht habe, den Pin zu knacken. „Das Foto beweist doch nur, dass es ihm eben nicht gelungen ist, die Sperre zu überwinden“, zweifelte Luippold die Aussage an.

ADHS – ein Grund für einen psychiatrischen Sachverständigen?

Die beiden Verteidiger argumentierten im längsten ihrer Anträge auch, bei dem Jungen läge eine „psychische Erkrankung“ vor, deswegen müsse ein Psychiater hinzuzugezogen werden. Bei dem Jungen wurde ADHS festgestellt – „das ist allerdings bei rund 80 Prozent der Jugendlichen der Fall, die hier sitzen“, so der Richter Luippold. Und diese Diagnose ändere nichts daran, ob jemand die Wahrheit erzähle oder nicht.

Widersprüche und Unklarheiten gibt es in den Aussagen des mutmaßlichen Opfers aber tatsächlich. Der Angeklagte und seine Verlobte behaupten, der Junge hätte sich die Sache ausgedacht, weil er sich darüber geärgert habe, dass er nicht mit dem Tabletcomputer des Angeklagten hatte spielen dürfen. Die Ungereimtheiten könnten aber auch dem Umstand geschuldet sein, dass zum Beispiel die Videovernehmung noch am Tatabend um kurz vor Mitternacht durchgeführt wurde. Einerseits sollte dies dazu dienen, die Eindrücke möglichst frisch zu erhalten, das Kind könnte aber auch, so überlegte der Richter, deutlich übermüdet und überfordert gewesen sein.

Der Prozess dauert länger als erwartet

Eigentlich hatte das Amtsgericht Waiblingen geplant gehabt, schon am Dienstag zu einem Urteil zu kommen. Die Taktik der Verteidigung hat einen Strich durch diese Rechnung gemacht. Der Forderung, die Urkundenfälschung separat zu verhandeln, entsprach der Richter Luippold aber nicht. Der Prozess wird voraussichtlich am 17. Mai fortgesetzt.