Das Gericht verurteilte die Angeklagte zu drei Jahren Haft. (Symbolbild) Foto: dpa/Volker Hartmann

Die Beziehung eines Paares begann als Liebesgeschichte zwischen Deutschland und der Türkei. Und sie endete mit Messerstichen, nachdem die Beiden einen Monat zusammen in Altdorf wohnten. War es Absicht oder Notwehr?

Böblingen - Am 22. April 2018 lag ein Ehemann in einer Lache seines eigenen Blutes vor seiner Wohnung. In seinem Bauch klaffte eine Stichwunde, ein Nachbar und ein Passant versuchten den Blutstrom zu stoppen und den Verletzten bei Bewusstsein zu halten. „Ich habe sie so geliebt, und jetzt versucht sie mich umzubringen“, soll der heute 42-jährige Staplerfahrer in dem Moment gesagt haben. Sie, das ist seine 28-jährige Frau, die am Mittwoch als Angeklagte vor dem Amtsgericht Böblingen stand. Sie hatte dem Mann die Klinge eines kleinen Küchenmessers in den Bauch gerammt.

Was ist einer Gewalttat endete, hatte aber als Liebesgeschichte begonnen: Die 28-Jährige lernte ihren späteren Ehemann im Mai 2018 kennen – über ihre Mutter. Sie stammen aus dem selben Dorf in der Türkei, der 42-Jährige ist in Deutschland aufgewachsen. Am Anfang haben sie nur am Telefon Kontakt. Aber er scheint sich in die Frau verliebt zu haben, im Oktober 2018 kommt er in die Türkei und hält um ihre Hand an, noch im selben Monat heiraten sie. Dann geht der Mann zurück nach Deutschland.

Schon bald läuft die Beziehung aus dem Ruder

Schon als die 28-Jährige, eine frühere Sicherheitsbedienstete, im März 2019 in Deutschland ankommt, wird die Liebesbeziehung brüchig, die der vorsitzende Richter Werner Kömpf später als „missverstandene Ehe“ bezeichnen wird. Die Frau besucht zuerst ihre Schwester in Hannover, anstatt in die gemeinsame Wohnung nach Altdorf zu kommen: Es gibt Stress. Sie tritt gleich nach ihrer Ankunft einen Job an: Streit. Der Mann fragt, ob sie ihn jemals betrügen würde: Entrüstung. Als er seiner Frau droht, ihre Visums-Unterlagen zu zerreißen, kippt die Stimmung.

Die 28-Jährige schlägt an diesem 22. April 2018 immer wieder auf ihren Mann ein. Er wählt kurz nach 18 Uhr den Notruf der Polizei. Im Hintergrund hört man immer wieder die Schreie seiner Frau, beschreibt der Richter Kömpf die Aufzeichnungen. Die Ehefrau ist in Rage – und greift sich ein Küchenmesser.

Drei Mal stößt die 28-Jährige das Küchenmesser mit einer neun Zentimeter langen Klinge in Richtung ihres Mannes. Die ersten beiden Versuche wehrt er ab, die Klinge ritzt seine Hände und Arme. Beim dritten Anlauf bohrt sich das Küchenmesser fünf Zentimeter tief in seinen Bauch, durchtrennt die Magenvorwand.

Die Ersthelfer haben Angst, dass der Verletzte stirbt

Ein Nachbar trägt den Verletzten aus der Wohnung und legt ihn auf die Treppe vor dem Haus. Ein Passant, der mit seinem Hund unterwegs ist, kommt ebenfalls zu Hilfe. Gemeinsam versuchen sie, die Blutung zu stoppen. Die Augen des Verletzten hätten sich schon nach oben gedreht, sagt einer der Ersthelfer vor Gericht. Sie hätten befürchtet, dass er stirbt. Sie drücken ein Handtuch auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen. „Das Messer steckt nicht, aber es blutet wie Schwein“, sagte der Ersthelfer mit Hund, als er parallel mit der Notrufleitstelle telefoniert. Immer wieder hört man den Verletzten während des Notrufs stöhnen.

Auch die Angeklagte, die kaum Deutsch spricht, ruft eine Freundin an und bittet sie, den Notruf zu wählen. Immer wieder wird sich die 28-Jährige in der Folge erkundigen, wie es ihm geht.

Nach wenigen Minuten sind die Einsatzkräfte da. Dass der Verletzte keine lebensgefährliche Menge Blut verloren hat, ist wohl den Ersthelfern und Einsatzkräften zu verdanken.

Die Angeklagte und einzelne Zeugen hatten den Noch-Ehemann – die Scheidung ist noch nicht vollzogen – vor Gericht als Mann mit Suchtproblemen und Suizidgedanken dargestellt, der von der Ehe überfordert gewesen sei und Druck auf seine Frau ausgeübt habe. Auch seien dessen Verletzungen im Kampf entstanden, als die Auseinandersetzung über die Visums-Papiere eskalierte.

28-Jährige wird zu drei Jahren Haft verurteilt

Am Ende hatte Richter Kömpf aber keine Zweifel daran, dass die Angeklagte mit dem Messer auf ihren Mann losgegangen ist. Das Gericht verurteilte die bisher unbescholtene Frau zu drei Jahren Haft wegen gefährlicher Körperverletzung, die Höchststrafe hätte bei zehn Jahren gelegen. Der Haftbefehl wurde direkt ausgesprochen, die 28-Jährige gleich nach der Verhandlung verhaftet.