Für den bandenmäßigen Handel mit Kokain steht eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Jahren und drei Monaten an. Foto: dpa

Weil er Kokain verkauft hat, muss sich ein 34-Jähriger vor dem Landgericht Stuttgart verantworten. Er hat von einem Hochhaus in der Schönaicher Straße in Böblingen aus einen schwunghaften Handel betrieben – um seine eigene Sucht zu finanzieren.

Böblingen - Monatelang hörte die Polizei sein Telefon ab. Als genug Beweise beisammen waren und die Festnahme erfolgen sollte, war der Verdächtige gerade in die Türkei geflogen. Zwischen Februar und Oktober 2014 hatte die Kriminalpolizei Böblingen den Mann und seine beiden Helfer überwacht, die einen schwunghaften Handel mit Kokain betrieben. Während der jüngere Bruder des Angeklagten und ein weiterer Komplize sowie einige ihrer Kunden bereits vom Amtsgericht Böblingen verurteilt worden sind, muss sich der Kopf der Bande erst jetzt vor dem Landgericht Stuttgart verantworten. Mehr als zwei Jahre lang lebte er in der Türkei, bis er sich im vergangenen Dezember der Polizei in Böblingen stellte.

Auf den Strafrahmen verständigten sich die Verfahrensbeteiligten gleich zum Auftakt: Der 34-Jährige muss wegen des bandenmäßigen Handels mit Kokain mit einer Freiheitsstrafe zwischen sechs Jahren und drei Monaten und sechs Jahren und neun Monaten rechnen. Dafür hat er alle Taten eingeräumt. Das Ziel seines Anwaltes ist es, den 34-Jährigen in einer Entziehungsklinik unterzubringen. „Ein Hauptgrund, von den Drogen wegzukommen, ist, damit ich Papa sein kann“, erklärte der 34-Jährige, der zwei Töchter im Alter von zwei und drei Jahren hat. Mit Kokain gehandelt habe er vor allem, um seine eigene Sucht zu finanzieren. „Ich habe versucht, stark zu sein, aber es nie hinbekommen.“

Verlesung der Anklage dauert fast 45 Minuten

Fast 45 Minuten benötigte der Staatsanwalt für die Verlesung der Anklage, die in 41 Punkten auflistete, an welchen Tagen der Angeklagte an welchen Kunden wie viel Gramm Kokain verkauft hat. Von einem Hochhaus in der Schönaicher Straße aus betrieb er den Drogenhandel. Sein jüngerer Bruder und ein Komplize dienten quasi als Laufburschen. Am Parkplatz des Penny-Marktes, am Unteren See, am Postplatz oder in der Bahnhofstraße fanden die Drogengeschäfte unter anderem statt. „Der Angeklagte war der Kopf der Gruppe, der für den Einkauf sorgte, die Preise festlegte, das Kokain streckte und die Kundenkontakte pflegte“, sagte der Staatsanwalt. Die Drogen beschaffte er sich mehrmals bei einer Tankstelle in Herrenberg.

Über seinen Freundeskreis will der Angeklagte auf Kokain gekommen sein. Seine Freizeitbeschäftigung bestand offenbar in erster Linie aus Feiern. Zunächst putschte er sich für den Discobesuch nur mit Ecstasy auf, dann gab es auch unter der Woche ständig Partys. „Manchmal bin ich morgens aus dem Bett und habe als Erstes eine Linie gelegt“, sagte er über seine Gewohnheit, das Rauschgift über die Nase einzuziehen. Als Dreijähriger ist der Angeklagte mit seinen Eltern nach Deutschland gezogen, er besitzt mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft. Den Hauptschulabschluss machte er, nachdem er von der Schule geflogen war, eine Ausbildung aber nicht. Seither jobbte er in verschiedenen Fabriken, bei einer Spedition, im Messebau und in einem Casino. Zwei Stellen verlor er wegen seiner Sucht. Auch seine im Jahr 2013 geschlossene Ehe wurde kürzlich geschieden.

Über einen Heroin-Dealer auf die Schliche gekommen

Über einen Heroin-Dealer in Sindelfingen ist die Kriminalpolizei auf die Spur des 34-Jährigen gekommen. Er kaufte bei dem Böblinger Stoff ein – und sein Telefon wurde ebenfalls überwacht. Laut dem Zeugen von der Polizei hat der Angeklagte in den neun Monaten rund 30 000 Euro umgesetzt. Die verunglückte Festnahme erklärte er mit der schwierigen Überwachungssituation: Wo in dem 16-stöckigen Hochhaus das Kokain lagerte, habe sich unmöglich herausfinden lassen. Deshalb warteten die Polizisten auf eine Beschaffungsfahrt – und griffen doch im falschen Moment zu. Sie erwischten nur die beiden Handlanger, die sie aber zu dem Drogenlager in einem Keller führten.