Wer ist der wahre Boateng? Der ehemalige Nationalspieler spiegelt sich an einer Glasscheibe im Gerichtssaal des Landgerichts München. Foto: dpa/Peter Kneffel

Vor einem Jahr ist der Profi-Fußballer zu einer Millionenstrafe verurteilt worden, weil er seine Ex-Freundin geschlagen haben soll. Einer gütlichen Einigung hat er sich am Donnerstag verweigert.

Erneut steht der Profi-Fußballer Jérôme Boateng wegen einer mutmaßlichen vorsätzlichen Körperverletzung seiner ehemaligen Lebensgefährtin in München vor Gericht. Das Verfahren hatte im September 2021 schon einmal vor dem Amtsgericht stattgefunden. Der Weltmeister von 2014 wurde schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe in Höhe von 1,8 Millionen Euro verurteilt. Aber weder Boateng noch die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin waren damit zufrieden. Ihm war das Urteil zu hoch, den anderen zu niedrig. Alle gingen in die Berufung.

Nun also Boateng zum Zweiten, diesmal am Donnerstag eine Ebene höher vor dem Landgericht. Die Ex-Freundin, mutmaßliches Opfer und Hauptbelastungszeugin, erzählt – gefasst und sehr klar – wie der Abend des 19. Juli 2018 bei einem Karibikurlaub aus ihrer Sicht verlaufen ist. Die Reise hatte sie mit Boateng, den beiden gemeinsamen Kindern und Freunden unternommen.

Die Zeugin sagt noch einmal vor Gericht aus

Man spielte Karten, und dem Fußballer wurde vorgeworfen: „Du hast geschummelt.“ Er habe die Karten hingeworfen und sei gegangen. Als er wieder kam, waren, so die Aussage, die Frauen in der Gruppe gerade dabei, über seine früheren Freundinnen zu reden. Daraufhin habe Boateng seiner Lebensgefährtin Eifersucht vorgeworfen und dass sie „alles kaputt machen“ wolle.

Boateng habe im Zorn mit einem großen Kerzenlicht-Glas auf sie geworfen, der Wurf ging daneben. Dann aber habe er mit einer Kühltasche voller Getränkedosen ihren Rücken erwischt. Ihr sei dabei „kurz die Luft weggeblieben“, sagte die Zeugin. Später am Strand habe er sie mit der geballten Hand aufs Auge geschlagen, sie an den Haaren auf den Boden gezogen und unter anderem in die Seite geboxt, in der Gegend der Niere. Zudem habe Boateng sie als „Nutte“ beleidigt.

Boateng lässt sich von zwei Bodyguards begleiten

Im Gerichtssaal wird am Donnerstag ein Foto ihres Gesichts mit einem geschwollenen Auge gezeigt. Zwei Tage nach der Rückkehr aus der Karibik ließ die Zeugin sich wegen der Verletzungen und Nierenschmerzen im Krankenhaus Berlin-Spandau behandeln. Im Oktober erstattete sie Anzeige bei der Polizei.

Der Fußballstar, der derzeit bei Olympique Lyon auf der Bank sitzt, schweigt zu den Vorwürfen. Sein Anwalt Peter Zuriel sagt: „Herr Boateng bestreitet strafbares Tun, wird sich ansonsten aber nicht zur Sache äußern.“ Der 34-Jährige ist mit kurzer Frisur, grauem Anzug und weinroter Krawatte erschienen. Er sieht dünn aus, zwei Bodyguards begleiten ihn. Zur Ex-Freundin hält er keinen Blickkontakt.

Der Verteidiger spricht von einer „Vorverurteilung“

Verteidiger Norman Gelbart verliest eine Erklärung, die im Wesentlichen eine massive Anklage gegen die Medien ist. Die Presse verbreite „Verdachtsmeldungen“ gegen Boateng, die Berichterstattung vor dem Prozess hält er für „massiv unfair“. Es finde eine „Vorverurteilung“ des prominenten Fußballers statt.

Der Hintergrund für diese Vorwürfe: Die „Süddeutsche Zeitung“ und die Journalisten-Organisation „Correctiv“ haben kürzlich eine große Recherche veröffentlicht über Gewalt von Fußballspielern gegenüber ihren Partnerinnen und darüber, wie dies von Beratern und Vereinen totgeschwiegen werde. Auch müssten Frauen häufig Vereinbarungen unterschreiben, dass sie nichts über ihr Leben mit den Fußballern erzählen.

Wegen einer anderen Ex-Freundin wird wieder ermittelt

Namentlich genannt wird aber nur Jérôme Boateng. Alle anderen Frauen, die über ihre Erfahrungen berichteten, wollten anonym bleiben und auch die Namen der Fußballer nicht nennen. Boateng würden, so der Anwalt Gelhart, „Sachverhalte über das Verfahren hinaus“ angekreidet.

Allerdings ist der Sachstand im Fall seiner früheren Freundin Kasia Lenhardt für die Staatsanwaltschaft nicht unerheblich. Die Frau hatte sich Anfang 2021 das Leben genommen. Kurz zuvor hatte Boateng auf dem Weg der „Bild“-Zeitung die Trennung verkündet, ihr ein Alkoholproblem vorgeworfen sowie die Absicht, ihn „zerstören“ zu wollen. Diese Berichterstattung wurde später vom Deutschen Presserat gerügt.

Boateng lässt sich nicht auf einen Deal ein

Ganz zu Beginn der Verhandlung am Donnerstag hätte Boateng die Möglichkeit gehabt, das Verfahren schnell zu Ende zu bringen. Der Vorsitzende Richter Andreas Forstner drängte auf eine Verständigung und lud Anklage und Verteidigung zum Rechtsgespräch ein. Er wolle das Verfahren „unproblematisch“ beenden. Auch bei einer umfangreichen erneuten Beweisaufnahme werde ein neues Urteil ähnlich ausfallen wie das alte. Die Vertreter stimmten einem „Deal“ zu: Sie würden die Berufung fallenlassen, über die Höhe der Geldstrafe würde noch geredet werden.

Nur Boateng ist damit nicht einverstanden: Er könne das mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, erklärte ein Verteidiger. Ein wie auch immer geartetes Schuldeingeständnis möchte er auch wegen seiner beiden Kinder nicht machen. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

Neue Ermittlungen in einem anderen Fall

Suizid
 Wegen mutmaßlicher Gewalt gegenüber einer anderen Freundin namens Kasia Lenhardt hatte die Staatsanwaltschaft schon einmal gegen Boateng ermittelt, dies aber vorläufig eingestellt. Nach dem Tod der Frau durch Suizid wurden die Ermittlungen aber wieder aufgenommen.

Staatsanwaltschaft
Die Presse-Staatsanwältin sagte unserer Zeitung: „Im Rahmen des Todesermittlungsverfahrens in Berlin haben uns neue Erkenntnisse erreicht, die Hinweise auf eine mögliche Fortführung des Verfahrens geben könnten.“