Ein Gedenkkreuz am Ort, wo die Leiche gefunden wurde: seit drei Wochen beschäftigt der gewaltsame Tod von Nadine E. das Stuttgarter Landgericht. Foto: 7aktuell.

Im Prozess um den gewaltsamen Tod von Nadine E. hat eine Zeugin der Anklage widersprochen: Sie will die 36-Jährige am Abend ihres Verschwindens gesehen haben – in Begleitung zweier unbekannter Männer.

Ludwigsburg - Rund 1,70 Meter groß, blonde Haare und sportlich gekleidet: die Personenbeschreibung, die eine Zeugin am Mittwoch vor dem Stuttgarter Landgericht abgibt, ist relativ präzise. Und möglicherweise entscheidend: Denn die Person, die die Zeugin am Abend des 12. Oktober 2015 in einem Lidl-Markt in Ludwigsburg-Eglosheim gesehen haben will, ist Nadine E. Jene Frau also, deren gewaltsamer Tod die Schwurgerichtskammer seit nunmehr drei Wochen beschäftigt.

Bemerkenswert ist die Aussage der 41-Jährigen, die in Norddeutschland lebt, vor allem deshalb, weil sie nicht zur Version der Ermittler passt, was an jenem Montagabend im Jahr 2015 geschehen sein soll. Damit widerspricht die Frau der Anklage der Staatsanwaltschaft.

Die Polizei geht davon aus, dass Nadine E. an diesem Abend gegen 20 Uhr aus dem Fitnessstudio nach Hause kam und ihr Heim anschließend nicht mehr verließ. Ihr Ehemann soll sie im Keller erwürgt und die Leiche noch in der Nacht in einem Gebüsch in der Nähe abgelegt haben. Der 43-Jährige bestreitet allerdings, seiner Frau etwas angetan zu haben. Vielmehr sei sie nach dem Sport noch zum Einkaufen gefahren und danach nicht mehr nach Hause gekommen.

Wurde das Opfer vor ihrem Verschwinden gesehen?

Sie sei sich relativ sicher, Nadine E. an jenem Montagabend in dem Supermarkt gesehen zu haben, sagte die gelernte Floristin am Mittwoch: „Zu 95 Prozent.“ Zweimal will sie eine blonde, sportliche Frau in dem Markt gesehen haben, am Eingang des Ladens und mitten in dem Supermarkt, jeweils in Begleitung zweier Männer. „Sie hat gelacht und wirkte gut gelaunt.“ Aufmerksam auf den Fall wurde die Zeugin genau eine Woche nach dem Verschwinden von Nadine E., am 19. Oktober. Wieder sei sie nach einem Sprachkurs in der Nähe an einem Montag in dem Markt einkaufen gewesen, als ihr ein Flugblatt mit einem Foto des Opfers in die Hand gedrückt worden sei. Als sie Nadine E. darauf wiedererkannt habe, habe sie die Polizei angerufen.

Als Beleg ihrer Aussage übergab die Frau den Ermittlern ihren Einkaufsbon von jenem Tag. Tatsächlich zeigt der, dass die 41-Jährige am 12. Oktober um 20.25 Uhr in dem Lidl-Markt eine Rechnung über wenige Euro bezahlte. Wenige Minuten zuvor habe sie die blonde Frau zweimal in dem Lidl gesehen, meinte die Zeugin.

Dabei handelt es sich genau um jenen Zeitraum, in dem es laut der Anklageschrift zu einem Streit zwischen den Eheleuten gekommen ist, in deren Verlauf der Angeklagte seine Frau getötet haben soll. Weitere Zeugen, die Nadine E. an dem Abend bei Lidl gesehen haben wollen, gibt es nicht. Die Auswertung der Handydaten des Opfers erlaubt keine zuverlässige Aussage, ob sie nach 20 Uhr noch einmal ihr Wohnhaus verließ. Ausschließen können es die Experten allerdings auch nicht.

Von Interesse war für die Richter am Mittwoch weiterhin die türkische Familie des Angeklagten. Vor allem die Frage, ob der 43-Jährige seine Frau bei der geplanten Scheidung finanziell hätte entschädigen können, muss geklärt werden – hierin sieht die Kammer offenbar ein mögliches Motiv für die Tat. Dass der Angeklagte nach der Trennung weiter in dem Haus in Eglosheim wohnen wollte, scheint nicht umstritten. Ob er die Summe von mehr als 100 000 Euro aufgetrieben hätte, um seine Ehefrau auszubezahlen, dagegen umso mehr.

Die Verteidigung will, dass der Angeklagte freigelassen wird

Klar ist, dass der 43-Jährige bei einem Familientreffen im Sommer 2015 seine Geschwister und Eltern um Geld bat. Während am Mittwoch ein Bruder sagte, er habe dem Angeklagten helfen wollen, sagte ein anderer aus, er habe nicht vorgehabt, Geld zu überweisen – weil der Angeklagte seine Ehefrau im Internet beleidigt habe.

Schwer tat sich die Kammer mit den Aussagen der Mutter im Zeugenstand. Mehrfach ließ der Vorsitzende Richter durchblicken, dass er der 62-Jährigen nicht so recht glaube, zu widersprüchlich waren ihre Angaben, zu groß die Unterschiede zu dem, was sie bei der Polizei zu Protokoll gegeben hatte. Letztlich blieb in den Aussagen der Frau, die nahezu kein Deutsch spricht, unklar, ob die Familie dem ältesten Sohn nach der Scheidung finanziell aus der Klemme geholfen hätte.

Die Verteidiger des Angeklagten sehen inzwischen die Indizienkette der Ermittler als gescheitert an. Die Verhandlung habe keine Anhaltspunkte für die Schuld ihres Mandanten erbracht, sagte Amely Schweizer, die den 43-Jährigen vertritt. Sie beantragte, den Mann aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Von einem dringenden Tatverdacht könne keine Rede mehr sein.

Dem widersprach der Oberstaatsanwalt Matthias Schweitzer: Der Haftbefehl müsse in Vollzug bleiben. Die Kammer um den Vorsitzenden Richter Jörg Geiger entschied sich am Mittwoch weder für das eine noch das andere: Sie unterbrach die Sitzung bis zum nächsten regulären Verhandlungstag am 6. Februar.